Euro am Sonntag-Interview

Investment-Experte Richter: Wir müssen über Geld reden

15.04.13 03:00 Uhr

Der Hauptgeschäftsführer des Fondsverbands BVI, Thomas Richter, zum Weltfondstag am 19. April über richtiges Sparen, Finanzbildung und die kontraproduktiven Auswüchse der Regulierung.

von Peter Schweizer, Euro am Sonntag

Er wirkt sehr entspannt. Zwar ist Thomas Richter gerade erst von einer Tagung aus New York zurückgekehrt, doch von Jetlag keine Spur. Nur eine alte Sportverletzung im Knöchel zwickt ein bisschen, als er mit langen Schritten vor die Wand eilt, an der der Fotograf das Porträt schießen will. Zur guten Laune an diesem Montag trägt auch der glückliche Sieg des 1. FC Nürnberg — „meiner Mannschaft“ — im Sonntagsspiel gegen Mainz 05 bei. Die Franken haben damit die Chance gewahrt, bis Saisonende in der Tabelle noch so weit vorzurücken, dass sie an der Qualifikation für die Europa League teilnehmen dürfen.

Damit hat das freundliche Ge­plänkel aber auch sein Bewenden. Schließlich wird der Hauptgeschäftsführer des Fondsverbands BVI nicht für Fußballträumereien bezahlt, sondern für Aufklärung und Parteinahme in Sachen Investmentfonds. Und da gerät Richter dann schnell in Fahrt.

Dazu hat er auch allen Grund, denn kaum eine andere Branche hat der Gesetzgeber so auf dem Kieker wie die Finanzindustrie. Mit ständig neuen Gesetzen, Richtlinien und Verordnungen werden die Aufsichtsbehörden durch die Parlamentarier in Berlin und die EU-Kommission in Brüssel munitioniert. Auch die Fondsgesellschaften kommen kaum mit der Umsetzung der immer wieder geänderten Regulierung hinterher, die nach Ansicht des gelernten Ju­risten das Fondssparen — und damit indirekt auch den Erfolg der von ihm vertretenen Kapitalanlagegesellschaften — massiv behindert. Die meisten neuen Regeln seien zwar im Sinne des Verbraucherschutzes durchaus gut gemeint, räumt Richter ein, leider würde mit der Umsetzung jedoch häufig Schaden gestiftet.

Tatsächlich lässt sich fragen, warum es gerade jetzt einen solchen Regulierungsbedarf geben soll. Schließlich ist das von Richter vertretene Produkt eigentlich ein alter Hut. Im Jahr 1774 lancierte der holländische Kaufmann Adriaan van Ketwich das erste Gemeinschaftsvermögen mit dem programmatischen Namen „Eintracht macht stark“. An der Grundkonzeption hat sich seitdem nicht viel geändert: Sparer legen gemeinsam Geld ein, das wiederum auf verschiedene Anlagen verteilt wird.

Ketwichs Idee der Risiko­streuung für kleine Beträge liegt auch allen modernen Investmentfonds zugrunde. Die Wahl der Wertpapiergattungen und Anlageschwerpunkte hat dieses Prinzip verfeinert. Von den Verbrauchern wird es angenommen: Die 78 Mitgliedsgesellschaften des BVI verwalten heute rund zwei Billionen Euro für über 20 Millionen Anleger. Mit dem Weltfondstag am 19. April, Ketwichs Geburtstag, erinnern die Kapitalanlagegesellschaften an den Pionier und versuchen mit Sparern und Anlegern ins Gespräch und ins Geschäft zu kommen.

€uro am Sonntag: Warum werden heute deutlich weniger Fonds abgesetzt als früher?
Thomas Richter: Nun, zum einen scheuen viele Anleger die Schwankungen der Kapitalmärkte, zum ­anderen liegt das auch an der Beratung.

Wie das? Der Beratungsprozess ist doch heute in der Regel standar­disiert und durch den Gesetzgeber reguliert.
Genau darin liegt das Problem. Das Bedürfnis des Beraters, fehlerfrei und effizient zu beraten, stellt inzwischen die Bedürfnisse des Anlegers in den Schatten. Die Beratungsprotokolle sind extrem zeitaufwendig. Wenn ein Kunde nur wenig Geld anzulegen hat, rechnet sich der Aufwand nicht, und der Berater rät lieber zu protokollfreien Produkten wie beispielsweise Festgeldern oder Bausparverträgen.

Auch in diesem Jahr stehen einige große Regulierungsvorhaben an. Wie stark kann der BVI als Lobby eingreifen, wo sind aktuell die größten Baustellen?
Die Regulierungsflut hat uns voll erfasst. Allein 2012 hatten wir es mit über 30 Gesetzgebungsinitiativen zu tun, die teilweise zu Fehlsteuerungen und Nachteilen für die Anleger zu führen drohten. Wir müssen regelmäßig der Gefahr der Überregulierung entgegentreten. In dem Bestreben, ja nichts unreguliert zu lassen, wird oft das Kind mit dem Bad ausgeschüttet: Die Idee für ein Gesetz ist meist gut, die Umsetzung führt dann aber zu Kollateralschäden in Bereichen, um die es gar nicht geht.

Wie stehen Sie zu den geplanten neuen gesetzlichen Regelungen zu Offenen Immobilienfonds?
Im Großen und Ganzen begrüßen wir den Entwurf zum Kapitalanlage­gesetzbuch. Aber bei den Offenen Immobilienfonds sehen wir Nachbesserungsbedarf. Wir schlagen ei­ne klare Trennung zwischen bestehenden und neuen Fonds vor. Die Fonds, die erfolgreich durch die Finanzkrise gekommen sind, sollten als Produkt in ihrem Bestand geschützt werden, das heißt, sie sollten auch den Freibetrag von 30.000 Euro pro Kalenderhalbjahr behalten. Für neue Fonds sollte der Freibetrag dagegen abgeschafft werden, damit es künftig nicht wieder zu Fondsschließungen kommt.

Was halten Sie von der im Entwurf vorgesehenen Beschränkung der Ausgabe- und Rücknahmetermine?
Sie ist unsinnig, denn sie erschwert das Liquiditätsmanagement, anstatt es zu erleichtern. Es wäre eine un­nötige Verschlechterung, wenn Zuflüsse in die Fonds von bisher 250 auf vier Tage im Jahr beschränkt würden. Anteile sollten deshalb ­weiterhin börsentäglich ausgegeben werden können. Was die Rückgabe angeht, sollten Anteile nach Ablauf der Kündigungsfrist täglich verkauft werden können und nicht nur an einem einzigen Stichtag im Jahr.

Stichwort Sondervermögen. Ist diese besondere Eigenschaft der Fonds nach dem zyprischen Enteignungszugriff auf Konten wieder wichtiger geworden?
Bereits der Ausfall der Lehman-­Zertifikate hat vielen Anlegern die Bedeutung der besonderen institutionellen Sicherheit von Investmentfonds vor Augen geführt. Und der Fall Zypern hat nun Zweifel an der Sicherheit der Einlagen geweckt. Bei Fonds kann das nicht passieren. Das Vermögen der Anleger wird nicht bei der Fondsgesellschaft, sondern bei der Depotbank verwahrt. Nicht die Fondsgesellschaft wird Eigentümer der Wertpapiere, sondern der Fonds selbst. Sollte eine Fondsgesellschaft pleitegehen, wäre das Fondsvermögen davon unberührt. Dieser Vorteil ist leider zu wenigen Anlegern bekannt.

Die fehlenden Kenntnisse vieler Anleger sind der Hintergrund für Ihre „Hoch im Kurs“-Kampagne an Schulen, um Schüler über wirtschaftliche Zusammenhänge und verschiedene Formen der Geld­anlage zu informieren. Gehört das Thema in der heutigen komplexen Welt nicht auf den Lehrplan?

Thomas Richter
Ja, genau dahin gehört es. Wer mehr Eigenverantwortung für seine finanzielle Absicherung übernehmen soll, braucht eine solide, tragfähige Entscheidungsgrundlage. Dafür sind Grundkenntnisse über Wirtschaft und Finanzen unerlässlich. Nichts schützt die Verbraucher besser vor Fehlentscheidungen als Wissen. Wissen ist der beste Verbraucherschutz. Würden die Verbraucher Fehler beim Sparen vermeiden, hätten nicht nur sie selbst etwas davon, sondern auch der Staat. Denn je mehr und je erfolg­reicher der Einzelne vorgesorgt hat, desto weniger muss der Staat über Transferleistungen zuschießen. Beim Wissen offenbaren sich aber große Lücken. Der Mehrheit der Schüler ist dieses Defizit offenbar bewusst. Das zeigte eine Befragung der Gesellschaft für Konsumforschung: Drei Viertel der Schüler wollen wirtschaftliche Zusammenhänge in der Schule besser erklärt bekommen. Heute entlassen die Schulen ihre Schüler oft ohne grundlegende ökonomische Kenntnisse in das Arbeitsleben.

Und da wollen Sie mit Ihrer Kampagne abhelfen?
Genau. Mit unserer Aufklärungsini­tiative wollen wir dazu beitragen, dass sich dies ändert. „Hoch im Kurs“ bietet vier Unterrichtsbausteine zu Wirtschaftsthemen. Es geht um Zinsen, Inflation, Finanzkrise und andere Grundlagen. Seit 2006 haben Lehrer bundesweit bereits über 1,1 Millionen Hefte des BVI angefordert. Flankierend zu den ­Unterrichtsmaterialien vermitteln Praktiker aus den Fondsgesellschaften den Schülern seit April 2010 auch persönlich Informationen — sozusagen aus erster Hand. Inzwischen nehmen mehr als 500 Schulen an dem Programm teil. Trotz des Erfolgs können solche privaten Initiativen aber nur eine Behelfslösung sein. Finanzbildung ist ein öffentlicher Auftrag und sollte vom Staat im ­Rahmen eines Schulfachs vermittelt werden. 

zur Person:

Fürsprecher eines Traditionsprodukts
Thomas Richter wurde am 8. Juni 1966 in Ansbach geboren. Er studierte Jura und Französisch in Limoges und Augsburg, war in einer Anwaltskanzlei in Toronto und als Berater für die EU in Georgien tätig. Richter ist geprüfter Börsenhändler und Investmentanalyst. Von 1995 bis 1998 arbeitete er bei der Deutsche Börse AG, anschließend bis zum Jahr 2007 in leitenden Positionen bei der DWS Investment GmbH. Von 2007 bis 2010 war er Mitglied der Geschäftsführung der DWS und Mitglied des Vorstands des BVI. Seit Oktober 2010 ist er Geschäftsführer, seit Juli 2011 Hauptgeschäftsführer des BVI.