Euro am Sonntag-Interview

Invesco-Chef Flanagan: "Zinserhöhung wahrscheinlich"

19.11.16 16:00 Uhr

Invesco-Chef Flanagan: "Zinserhöhung wahrscheinlich" | finanzen.net

Martin Flanagan, der Invesco-Chef, spricht im Interview mit Euro am Sonntag über Globalisierung, Zinserhöhung und Regulierung nach der US-Wahl.

von Frank-B. Werner, Euro am Sonntag

€uro am Sonntag: Sind Sie als Asset Manager mit dem Wahlergebnis zufrieden?
Martin Flanagan: Präsidentschaftswahlen in den USA sind dafür bekannt, dass sie an den Finanzmärkten für Verunsicherung sorgen, und der Clinton-Trump-Wettstreit war einer der erbittertsten der jüngeren Geschichte. Wir sind froh, dass die Märkte jetzt wieder nach vorne blicken können und nicht mehr von Unsicherheit durch die US-Wahlen überschattet werden.

Zu bedenken ist auch, dass Trump zwar die Wahl gewonnen und die Republikaner ihre Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus verteidigt haben, er aber kein traditioneller republikanischer Kandidat war und während seines Wahlkampfes offen führenden republikanischen Kongressabgeordneten widersprochen hat. Angesichts seines sichtlich angespannten Verhältnisses zu einigen Kongressabgeordneten der Republikaner wird viel davon abhängen, wie die Trump-Administration die verschiedenen politischen Ziele, die Trump sich im Wahlkampf auf die Fahne geschrieben hat, priorisiert.

Wird die Fed jetzt die Zinsen anheben? Mit wie vielen Zinsschritten rechnen Sie in den nächsten zwölf Monaten?
Wir halten eine Zinserhöhung im Dezember aktuell für sehr wahrscheinlich. Darüber hinaus lässt sich wenig sagen, da die Zinsentscheidungen der Fed sehr stark von der Datenlage abhängen. Die Fed wird auch schauen, wie Märkte und Wirtschaft zum jeweiligen Zeitpunkt insgesamt dastehen, also auch Dinge wie die Inflation, die Arbeitslosigkeit und andere Faktoren berücksichtigen. Unser Basisszenario geht von ein oder zwei weiteren Zinserhöhungen im Jahr 2017 aus. Je nachdem, wie sich das Umfeld entwickelt, könnte sich dieser Ausblick aber auch ändern. Welche Auswirkungen hat das Wahlergebnis auf die Finanzmarktregulierung?
Die Finanzkrise ist seit mehr als sieben Jahren vorbei. Seither haben wir einen wahren Tsunami an neuer Finanzmarktregulierung erlebt. Trotzdem haben die Populisten, die gegen die Finanzinstitutionen wettern, in den jüngsten Bundesstaatswahlen und auch der Präsidentschaftswahl weiter an Zulauf gewonnen. Daher treten beide großen Parteien für eine Wiedereinführung des Glass-Steagall-Gesetzes ein, das die Aktivitäten der Großbanken stark reglementieren würde, und fordern schärfere Sanktionen für Fehlverhalten von Wall-Street-Managern sowie eine stärkere Beschränkung der Managergehälter in großen Finanzinstituten. Bei aller Schärfe dieser Rhetorik ist völlig offen, welche konkreten Folgen die Präsidentschaftswahlen in diesem Bereich letztlich haben werden.

Der Kongress wird polarisiert bleiben. Daher wird es sehr schwer werden, bedeutende neue Gesetze für den Finanzsektor durchzubringen. Die durch den Dodd-Frank Act bedingte Regulierungswelle ist weitgehend vorbei. Einige wenige Vorschriften sind noch zu finalisieren. Ohne neue gesetzliche Ermächtigungen wird es nicht leicht sein, bedeutende neue Regulierungsvorschläge zu generieren.

Die vielleicht größten potenziellen Auswirkungen der Wahl betreffen die neu ernannten Finanzpolitiker, die der amerikanischen Finanzpolitik in den nächsten vier Jahren ihren Stempel aufdrücken werden. Dazu gehört der neue Finanzminister genauso wie die Leiter von SEC, CFTC und Bankaufsichtsbehörden, die fast alle im ersten Jahr der Amtszeit des neuen Präsidenten neu ernannt werden. Je nachdem, wo ihre Prioritäten liegen, könnten sich diese neuen Entscheider deutlich aggressiver bei der Durchsetzung von Vorgaben zeigen, neue aufsichtsrechtliche Beschränkungen einführen oder kontroverse Reformen vorschlagen - oder sie könnten sich stärker zurückhalten, wenn die Erinnerungen an die Finanzkrise weiter verblassen und Sorgen über die negativen Auswirkungen der Regulierung auf die Wirtschaft stärker in den Vordergrund rücken. In jedem Fall wird einige Zeit vergehen, bis diese wichtigen Positionen besetzt sind, und dieser Prozess wird das Tempo der Neuregulierung zumindest in der ersten Jahreshälfte 2017 deutlich bremsen. Stehen auf der politischen Agenda des neuen Präsidenten Punkte, von denen bestimmte Sektoren (der Realwirtschaft) profitieren werden? Werden Ihre Fondsmanager darauf reagieren?
Es ist noch zu früh, um zu sagen, welche Sektoren letztlich von der neuen Administration profitieren könnten. Tatsächlich führen Wahlversprechen nur selten unmittelbar zum politischen Kurswechsel, sondern zunächst einmal zu intensiven politischen Auseinandersetzungen und Verhandlungen. Angesichts der vielen neuen politischen Weichenstellungen, für die sich Trump im Wahlkampf eingesetzt hat, hängt viel davon ab, welche Reformprojekte höchste Priorität erhalten - schließlich kann die Regierung nicht alles auf einmal angehen.

Ein Bereich, der unter der neuen Regierung profitieren dürfte, sind Sektoren wie die Grundstoffindustrie, die von höheren Infrastrukturausgaben profitieren dürften. Beide Präsidentschaftskandidaten haben klargestellt, dass Wiederaufbau und Modernisierung der maroden Infrastruktur in den USA - Straßen, Brücken, Stromnetz usw. - für sie höchste Priorität hat. Infrastrukturprojekte scheinen großen Rückhalt in der Bevölkerung zu haben. Daher halten wir Fortschritte in diesem Bereich für wahrscheinlich.

In jedem Fall werden unsere Investmentteams die politischen Entwicklungen in Washington genau im Auge behalten und ihre Portfolios bei Bedarf entsprechend anpassen. Situationen wie diese machen die Vorteile des aktiven Portfoliomanagements besonders deutlich. Donald Trump hat seine Wahlkampagne unter das Motto "America first" gestellt. In Europa ist der Widerstand gegen TTIP groß. Erleben wir das Ende der Globalisierung? Was könnte das für Invesco als globalen Investmentmanager bedeuten?
Sehen wir einmal von der Wahlkampf-Rhetorik in den USA und protektionistischen Parolen in anderen Teilen der Welt ab, glauben wir nicht, dass wir derzeit das Ende der Globalisierung erleben. Die EU und Kanada haben vor gerade einmal zwei Wochen ein Freihandelsabkommen unterzeichnet und die Regierungen scheinen dem Freihandel (bei aller anderslautenden Rhetorik) insgesamt weiter verpflichtet.

Als globaler Investmentmanager setzen wir uns dafür ein, unseren Kunden zu helfen, ihre Anlageziele zu erreichen. Wir haben Investmentteams in den wichtigsten Städten und Märkten überall auf der Welt. Das betrachten wir als echte Stärke unseres Unternehmens. Durch unsere Niederlassungen in mehr als 25 Ländern sind wir nahe bei unseren Kunden. Das hilft uns, ihre Bedürfnisse besser zu verstehen und zu bedienen. Durch unsere Investmentteams in bedeutenden Städten behalten wir den Überblick über alle wichtigen Entwicklungen für die Märkte und die Unternehmen, in die wir investieren. Egal, wie es mit der Globalisierung weitergeht - wir sind sehr gut aufgestellt, um die Bedürfnisse unserer Kunden zu erfüllen.

Bildquellen: Lara Rossigno/lInvesco Ltd., Ufuk ZIVANA