Moskauer Börse: Vorsicht ist angebracht!
Die Aktienkurse sind kräftig gestiegen, weil sich der Ölpreis erholt hat. Doch: Moskau bleibt nach außen auf Konfliktkurs, Reformen fehlen.
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von Jörg Billina, Euro am Sonntag
An Weißwürsten, Blasmusik und Alpenkulisse durften sich nur die Staats- und Regierungschefs der G-7-Länder erfreuen. Wladimir Putin hatte dagegen von der Bundeskanzlerin keine Einladung zum Gipfel auf Schloss Elmau erhalten. Mit der Annexion der Krim und seiner Einmischung in den Konflikt in der Ostukraine habe Russlands Präsident gemeinsame Werte verletzt, begründete die Gastgeberin ihre Entscheidung. Und Anzeichen für eine Rückkehr des Atom- und Ölstaats in das Forum der Mächtigen erkennt Angela Merkel derzeit auch nicht. Gut möglich deshalb, dass der Kreml-Chef beim Gipfel im kommenden Jahr in der japanischen Stadt Shima wieder nicht mit von der Partie sein wird.
Der Platzverweis für Putin findet hierzulande keinen ungeteilten Beifall. Ein Treffen der G 7 mit Russland hätte Moskau zu positiven Schritten im Ukraine-Konflikt bewegen können, sagt Eckhard Cordes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Putins Entgegenkommen beziehungsweise die konsequente Umsetzung des vor vier Monaten vereinbarten Minsker Friedensabkommens ist Bedingung für eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland. Unter den Strafmaßnahmen des Westens und den Gegenreaktionen des Kreml leiden nicht zuletzt Deutschlands Maschinenbauer. Im ersten Quartal 2015 schrumpften die Ausfuhren nach Russland im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent. Auch die übrigen EU-Staaten spüren die Folgen. Der Handelsaustausch mit Russland reduzierte sich im vorigen Jahr um zehn Prozent.
Es war bereits das zweite Mal, dass Russlands Präsident nicht am Dialog der Sieben teilnehmen durfte. Als Gesprächsthema war der Mann aus dem Kreml dennoch präsent. Denn im Osten der Ukraine werden die Kämpfe zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee nach relativer Ruhe wieder intensiver geführt. EU und USA fürchten eine neue Spirale der Gewalt. Auch eine Ausweitung des Konflikts über die bislang schon betroffenen Gebiete hinaus wird nicht mehr ausgeschlossen.
Es ist daher unwahrscheinlich, dass die 28 Staaten der Europäischen Union trotz der damit verbundenen Nachteile Ende des Monats eine Lockerung oder gar die Aufhebung der vor einem Jahr in Kraft getretenen Sanktionen beschließen werden. Derzeit sieht es eher nach einer Verschärfung der Maßnahmen aus. "Auch wenn wir das nicht wollen", wie die Kanzlerin sagt.
Sanktionen schmerzen
Putin, der sich in Russland weiterhin hoher Popularität erfreut, wird sich davon nicht beeindrucken lassen. Doch die Sanktionen erschweren die notwendige Modernisierung der Wirtschaft. "Russlands Technologieunternehmen sind auf Bauteile aus dem Westen angewiesen, die notwendigen Produkte lassen sich nicht so schnell substituieren", sagt Odeniyaz Dzhaparov, Fondsmanager des DWS Russia.Zudem schmerzen die Finanzsanktionen. Russlands Unternehmen haben keinen oder nur einen sehr erschwerten Zugang zu westlichem Kapital. Kredite im eigenen Land aufzunehmen ist vielen aber zu teuer. Das dämpft nicht nur die Investitionsbereitschaft, sondern verdirbt auch den Banken das Geschäft. Die Konsumenten halten sich ebenfalls zurück. Die Preise sind infolge der Sanktionen deutlich gestiegen. Das spürt beispielsweise die Automobilindustrie. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Verkäufe um 40 Prozent gesunken.
Die Auswirkungen auf Russlands Wirtschaft sind jedoch weniger gravierend als zunächst erwartet. Statt um fünf Prozent wird das Bruttoinlandsprodukt laut Weltbank in diesem Jahr nur um 2,7 Prozent zurückgehen. Im kommenden Jahr sollte wieder ein Plus von 0,7 Prozent, 2017 sogar von 2,5 Prozent möglich sein. Ein Grund für die nach oben korrigierten Prognosen: Öl notiert wieder höher. Im vorigen Jahr war der Preis für das schwarze Gold um über 60 Prozent auf 45 Dollar eingebrochen. Aktuell kostet ein Barrel Brent 65 Dollar.
Doch für Russlands Staatshaushalt, der sich zur Hälfte aus Rohstoffexporten finanziert, reicht der Preisanstieg nicht. Die Regierung ist gezwungen, den Rotstift anzusetzen - unter anderem werden auch die Ausgaben für die 2018 stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft gekürzt. Pech für westliche Unternehmen, die am Bau von Stadien, Hotels und der Erweiterung des Eisenbahnnetzes beteiligt sind.
Die etwas helleren Perspektiven spiegeln sich dennoch an der Börse wider. Gaben die Kurse im zweiten Halbjahr 2014 um über 42 Prozent nach, schaffte der in Dollar notierende Leitindex RTS Interfax seit Januar ein Plus von 24 Prozent. Auch die Erholung des Rubel, der im vorigen Jahr im Vergleich zu Euro und Dollar dramatisch an Wert verloren hatte, motivierte viele Anleger in den vergangen Monaten zum Einstieg.
Die wiedergewonnene Stärke der russischen Währung ist das Verdienst von Notenbankchefin Elvira Nabiullina. Sie schraubte die Zinsen von 10,5 auf 17 Prozent hoch. Dafür wurde sie zwar heftig kritisiert, doch so verhinderte sie nicht nur einen weiteren Anstieg der Inflationsrate. Der große Zinsschritt dämpfte auch die Kapitalflucht. Im ersten Quartal des vergangenen Jahres wurden 64 Milliarden Euro außer Landes geschafft, im gesamten Jahr 135 Milliarden. In den ersten drei Monaten des laufenden Jahres waren es nach Angaben der Notenbank nur noch 29 Milliarden. Mittlerweile hat Nabiullina den Leitzins wieder auf 12,5 Prozent zurückgefahren. Im Lauf dieses Jahres dürfte sie die Zinsschraube noch weiter lockern.
Strukturreformen bleiben aus
Fondsmanager Dzhaparov rechnet aber nicht damit, dass dies die Aktienkurse in Moskau noch einmal beflügeln wird: "Weitere Zinssenkungen sind mittlerweile eingepreist, neue Käufer werden sich deswegen kaum finden." Der frühere Mitarbeiter der turkmenischen Zentralbank unterstellt dem russischen Aktienmarkt bis Ende des Jahres nicht mehr allzu viel Potenzial, auch wenn viele Aktien immer noch günstig bewertet sind. "Die Erholung des Ölpreises war bislang ein wesentlicher Treiber, doch ein weiterer deutlicher Anstieg ist eher unwahrscheinlich."Um neue Kursfantasien zu wecken, bedarf es mehr. Kreml und Regierung könnten Investoren locken, wenn sie ein überzeugendes Maßnahmenpaket zur Belebung und Diversifizierung der rohstofflastigen Wirtschaft vorlegen würden. Gerade jetzt wäre es dringend notwendig. Denn die Hoffnung in Moskau, die heimische Industrie würde durch die Sanktionen gestärkt werden, hat sich nicht erfüllt. An umfassende Strukturreformen glaubt Dzhaparov aber nicht. "Die Dominanz des Staates wird wohl weiterhin notwendige privatwirtschaftliche Initiativen behindern."
So aber riskiert Präsident Putin nicht nur, den angestrebten Anschluss Russlands an die Industriestaaten zu verpassen. Der Staat droht auch gegenüber anderen Schwellenländern zurückzufallen. Kurzzeitige Kursaufschwünge an der Börse können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Russland in einer tiefen Krise steckt.
Investor-Info
DWS Russia
Schon gut gelaufen
Fondsmanager Odeniyaz Dzhaparov investiert in Titel, die hohe Dividenden ausschütten, wie die Energiewerte Gazprom und Lukoil. Das schützt das Portfolio vor den generell starken Schwankungen der Moskauer Börse. Interessant sind für ihn derzeit Konsumwerte, die trotz Rezession Marktanteile gewinnen können. Zu seinen Top-Investments zählt auch die Sberbank. Nach der jüngsten Erholung sieht der Manager aber nicht mehr allzu viel Potenzial.
Lyxor ETF Russia
Konzentriert auf Energie
Der Exchange Traded Fund (ETF) bildet die Wertentwicklung russischer Aktienschwergewichte ab. Zu diesen zählt etwa das Konsumunternehmen Magnit. Mehr als 58 Prozent der Mittel entfallen auf Energiewerte wie Surgutneftegaz oder Rosneft. Die Kursentwicklung des ETF ist daher stark an den Ölpreis gekoppelt. Die Finanzbranche ist mit über 17 Prozent gewichtet. 2014 verlor der ETF 44 Prozent. Nach der Kurserholung in diesem Jahr - plus 33 Prozent - empfiehlt es sich für Investierte, Gewinne mitzunehmen.
JP Morgan EM Small CAP
Je nach Marktlage investieren
Amit Metha investiert breit in Schwellenländerunternehmen mit geringer Marktkapitalisierung. Russische Aktien hat der Fondsmanager aktuell mit vier Prozent gewichtet. Kein russischer Wert ist jedoch unter den Top-Ten-Titeln. Bei indischen oder chinesischen Unternehmen sieht er bessere Chancen, auf sie entfallen 14 beziehungsweise zwölf Prozent. Die Gewichtungen kann Metha je nach seiner Markteinschätzung verändern. Auf Sicht von fünf Jahren erzielte der Fonds 49 Prozent.Weitere News
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