Brasilien: Neuer Präsident lässt Anleger jubeln
Rentnerparadies adé: Präsident Bolsonaro hat überraschend die Rentenreform durchgesetzt und plant weitere marktliberale Veränderungen. Das drückt die Staatsverschuldung und lässt Börsianer applaudieren.
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von Emmeran Eder, Euro am Sonntag
Die Abholzung des Amazonas-Regenwalds in Brasilien soll dieses Jahr gegenüber 2018 um 90 Prozent gestiegen sein. Dafür verantwortlich gemacht wird vor allem der erste Mann im Staat, Jair Bolsonaro. Er betreibt eine Politik, die rücksichtslos auf industrielle Agrarproduktion setzt. Ursache dafür ist nicht zuletzt, dass die Agrarlobby ihn finanziell stark im Wahlkampf unterstützt hat. Kurzfristig bringt die umstrittene Agrarpolitik zwar Wachstum, langfristig dürfte sie aber von Nachteil sein.
Jedoch tut man Bolsonaro Unrecht damit, ihn als einzigen Bösewicht abzustempeln. Denn in Bolivien, Indonesien und im Kongo wird ähnlich viel Regenwald vernichtet wie in Brasilien. Da Bolsonaro sich aber nicht einmal den Anschein gibt, in irgendeiner Weise an Umweltpolitik interessiert zu sein, ist er der Buhmann. Mit Sprüchen wie "Umweltschutz ist etwas für Leute, die Grünzeug essen", schadet er dem internationalen Image Brasiliens.
Profiteur des Freihandels
In den Hintergrund rücken dabei Erfolge wie das erst vor Kurzem geschlossene Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur. Nach fast 20 Jahren Verhandlungen sollen Zölle im Wert von vier Milliarden Euro auf beiden Seiten des Atlantiks wegfallen. Brasilien dürfte einer der Hauptprofiteure des Abkommens sein, was der kriselnden Wirtschaft am Zuckerhut guttäte. Mit seinem aggressiven Anti-Umwelt-Kurs ruft Bolsonaro aber Umweltverbände und Nichtregierungsorganisationen auf den Plan, die der EU nun die indirekte Unterstützung der Regenwaldabholzung vorwerfen.
Das Freihandelsabkommen ist nicht das einzige geglückte Vorhaben, das Bolsonaro im ersten Jahr seiner Amtszeit auf der Habenseite verbuchen kann. Sein größter Erfolg ist die Rentenreform, die er überraschend im September durchgesetzt hat. Bisher können Brasilianer nach 30 bis 35 Beitragsjahren in Rente gehen. Viele hören daher schon mit 55 oder sogar 50 Jahren auf zu arbeiten. Das belastet den Staatshaushalt enorm. Die Verschuldung des Landes ist mit knapp 80 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) hoch, das Haushaltsdefizit liegt bei sieben Prozent vom BIP.
Die Rentenreform bringt nun Entlastung. In den nächsten zehn Jahren sollen dadurch 800 Milliarden Real, was 178 Milliarden Euro entspricht, eingespart werden. Künftig dürfen Männer sich erst mit 65 Jahren und Frauen frühestens mit 62 Jahren aufs Altenteil zurückziehen. Die Invalidenrente soll gekürzt werden.
Rentenreform war alternativlos
Es gab zwar Proteste, allerdings bestand auch über politische Grenzen bei den Parteien hinweg Einigkeit, dass Veränderungen unumgänglich sind. Daher gelang es Bolsonaro, die Reform durch den Nationalkongress zu bringen. Zudem machte er einige Ausnahmen. Bundespolizisten gehören nicht dazu. Unklar ist auch noch, ob Militärangehörige, die die höchsten Pensionen aller Berufsgruppen erhalten, auch von den Neuerungen betroffen sind. Das ist noch nicht entschieden.
Thierry Larose, Portfoliomanager bei Vontobel Asset Management, lobt dennoch die Wende in der Rentenpolitik: "Die Reform ebnet den Weg für hohe staatliche Einsparungen und eine Verbesserung der Schuldenquote des Lands", so der Südamerika-Kenner.
Das zeigt sich auch bei den Credit Default Swaps (CDS), den Kreditausfallversicherungen. Je billiger diese sind, desto niedriger wird das Ausfallrisiko der Staatsanleihen Brasiliens eingeschätzt. Aktuell notieren diese auf dem niedrigsten Niveau seit 2013. Das erstaunt, da die Ratingagentur Standard & Poor’s Anleihen des Landes immer noch als "Ramsch" einstuft, und zeigt den Vertrauensvorschuss der Investoren.
Begründet ist der auch darin, dass der Finanzminister Bolsonaros, Paulo Guedes, vor Kurzem ein ganzes Paket neuer Reformen ins Parlament eingebracht hat. Dazu zählt etwa, dass es der Regierung erlaubt wird, die Gehälter im öffentlichen Dienst zu senken. Neueinsteiger bekommen keine Jobgarantie mehr. Zudem soll das komplizierte Steuersystem überarbeitet werden.
Überdies soll das staatliche Münzprägemonopol gelockert und der größte staatliche Stromversorger Südamerikas, Eletrobrás, privatisiert werden. Anders als geplant, will der Staat auch keinen so großen Anteil behalten, dass er ein Vetorecht hat. Einige der Reformvorhaben dürften allerdings im Nationalkongress auf heftigen Widerstand stoßen. Dort besitzt Bolsonaros Partei keine Mehrheit, er muss sich also bei anderen Parteien Unterstützer suchen.
Ungeachtet dessen bejubelt die Börse in São Paulo die Gesetzesvorhaben bereits. Der Leitindex Bovespa ist auf ein neues Allzeithoch geklettert. Dazu beigetragen haben auch mehrere Zinssenkungen der Zentralbank. Seit Juli sank der Leitzins von 6,5 Prozent auf ein Allzeittief von fünf Prozent. Im kommenden Jahr dürfte es nach Ansicht von Marktbeobachtern noch weitere kleine Zinsschritte nach unten geben - da die Inflation jedoch bei drei Prozent liegt, nur noch in Maßen.
Mit den Zinssenkungen und den Reformen sollen Investoren angelockt und die seit Jahren darbende Konjunktur wieder in Schwung gebracht werden. Seit einer heftigen Rezession in den Jahren 2015/2016 wächst die Wirtschaft nur mäßig. 2019 sollen es 0,8 Prozent sein, 2020 rechnen Experten aber mit 1,8 Prozent BIP-Zuwachs. Das reicht zwar nicht, um die Arbeitslosigkeit von elf Prozent deutlich zu senken, ist aber ein Hoffnungszeichen. Von daher stehen die Chancen gut, dass der Aktienmarkt des Landes seinen Aufwärtstrend fortsetzt - zumal sich die Währung Real zuletzt stabilisiert hat.
Die OPEC klopft an
Hilfreich ist zudem, dass die wichtige Ölproduktion künftig zulegen dürfte. Das Land fördert inzwischen so viel von dem Rohstoff, dass Saudi-Arabien es eingeladen hat, der OPEC beizutreten. 2019 wies es unter den Nicht-OPEC-Staaten nach den USA den zweithöchsten Anstieg der Ölproduktion auf.
Gerhard Heinrich, Analyst beim Schwellenländer-Infodienst Emerging Markets Trader, ist jedenfalls vorsichtig optimistisch: "Bolsonaro ist zwar unsympathisch und ein Chauvinist, der das Land spaltet. Seine Regierung bekommt aber Reformvorhaben durch, was ihn zum Darling der Börse macht."
Investor-Info
Zentralbank
Leitzins auf Allzeittief
In den vergangenen drei Jahren senkte die Zentralbank Brasiliens den Leitzins von sehr hohen 14 Prozent auf ein Allzeittief von inzwischen nur noch fünf Prozent. Das half zwar, die Wirtschaft zu stabilisieren, die 2015 und 2016 in einer tiefen Rezession versank, eine deutliche Erholung der Konjunktur lässt bisher aber auf sich warten.
iShares MSCI Brazil
Banken und Rohstoffe
Mit dem ETF von iShares können Anleger auf den brasilianischen Aktienmarkt setzen. Der ETF bildet den MSCI-Brazil-Index ab, der 55 der wichtigsten Unternehmen des Landes aus dem Large- und Mid-Cap-Bereich umfasst. Zu den Schwergewichten zählen Itaú Unibanco, der Rohstoffgigant Vale, Banco Bradesco und der Ölkonzern Petrobras. Finanz-, Energie-, Rohstoff- und Konsumunternehmen dominieren den Index.
EBRD Rep. Brazil Real-Anleihe
Rendite- und Währungschance
Brasiliens Landeswährung Real läuft seit einem Jahr seitwärts zum Euro. Durch die Reformmaßnahmen dürfte der Real stabil bleiben oder leicht steigen. Bei der Real-Anleihe der europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die bis Ende 2021 läuft, beträgt die Rendite aktuell 4,21 Prozent und liegt damit 4,9 Prozentpunkte über einer vergleichbaren Bundesanleihe. Mindestanlagesumme sind 5.000 Real, etwa 1.100 Euro. Da der Emittent eine supranationale Bank ist, besteht kein Rückzahlungs-, aber ein Devisenrisiko.
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