Analyse: Briten könnten nach Brexit-Abstimmung EU-Recht ignorieren
Experten des Bundestages halten es für möglich, dass Großbritannien bereits vor einem offiziellen Austritt aus der EU Unionsvorschriften missachtet.
Es erscheine zweifelhaft, "ob das Vereinigte Königreich in der Übergangszeit eine Veranlassung sehen würde, ungewollte EU-Regeln weiterhin zu befolgen", heißt es in einer als vertraulich eingestuften Analyse zum Referendum am kommenden Donnerstag (23. Juni). Aufgrund der Dauer eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) würde es zum Zeitpunkt eines möglichen Urteils der Rechtsprechung womöglich gar nicht mehr unterliegen.
In der Experten-Analyse, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, werden zudem ausführlich die möglichen wirtschaftlichen Folgen eines Brexits betrachtet. "Die Europäische Zentralbank (EZB) soll bei Instituten der Eurozone mit bedeutendem Geschäft im Vereinigten Königreich Informationen über deren Brexit-Notfallpläne angefordert haben", schreiben die Autoren. Die Institute der Londoner City führten bereits seit längerem entsprechende Stresstests durch und befürchteten massive und verlängerte Liquiditätskrisen.
Nach einer Studie der Bank HSBC könnte das britische Pfund in seinem Wert um bis zu 20 Prozent fallen, während die Inflation auf 5 Prozent steigen könnte. Außerdem ist demnach ein starker Zinsanstieg sowie ein Sinken der Wachstumsrate um bis zu 1,5 Prozent zu befürchten.
Als problematisch beschreiben die EU-Experten des Bundestages allerdings auch die Zugeständnisse, die Großbritannien für den Fall eines Verbleibs in der EU versprochen wurden. So wird zum Beispiel mit Blick auf die "Notbremse" zur Beschränkung von Sozialleistungen an Zuwanderer infrage gestellt, ob sie wirklich mit EU-Recht vereinbar ist. Ähnliches gilt für den Plan, in bestimmten Fällen eine Kürzung von Kindergeldzahlungen ins Ausland zu ermöglichen.
Als für "rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze ungewöhnlich" wird es bezeichnet, dass Großbritannien bereits vorab und ohne Prüfung eine Genehmigung für die Anwendung der "Notbremse" zugesagt wurde.
Aus juristischer Sicht wird darüber hinaus auch die vereinbarte Stärkung der EU-Veto-Rechte von nationalen Parlamenten skeptisch beurteilt. Sie ist demnach möglicherweise nur über eine komplizierte Änderung der EU-Verträge sauber umsetzbar.
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BERLIN (dpa-AFX)
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