Jürgen Klopp: Oben angekommen
Mit dem Champions-League-Finale gegen Bayern München erlebte der Fußballstratege Jürgen Klopp den vorläufigen Höhepunkt seiner Trainerkarriere. Wer ist der Mann, dem alles zu gelingen scheint?
von Oliver Müller, Euro am Sonntag
Eine geschickte Provokation ist Jürgen Klopp da gelungen. „Ich denke, im Moment muss die Fußballwelt auf unserer Seite sein“, sagte er in einem viel beachteten Interview mit dem englischen „Guardian“.
Die Gründe, warum sich der neutrale britische Fußballfan im Champions-League-Finale ausgerechnet hinter den BVB und eben nicht hinter den FC Bayern München stellen sollte, liefert der Trainer von Borussia Dortmund gleich mit. Der BVB sei, trotz Börsengang und Millionenschulden in der Vergangenheit sowie Rekordumsätzen in der Gegenwart, etwas komplett anderes als die Bayern. „Wir sind ein Verein, kein Unternehmen“, sagt Klopp, spricht über moderate Ticketpreise und die Bedeutung von Stehplätzen für die moderne Fußballwelt.
Der BVB sei ein „besonderer Verein, ein Arbeiterverein“, erklärte er. Es könne nicht der Dortmunder Weg sein, „Dinge zu tun wie bei Real Madrid oder Bayern, nicht an Steuern zu denken und der nächsten Generation unsere Probleme zu hinterlassen“. Sätze, die fast schon den Eindruck von Klassenkampf erwecken, der sich im ersten deutsch-deutschen Endspiel in der Königsklasse abspielen werde. Arm gegen Reich, Gut gegen Böse.
Klopp zeigt sich vor dem vorläufigen Höhepunkt, dem Duell um den Champions-League-Pokal gegen Bayern München, angriffslustig und eloquent wie immer. Er pflegt das Image des Underdogs. Dabei hat der Ballspielverein Borussia 09 e. V. Dortmund in den vergangenen Jahren eine — auch aus wirtschaftlicher Sicht — unglaubliche Erfolgsgeschichte hingelegt. Eine Geschichte, an der Klopp mitgeschrieben hat.
Aus Toren werden Euro
Der FC Bayern rechnet im aktuellen Geschäftsjahr erstmals mit einem Umsatz von über 400 Millionen Euro. Der BVB hofft dagegen, erstmals die 250-Millionen-Marke knacken zu können. Der Abstand ist groß, doch die Schere schließt sich.
Als Klopp vor fünf Jahren nach Dortmund kam, hatte der BVB in der vorigen Saison nur 107,56 Millionen umgesetzt. Der Verein hatte gerade eine existenzbedrohende Finanzkrise hinter sich. Eine überteuerte Mannschaft und eine maßlose Ausgabenpolitik hatten den Verein trotz des Börsengangs, der im Oktober 2000 einen Emissionserlös von 130 Millionen Euro in Kassen gespült hatte, fast in die Insolvenz geführt. Nur ein Gläubigerverzicht ermöglichte einen Neuanfang. In der Folge wurden Kosten drastisch reduziert, die Mannschaft extrem verjüngt.
„Uns fehlte nur ein passender Trainer, der unser neues Konzept umsetzen konnte“, erinnert sich Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA. Sie brauchten in Dortmund allerdings auch ein frisches, unverbrauchtes Gesicht, das den angestrebten Imagewandel — vom durchkommerzialisierten und größenwahnsinngen börsennotierten Fußballunternehmen hin zum liebenswerten Ausbildungsverein — auch nach außen verkörpert. Sie fanden beides in Klopp.
Die wirtschaftlichen Zwänge, mit denen er es in seinen ersten Jahren in Dortmund noch zu tun hatte, waren Klopp nicht bewusst, als er im Frühsommer 2008 zu ersten Gesprächen von Mainz nach Dortmund fuhr. Er hatte den BVB bis dahin eher aus der Sicht eines ehrgeizigen Trainers wahrgenommen. Ein Verein mit begeisterungsfähigen Fans, der ihm die Chance bieten würde, den nächsten Schritt in seiner Karriere zu gehen. „Ich bin die Aufgabe unvoreingenommen angegangen“, sagt er. Angst vor Herausforderungen hatte er noch nie.
Die hatte er auch bereitwillig angenommen, als seine Trainerlaufbahn im Februar 2001 begann. In den elf Jahren zuvor hatte er 325 Zweitligaspiele für Mainz absolviert. Seine Spielerkarriere, mit deren vermeintlicher Mittelmäßigkeit er heute gern kokettiert („Im Kopf war ich erste Bundesliga, mit den Füßen Landesliga — herausgekommen ist zweite Liga“), neigte sich damals dem Ende zu: Körperlicher Verschleiß und Existenzängste machten ihm zu schaffen.
Start zum Tiefpunkt
„Ich war 33 und ein alternder Spieler, so hat sich das angefühlt“, beschreibt Klopp seine Situation, als ihn der Mainzer Manager Christian Heidel im Trainingslager anrief und fragte, ob er nicht Trainer werden wollte.
„Wir hatten das Problem, dass unsere Mannschaft taktisch besser war als ihre Trainer“, erinnert sich Heidel. Doch da sich ja jemand auf die Bank setzen muss, kam er auf Klopp. Der war ja ohnehin über viele Jahre die Führungsfigur der Mannschaft gewesen. „Für die Antwort habe ich keine Sekunde gebraucht“, sagt Klopp heute.
Es folgte die Metamorphose eines Provinzklubs hin zu einem wohlwollend beachteten und bunten Underdog. Klopp setzte seine Idee vom schnellen Umschalten von Abwehr auf Angriff und umgekehrt um, professionalisierte die Strukturen, pushte sein Team auch mal mit ungewöhnlichen Methoden und hatte Erfolg: Er führte die Mannschaft von den Abstiegsrängen der 2. Liga bis in die 1. Bundesliga. Im Sommer 2004 stieg Mainz auf. Klopp war das Gesicht des Vereins, des Erfolgs. Schlagfertigkeit, Emotionen an der Seitenlinie und ein markantes Siegerlächeln machten ihn populär.
Von 2005 bis 2008 trat er zudem als Experte bei Länderspielübertragungen des ZDF auf. Bei der WM 2006 sahen im Schnitt 30 Millionen Menschen seine Analysen, er steigerte seine bundesweite Bekanntheit enorm. Die Zeiten, in denen er sich selbst um Werbeverträge bemühen musste, gehörten der Vergangenheit an. Zu Beginn seiner Trainertätigkeit war das noch anders. In Mainz war er noch persönlich an den Sportartikelhersteller Nike herangetreten und hatte gefragt, ob er, wenn er denn schon keinen offiziellen Ausrüstervertrag bekomme, nicht wenigstens ihre „Klamotten“ tragen könne? „Kohle will ich nicht“, hatte er damals gesagt. Er bekam die Klamotten und den Vertrag.
Marc Kosicke erzählt diese Anekdote gern. Er war damals noch Marketingmanager bei Nike und wurde von Klopp mit dem ungewöhnlichen Anliegen konfrontiert. 2007, ein Jahr vor Klopps Wechsel nach Dortmund, gründete er dann die Vermarktungsagentur Projekt B, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, insbesondere Trainer besser zu vermarkten. Sein prominentester Trainerkunde ist heute Jürgen Klopp. „Marc ist wirklich ein guter Freund von mir“, beschreibt Klopp die Verbindung zu Kosicke, die sich als für beide Seiten äußerst gewinnbringend herausstellte.
Das Bitten um einen Ausrüstervertrag für Trainingsklamotten ist Vergangenheit. Im Interview mit dem „Guardian“ steht auch der Satz: „Jürgen Klopp ist stolz, Puma zu tragen.“ Die Nennung des Sponsors als Gegenleistung für ein Interview — Klopp ist in der Welt der internationalen Vermarktung angekommen.
Er macht Werbung für Opel, für die Volksbank, den Elektronikriesen Philips. Die TV-Spots sind individuell auf ihn zugeschnitten, oftmals witzig. Peinliche Auftritte wie noch vor zwei Jahren bei der Fernsehwerbung für einen Kleisterhersteller (Metylan), als er etwas ungelenk auf einer Tapezierleiter stand und gekünstelt in die Kamera sprach („Bei jedem Einsatz Höchstleistung“) hat er nicht mehr nötig. Er verkauft sich teuer und gut. Seine Werbeeinnahmen wurden vor einem Jahr auf über 1,5 Millionen Euro geschätzt — und das war vor den internationalen Erfolgen des BVB in der Champions League.
Trotzdem ist Klopp selbst eher sparsam. Ausnahmen bestätigen hier die Regel: Vor einem Jahr hat er sich ein Haus auf Sylt gekauft.
Die Pizza-Connection
Hat der Erfolg den Menschen Klopp verändert? Fragt man seine Mitarbeiter beim BVB, bekommt man eine klare Antwort. Die immens gestiegene Popularität habe Klopp nicht verändert. Er sei fordernd, wenn es um die Belange der Mannschaft und die Qualität des Kaders gehe, setze sich aber nicht über gemeinsame Beschlüsse, die von Watz-
ke, Sportdirektor Michael Zorc und ihm getroffen werden, hinweg.
Regelmäßige persönliche Treffen zwischen den drei Entscheidern des BVB, gern auch mal bei Watzkes Stammitaliener Piazza Navona, bilden die Basis für das erfolgreiche Zusammenwirken des Dreigestirns. Hier werden auch die Kommunikationsstrategien wie die anhaltende Positionierung des BVB als „Arbeiterverein“, die die Bayern so ärgert, abgesprochen.
Klopp strebt auch — im Gegensatz zu Trainern wie etwa Felix Magath oder Louis van Gaal — keine totale Kontrolle an. „Ich bin nicht auf der Ebene der Geschäftsführung, ich arbeite noch wirklich“, flachst er und ist schlau genug, auch die Leistungen von Mitarbeitern medial ins rechte Licht zu rücken, wenn er das Gefühl hat, alles sei zu sehr auf ihn selbst fokussiert. Den Titelgewinn 2011 widmete er öffentlich Sportdirektor Zorc, der maßgeblichen Anteil an der Zusammenstellung der Mannschaft hatte. „Mit dem, was du hier hingestellt hast, war es gar nicht so schwer“, sagte er.
Bis 2016 steht Klopp noch in Dortmund unter Vertrag. Dann wird es spannend: Wird er noch einmal verlängern oder den nächsten Schritt wagen? Immer wieder wird er als möglicher Bundestrainer gehandelt. Fragen nach diesem Thema weicht er aus: Wer weiß schon, was in drei Jahren ist? Klar sei nur, dass er dann genau prüfen wolle, ob es „wirklich noch Sinn macht“, weiter zusammenzuarbeiten.
Die Chancen stehen gut, dass er dann mehr Auswahl haben wird als vor fünf Jahren. Denn bevor er in Dortmund unterschrieb, hatten sich Bayern München und der Hamburger SV gegen ihn entschieden. Die Bayern, weil sie Jürgen Klinsmann für den besseren Trainer hielten. Die Begründung der Hamburger wirkt heute — angesichts des Sympathieträgers Klopp — noch abenteuerlicher: Auftreten und Outfit seien nicht gut genug.
Vita
Jürgen Klopp wurde am 16. Juni 1967 in Stuttgart geboren und wuchs in Glatten bei Freudenstadt im Schwarzwald mit zwei älteren Schwestern auf. Den schwäbischen Dialekt hat er sich schon als junger Mann abtrainiert, doch auf seine Wurzeln ist Jürgen Klopp stolz. Vater Norbert Klopp, der im Jahr 2000 an Krebs starb, war sowohl ein Förderer als auch ein Kritiker der Fußballerkarriere seines Sohnes. Lob für den Junior, hat Jürgen Klopp einmal gesagt, sei seinem Vater eher schwer über die Lippen gekommen. Kurz nachdem die Trainerkarriere begann, starb Norbert Klopp. Nach sieben Jahren als Trainer in Mainz wechselte Jürgen Klopp zu Borussia Dortmund. Von da an begann die jüngste Erfolgsgeschichte des BVB. Auf die Meisterschaft 2011 folgte der Gewinn von Meisterschaft und DFB-Pokal 2012. Klopp ist in zweiter Ehe mit Ulla, einer Sozialpädagogin und Kinderbuchautorin, verheiratet, die einen Sohn mit in die Ehe brachte. Sein Sohn Marc aus erster Ehe wurde 1989 geboren.