Analyst: Stagflation in China ist ein "sehr reales" Risiko in den nächsten Quartalen
Wie jüngste Wirtschaftsdaten aus der Volksrepublik zeigen, kämpft China aktuell mit einem sinkenden Industrieoutput, während gleichzeitig die Preise immer weiter steigen. Mehrere Analysten sehen daher die Gefahr, dass sich das Land der Mitte auf dem Weg in eine Stagflation befindet.
Werte in diesem Artikel
• China kämpft mit wirtschaftlichem Abschwung und steigenden Preisen
• Energieengpässe verschärfen die Lage
• Ende der Lieferketten-Probleme noch nicht absehbar
Von einer Stagflation spricht man, wenn wirtschaftlicher Abschwung und steigende Inflation zusammen kommen. Der Begriff wurde erstmals während der Ölkrise der 70er Jahre geprägt, als den rasant wachsenden Preisen auf der einen Seite das scharf abfallende BIP-Wachstum auf der anderen Seite gegenüber stand. Nun sehen verschiedene Experten eine ähnliche Gefahr für die Volksrepublik China, was sich wiederum auf die ganze Welt auswirken dürfte.
Dabei berufen sich Marktexperten auf die jüngsten Konjunkturdaten aus dem Land der Mitte. So sei die Industriestimmung im Oktober zurückgegangen und verbleibe weiterhin unter der Expansionsschwelle, während im Vorfeld hingegen von einer leichten Erholung ausgegangen wurde. Dafür verantwortlich ist zum einen die anhaltende Rohstoffknappheit sowie immer wieder auftretende Energieengpässe, die ganze Landstriche in China zeitweise ohne Strom dastehen lassen. Darüber hinaus sorgen die verstopften Lieferketten dafür, dass schon lange erteilte Aufträge nicht ausgeliefert werden können, was die Wirtschaft zusätzlich ausbremst.
Und während sich die Stimmung in der Industrie weiter eintrübt, kennen die Preise nur eine Richtung - aufwärts. So ist der Erzeugerpreisindex in China im September im Vorjahresvergleich um 10,7 Prozent nach oben gesprungen.
Wirtschaftsstimuli keine Option
Dennoch sei es laut Autonomous Research-Analystin Charlene Chu in diesem Klima schwierig die Wirtschaft durch Stimuli anzufachen. Schließlich würde die aktuelle Energieknappheit durch Wirtschaftsanreize noch verschärft, da der Strombedarf dadurch noch weiter steigen würde. Auf der anderen Seite könnten Fabriken, die von Stromausfällen betroffen wären auch nicht zu einer wirtschaftlichen Erholung des Landes beitragen, wie Chu gegenüber CNBC erklärte.
China befindet sich daher in einer Art Patt-Situation: "Daher denke ich, dass wir uns derzeit in einer Situation wiederfinden in der eine Menge Faktoren auf das Wachstum drücken und diese werden so bald nicht verschwinden und wir werden wahrscheinlich in den nächsten paar Monaten auch keine aggressiven chinesischen Stimuli bekommen". Neben den bereits genannten Belastungsfaktoren drückt auch der in die Krise geratene Immobiliensektor, angeführt von China Evergrande, auf das Wachstum der Volksrepublik.
Im dritten Quartal ist die chinesische Volkswirtschaft lediglich um 4,9 Prozent gewachsen, was den geringsten Zuwachs in einem Jahr darstellt.
Stagflations-Gefahr "sehr real"
Die Gefahr einer Stagflation in China sei in den nächsten Quartalen daher "sehr real" wie es Chu formuliert. Mit dieser Meinung steht die Expertin nicht alleine da. Auch Zhang Zhiwei von Pinpoint Asset Management drückte gegenüber CNBC seine Sorge angesichts der Lage in China aus. Er geht jedoch noch einen Schritt weiter und erklärt, dass es Zeichen gebe, die darauf hindeuteten, China würde sich bereits in einer Stagflation befinden.
Er zieht als Begründung den Industrie-Produktions-Index heran, der zuletzt stark zurückgefallen sei, wobei zeitgleich der Erzeugerpreis-Index auf den höchsten Stand seit dessen erstmaliger Veröffentlichung in 2016 gestiegen sei.
Die ganze Welt ächzt unter den unterbrochenen Lieferketten
Doch nicht nur China sieht sich mit dieser schwierigen Lage konfrontiert. Die ganze Welt wurde durch die Corona-Pandemie auf wirtschaftlicher Ebene aus der Bahn geworfen. Mit der abrupt einbrechenden Nachfrage sah sich die Industrie mit zahlreichen stornierten Aufträgen konfrontiert. Eine Vielzahl an Material wurde nicht geordert und was angefordert wurde, konnte aufgrund von Lockdowns und Kontaktbeschränkungen nicht ausgeliefert werden. In diesem Jahr erfolgte dann, für viele viel früher als erwartet, die Trendwende. Die Nachfrage stieg auf einmal wieder, allerdings hatten die Bestellungen und Auslieferungen von vor und während der Krise noch gar nicht vollständig abgearbeitet werden können. Es kommt zum Stau der Waren, Lieferketten werden unterbrochen, die Folgen sind leere Regale und Material-Engpässe.
Die rasant wachsenden Energiepreise sorgen für zusätzlichen Druck und für wachsende Erzeuger- und Verbraucherpreise. Die Frage ist natürlich, wann diese durch die Corona-Pandemie hervorgerufene Ausnahmesituation wieder endet. HSBC-Expertin Shanella Rajanayagam gibt gegenüber Bloomberg an, die Störungen könnten "mindestens bis Mitte des nächsten Jahres" anhalten, auch wenn es nach dem Chinesischen Neujahr Anfang Februar bereits zu Erleichterungen kommen dürfte.
Eine Portion Glück
Dennoch dürfte auch Glück eine Rolle bei der Wiederherstellung der Lieferketten spielen, meint Simon Heaney von Dewry zu Bloomberg. Schließlich könnten extreme Wetterereignisse oder neue Corona-Hotspots erneut für Störungen sorgen. Daher solle seiner Meinung nach in mehr Logistik-Kapazitäten investiert werden.
Wie genau sich die Zukunft nach dieser Krise jedoch entwickelt und wie lange es dauert, der Stagflation zu entrinnen, bleibt zunächst nicht abzusehen, meint John Butler vom World Shipping Council zu Bloomberg: "Die aktuelle Situation ist einzigartig und ganz anders als alle eher isolierten Störungen, die die Welt bisher erlebt hat. Die Art wie sich der aktuelle Stau letztlich wieder auflöst, wird daher ebenfalls anders sein".
Redaktion finanzen.net
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