Verhasste Kursrallye
Man traut seinen Augen nicht, aber der amerikanische Technologieindex NASDAQ hat tatsächlich ein neues Allzeit-Hoch erreicht. Doch statt allgemeiner Freude mutiert die aktuelle Kursrallye zur meistgehassten Hausse in der Börsengeschichte.
Corona hat die Welt und die Börse im Sturm in Beschlag genommen. Doch so schnell wie sich die Viruswelle aufbaute, so schnell scheint der Spuk auch schon wieder vorbei zu sein - zumindest wenn man die Börse als Maßstab nimmt. Sollten die Ignoranten der Virus-Epidemie, allen voran Mr. Trump, der es als vorübergehendes Phänomen einstuft und möglichst rasch zurück zur Normalität will, etwa Recht bekommen!? Mediziner sind skeptisch. Eine weitere Viruswelle wird als wahrscheinlich angesehen, wenn die Schutzmaßnahmen einfach aufgehoben würden.
Die Börse ist da zuversichtlicher. Konnte man den Anstieg der Aktienkurse im April noch als überfällige Zwischenerholung des heftigen Kursabsturzes im März abtun, muss man nun nach weiteren massiven Kurssteigerungen konstatieren, dass wir mitten in einer V-förmigen Erholung zurück zu den alten Höchstständen im Februar sind. Im US-Technologieindex NASDAQ ist das V sogar schon vollendet. Der Index markiert bereits neue Allzeit-Hochs, nachdem viele der Techwerte von der Krise sogar profitierten.
Die Kurshausse wird genährt von der allgemeinen Skepsis der Marktteilnehmer, dass es das schon gewesen sein soll. Die Skepsis scheint durchaus begründet, denn die Hoffnung, dass sich die wirtschaftlichen Auswirkungen des temporären Shutdowns in Grenzen halten werden, muss sich erst noch der Realität stellen: nur wenige Branchen oder Firmen sind praktisch gar nicht von den Schutzmaßnahmen gegen das Virus betroffen oder gehen sogar als Gewinner aus der Krise hervor.
Die meisten Branchen spüren sehr wohl die Folgen oder können die weiteren Konsequenzen noch nicht abschätzen. Der Hauptknackpunkt bleibt in vielen Bereichen das Verhalten der Verbraucher: Werden die Konsumenten zu ihrem alten Verhalten zurückkehren? Und zwar in der Intensität wie vorher? Wird es Nachholeffekte geben oder einfach nur unwiderrufliche sunk cost durch den Shutdown? Für Gastronomie, Tourismus und Verkehr sieht es schlecht aus. Der industrielle Sektor sucht sein Heil in Kurzarbeit und Kosteneinsparungen. Wo sehen die Optimisten den Aufschwung, der die aktuellen Kurssteigerungen sowie die Aktienbewertungen, die mittlerweile sogar das Vor-Krisen-Niveau überschritten haben, rechtfertigen würde!?
Viele Marktteilnehmer trauen daher der neuen Euphorie am Markt nicht und setzen auf einen weiteren Rückschlag, ausgelöst von einer zweiten Virus-Welle. Dass die Aktienkurse stattdessen in Riesenschritten nach Norden streben, wird wohl als die meistgehasste Hausse in die Börsengeschichte eingehen. Nicht mal die verheerenden Arbeitslosenzahlen aus den USA konnten den Markt wieder drücken. Im Gegenteil: Schlechte Nachrichten führten absurderweise sogar zu noch höheren Kursen. Der Drang der Kurse zu den alten Höchstständen wird zunehmend schmerzhaft für Anleger, die weiterhin auf fallende Kurse warten. Doch so schnell wollen sie sich nicht geschlagen geben, und dies führt zu viel Volatilität am Aktienmarkt, vor allem dann wenn zum Beispiel ein Notenbanker nicht genau das sagt, was der Markt hören will.
Verantwortlich für die Kursrallye ist nicht ein wirtschaftliches Wiederaufbäumen, sondern die freie Liquidität, die durch die Notmaßnahmen der Notenbanken und billionenschweren Hilfs- und Konjunkturprogramme der Regierungen in den Markt gepumpt werden. Man kann nur hoffen, dass die Geldschwemme nicht einfach nur am Kapitalmarkt ankommt, sondern vor allem auch an den Stellen, wo es notwendig ist.
Die Auswirkung mangelnder Anlagealternativen im Niedrigzinsumfeld kennt man bereits von den Preissteigerungen der letzten Jahre im Immobilienmarkt. Man muss fest davon ausgehen, dass ähnliche Preisverwerfungen am Aktienmarkt drohen, solange sich die Geldschleusen immer weiter öffnen. Unter Börsianern hat sich der Slogan "Never fight the FED" eingebürgert, will heißen: sich bloß nicht gegen die Notenbankpolitik stellen, egal was die Fundamentaldaten sagen. Es muss allen Anlegern, die von ihren Positionen auf fallende Kurse nicht ablassen wollen, eine Warnung sein.
von Dr. Marc-Oliver Lux von Dr. Lux & Präuner GmbH & Co. KG in München
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