Frisst die chinesische Schlange Nvidia?
"Was hoch steigt, kann tief fallen", so lautet eine der gern zitierten Börsenweisheiten, die gestern viele Anleger auf dem falschen Fuß erwischt hat, meint Markus Richert, CFP® und Seniorberater Vermögensverwaltung bei der Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH in Köln.
Nvidia hat wieder einen Rekord aufgestellt. Der Börsenwert von Nvidia ist am Montag um fast 600 Milliarden Dollar abgesackt. Es ist der größte derartige Tagesverlust eines Unternehmens in der US-Börsengeschichte. Das vorher noch wertvollste Unternehmen der Welt ist damit auf Platz drei hinter Apple und Microsoft abgerutscht. Mit einem Wertverlust von 17 Prozent war der Kursrutsch von Nvidia aber am Montag noch nicht einmal der größte, Siemens Energy stürzte gar um gut 20 Prozent ab. Ausgelöst wurde der Kursrutsch, der auch zahlreiche andere Technologiewerte betraf, durch die Nachricht, dass der KI-Assistent des chinesischen Start-ups DeepSeek, gute Ergebnisse bringt, obwohl er deutlich kostengünstiger entwickelt wurde und Chips mit geringerer Leistung nutzt.
In China beginnt das Jahr der Schlange
Ein Vorgeschmack auf das neue Jahr in China? Am 29. Januar beginnt nach dem traditionellen chinesischen Kalender ein neues Jahr, das im Zeichen der Schlange stehen wird. Die Schlange symbolisiert Weisheit, Klugheit und strategisches Denken. Alles Eigenschaften, die für einen Neuanfang stehen könnte. Historisch gesehen waren Jahre der Schlange oft von bedeutsamen wirtschaftlichen Reformen und technologischen Fortschritten geprägt, so etwa 2013. Damals markierte das Jahr einen Wendepunkt für Chinas wirtschaftliche und strukturelle Entwicklung. Auf dem dritten Plenum des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas wurden weitreichende Reformen beschlossen. Darunter eine stärkere Marktöffnung, die Förderung von Innovation und technologischer Entwicklung sowie die Liberalisierung des Finanzsektors. Diese Maßnahmen legten den Grundstein für Chinas langfristige wirtschaftliche Erfolge und dessen globale Stellung als wirtschaftliche Großmacht.
Wird das Jahr 2025 wieder ein Wendepunkt?
Die Technologiebranche bleibt ein zentraler Wachstumstreiber. China investiert massiv in künstliche Intelligenz, Halbleiterfertigung und digitale Infrastruktur, um seine globale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Bis vergangenen Freitag galten die USA als die dominierende Führungsmacht im Bereich künstlicher Intelligenz. Viele Analysten gingen davon aus, dass die US-Tech-Unternehmen einen uneinholbaren Vorsprung besitzen. Dies spiegelte sich auch im Kurs der Nvidia-Aktien wider, die in den letzten Monaten kontinuierlich neue Höchststände erreichten. Um ihre Marktposition zu sichern, führte die US-Regierung strenge Ausfuhrbeschränkungen für KI-Chips ein. Doch das chinesische Start-up DeepSeek sorgte gestern für Aufsehen. Es gab bekannt, ein leistungsstarkes KI-Modell entwickelt zu haben, das mit deutlich weniger Rechenleistung und Kosten trainiert wurde. Weniger als sechs Millionen Dollar und auf wenigen abgespeckten Nvidia-Chipsystemen soll der Chatbot aus China angelernt worden sein. Erste Tests zeigten, dass es mindestens genauso gut wie der bisherige Marktführer ChatGPT ist. Erste Beobachter sprechen bereits von einer KI-Zeitenwende.
DeepSeek punktet mit Open-Source-Ansatz
Ob die Angaben tatsächlich stimmen, ist derzeit unklar. China gilt allgemein nicht als Vorreiter in Sachen Offenheit und Transparenz. Umso überraschender ist die freizügige Herangehensweise des Chatbots von DeepSeek. Das Unternehmen setzt auf Open-Source-Modelle, bei denen der Quellcode öffentlich einsehbar ist. Die Daten werden zwar auf Servern in China gespeichert, jedoch bietet DeepSeek die Möglichkeit, die Software individuell anzupassen und auf eigenen Servern zu betreiben. Kürzlich veröffentlichte das Unternehmen eine kostenlose App, die sofort Spitzenplätze in den Download-Charts erreichte. Datenschutz bleibt ein wichtiges Thema, doch ersten Einschätzungen zufolge ist der potenzielle Datenabfluss als moderat einzustufen. Zumindest für Nutzer, die bereits TikTok auf ihrem Smartphone installiert haben, scheint Deepseek keine übermäßigen zusätzlichen Risiken mit sich zu bringen.
Konsequenzen für die Anleger?
Der Hype um Künstliche Intelligenz (KI) führte in den vergangenen Monaten zu einem enormen Kapitalzufluss in Technologieaktien, wodurch die Bewertungen stark anstiegen und die Aktienmärkte auf neue Höchststände trieben. Erst letzte Woche stellte US-Präsident Donald Trump das Joint Venture "Stargate" vor, einen privatwirtschaftlichen Plan für Investitionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar in die KI-Infrastruktur. Analysten erwarten durch das kostengünstige Modell von DeepSeek eine Neubewertung der sogenannten "Glorreichen Sieben". Diese Gruppe, bestehend aus Apple, Microsoft, Nvidia, Amazon, Alphabet, Meta und Tesla, dominiert derzeit mit ihren teuren Diensten den KI-Markt. Die "Glorreichen Sieben" sind zugleich bekannt für ihre Marktdominanz und ihren starken Einfluss auf die Börsenindizes Nasdaq und S&P 500. US-Präsident Trump sprach gestern von einem "Weckruf" für die US-Industrie, die sich auf einen verstärkten Wettbewerb einstellen müsse. Auch für Anleger ist dies ein "Weckruf". Eine zu starke Fokussierung auf wenige Titel birgt Risiken. Eine diversifizierte Anlagestrategie wird zunehmend wichtiger, um von künftigen Entwicklungen zu profitieren und Risiken zu minimieren.
"Billig-KI" made in China?
Im vergangenen Jahr forderte China mit seinen günstigen Onlinehändlern wie Temu und Shein das etablierte Geschäftsmodell von Amazon heraus. Im Jahr der Schlange scheint der Fokus nun auf "Billig-KI" zu liegen. Grundsätzlich ist Künstliche Intelligenz ein langfristiger Megatrend, der sich noch in den Anfängen befindet. Mehr Wettbewerb in diesem Bereich ist langfristig zu begrüßen, da er Innovation und Dynamik fördert. Kurzfristige Kursrückgänge in der Branche können Anlegern zudem Chancen eröffnen, denn: "Nur was tief fällt, kann hoch steigen."
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