Die Rückkehr des Establishments
Die USA haben gewählt und das Ergebnis überraschte. Zumindest die Mehrheit der Deutschen hatten mit einem eindeutigeren Ergebnis gerechnet.
Wie es aussieht hat der Herausforderer Biden die Wahl gewonnen. Allerdings denkbar knapp. Der Amtsinhaber Donald Trump, will seine Niederlage noch nicht akzeptieren und kämpft noch um sein Amt. Für die meisten Beobachter ein aussichtsloser Kampf. Aber immerhin mehr als 70 Millionen Amerikaner haben Trump gewählt.
Die Demokratische Partei ist mit 45,7 Millionen registrierten Anhängern die größere der beiden großen Parteien in den USA. Mit Joe Biden schickte man einen klassischen Kompromisskandidaten ins Rennen um das Weiße Haus. Es verwunderte viele, das Joe Biden der beste Kandidat der Demokraten sein sollte, um gegen Trump zu gewinnen. Ein Politiker, der bei Amtsantritt schon 78 Jahre alt ist und der eigentlich bereits das Ende seiner Politikerkariere erreicht hatte. Trump verwendete den Begriff "Establishment" gerne als populistischen Vorschlaghammer gegen die bestehende Machtstrukturen in Washington. Mit Joe Biden wird jetzt ein idealtypischer Vertreter dieses Establishment in Washington sein Nachfolger. Von 1973 bis 2009 gehörte er als Vertreter des Bundesstaates Delaware dem Senat der Vereinigten Staaten an. Von 2009 bis 2017 war er unter Präsident Barack Obama der 47. US-Vizepräsident. Viel mehr Establishment geht eigentlich nicht mehr.
Die Entscheidung im Senat ist noch offen
Die Börsen weltweit reagierten positiv auf das vorläufige Ergebnis. Noch vor Bekanntwerden der jüngsten Nachrichten zur Impfstoff-Hoffnung Biontech legten die Märkte auf breiter Front zu. Denn die Demokraten haben zwar scheinbar die Präsidentschaftswahl gewonnen. Im Senat, einer der beiden gesetzgebenden Kammern der USA, ist noch offen, welche Partei die Mehrheit der Sitze stellt. Zuletzt zeichnete sich hier ein Sieg für die Republikaner ab. Im Januar stehen noch zwei entscheidende Stichwahlen an. Sollten die Republikaner im Senat ihre knappe Mehrheit behaupten, bedeutete dies, dass Biden nicht "durchregieren" kann. Viele seiner Vorhaben würde er, wenn überhaupt, nur als Kompromiss durchsetzen können. Innenpolitisch könnte er nur sehr eingeschränkt agieren. Die von vielen befürchteten Steuererhöhungen für Firmen könnte ein republikanischer Senat mit hoher Wahrscheinlichkeit blockieren. Eine sehr viel strengere Regulierung großer Tech-Konzerne wäre ebenfalls unwahrscheinlich. In vielen Bereich der Wirtschaft würde es bleiben wie es ist. Kontinuität sorgt für gute Stimmung an der Wall Street.
Handelspolitik wird weniger erratisch ausfallen
Außenpolitisch dagegen könnte Biden als Präsident wesentlich einfacher regieren. Donald Trump war für seine schwer berechenbare Außenpolitik gefürchtet. Insbesondere den Handelskonflikt mit China hat er immer wieder eskalieren lassen. Auch auf Europa wären vermutlich in der zweiten Amtszeit sehr ungemütliche Zeiten zugekommen. Biden steht hier für einen wesentlich gemäßigteren konventionellen Kurs. Selbst wenn sich am Grundsatz "America First" unter Biden wenig ändern sollte, würde die Außen- und Handelspolitik deutlich weniger erratisch und dafür wieder diplomatischer ausfallen. Experten gehen von einer besseren Berechenbarkeit von Joe Biden aus. Das sorgt für mehr Sicherheit in den Handelsbeziehungen und wird von den Märkten positiv aufgenommen. Denn der neue Präsident ist nicht nur in Washington gut vernetzt, auch zu Europa pflegt er langjährige und vertrauensvolle Kontakte. Auch die Handelspartner in Europa und Asien freuen sich über die Rückkehr des Establishments.
Der Anlagenotstand bleibt unverändert
Eines hat sich aber auch durch die Präsidentschaftswahl in den USA nicht geändert. Der Anlagenotstand bleibt unverändert. Sowohl die amerikanische Fed als auch die Europäische Zentralbank machen kurz- und mittelfristig keine Anstalten, die Zinsen zu erhöhen. Durch die Corona Krise ist das Null Zins Szenario sogar noch mehr zementiert worden. Die meisten Experten rechnen mit einer langanhaltenden Phase von Niedrigzinsen. Die durch weitere staatliche Konjunkturprogramme ausgelöste Geldschwemme wird die Inflation bei Sachwerten weiter befeuern. Wer sein Geld vermehren will, kommt an der Börse kaum mehr vorbei. Gerade Anleger, die sich bis jetzt mit Investitionen in Aktien zurückgehalten haben, sollten sich dringend überlegen, ob sie ihr Geld in Unternehmensanteile investieren. Dabei ist es grundsätzlich egal wie der Präsident in den USA heißt. Wenn der Anlagehorizont lang genug ist, gibt es kaum Alternativen. Das von Populisten schlecht beleumundete Establishment bietet für Investoren gute Rahmenbedingungen. Deswegen freuen sich auch die Märkte über die Rückkehr des Establishments.
Autor: Markus Richert, CFP® und Seniorberater Vermögensverwaltung bei der Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH in Köln
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