Irans Regierung nennt Raketenangriffe 'Akt der Selbstverteidigung' - Präsident Ruhani warnt USA vor weiteren Angriffen
Ein iranischer Vergeltungsangriff auf US-Soldaten im Irak schürt die Angst vor einer weiteren Eskalation und einem möglichen neuen Krieg im Nahen Osten.
Das Pentagon bestätigte Attacken auf die vom US-Militär genutzten Stützpunkte Ain al-Assad westlich von Bagdad und im nördlich gelegenen Erbil in der Nacht zum Mittwoch. Der Iran bezeichnete die Raketenangriffe als "Akt der Selbstverteidigung" nach der Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani durch einen US-Luftschlag.
Die Lage am Persischen Golf ist extrem angespannt, seit die USA den ranghohen Militärstrategen Soleimani vergangene Woche bei einem Drohnenangriff in der irakischen Hauptstadt Bagdad gezielt töteten. US-Präsident Donald Trump drohte den Iranern danach mit drastischen Konsequenzen im Falle eines Gegenangriffs.
Nach den Raketenangriffen aus der Nacht äußerte sich Trump zunächst nicht dazu, wie die USA darauf reagieren würden. Stattdessen schrieb er auf Twitter "Alles ist gut!" und kündigte eine Stellungnahme am Mittwochmorgen (Ortszeit) an. Derzeit würden mögliche Opfer und Schäden bewertet, fügte er hinzu. Und: "Wir haben das stärkste und am besten ausgestattete Militär überall auf der Welt, bei weitem!". Zuvor hatte er seine wichtigsten Minister zu einer Krisensitzung im Weißen Haus empfangen. Nach dem verheerenden Flugzeugabsturz, der laut der iranischen Luftfahrtbehörde auf einen technischen Defekt zurückgehen soll, äußerte sich Trump nicht mehr öffentlich.
Die iranischen Revolutionsgarden teilten mit, bei der "Operation Märtyrer Soleimani" sei der mit 35 Raketen attackierte Luftwaffenstützpunkt Ain al-Assad "vollständig zerstört" worden. Der Angriff mit ballistischen Boden-Boden-Raketen auf die "von den Amerikanern besetzte" Basis sei "in jeder Hinsicht ein voller Erfolg" gewesen.
Im Irak sind auf mehren Stützpunkten rund 5000 US-Soldaten stationiert, die das internationale Militärbündnis gegen die Terrormiliz IS anführen. "Diese Stützpunkte sind wegen Hinweisen auf geplante Angriffe des iranischen Regimes auf unsere Truppen und Interessen in der Region in hoher Alarmbereitschaft gewesen", hieß es aus dem US-Verteidigungsministerium.
Die erste offizielle Stellungnahme der iranischen Regierung nach den Angriffen kam von Außenminister Mohammed Dschawad Sarif. "Wir streben nicht nach einer Eskalation oder Krieg, aber wir werden uns gegen jede Aggression verteidigen", schrieb er auf Twitter. Der Iran habe "verhältnismäßige Maßnahmen zur Selbstverteidigung ergriffen und abgeschlossen". Sarif bezog sich dabei auf Artikel 51 der UN-Charta - dieser beschreibt das Recht auf Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs auf ein Mitgliedsland der Vereinten Nationen.
Zwar hatten vom Iran unterstützte schiitische Milizen die US-Stützpunkte im Irak zuletzt häufiger mit technisch einfacheren Raketen angegriffen. Ein direkter Angriff aus dem Iran markiert jedoch eine neue Eskalationsstufe im Konflikt mit den USA.
Der einflussreiche US-Senator und Trump-Verbündete Lindsey Graham sprach von einem "kriegerischen Akt" des Irans. Die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, warnte vor einer kriegerischen Eskalation: "Amerika und die Welt können sich keinen Krieg leisten", mahnte die ranghöchste Trump-Kritikerin in der Kongresskammer.
Die Revolutionsgarden warnten direkt nach den Attacken den "großen Satan" USA vor Gegenangriffen. Jede US-Reaktion werde mit einer härteren Reaktion erwidert, teilte die Eliteeinheit der iranischen Streitkräfte in einer Presseerklärung mit. Außerdem sollten die Verbündeten der USA wissen, dass auch ihre den Amerikanern zur Verfügung gestellten Stützpunkte Ziel iranischer Angriffe werden könnten, falls von dort aus Angriffe auf den Iran erfolgen sollten, hieß es in der Erklärung weiter. Die USA sollten ihre Truppen abziehen, damit deren Leben nicht gefährdet werde.
Den in Erbil stationierten deutschen Bundeswehr-Kräften ist einem Sprecher zufolge nichts passiert. "Den Soldaten geht es gut", sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam der Deutschen Presse-Agentur. Zu den weiteren Folgen der Raketenangriffe konnte der Bundeswehrsprecher keine Angaben machen. Im Zentral-Irak sind nach dem jüngsten Abzug keine deutschen Soldaten mehr stationiert. Im nordirakischen Kurdengebiet sind noch mehr als 100 deutsche Soldaten im Einsatz. Sie haben ihre Sicherheitsmaßnahmen verschärft.
Die dramatisch zunehmenden Spannungen zwischen den USA und Iran machen auch Börsianern große Sorgen. Nach der militärischen Eskalation in der Nacht - und möglicherweise auch infolge des Flugzeugabsturzes - reagierte die asiatische Leitbörse in Tokio mit Verlusten. Der Nikkei-Index für 225 führende Werte fiel um 1,6 Prozent auf 23.204,76 Punkten. Das als sicherer Hafen geltende Edelmetall Gold war so stark gefragt, dass der Preis um rund 20 Dollar auf 1.594 US-Dollar stieg.
Keine Toten unter irakischen Truppen bei iranischem Angriff
Bei dem iranischen Vergeltungsangriff auf US-Stützpunkte im Irak hat es unter den irakischen Streitkräften nach deren eigenen Angaben keine Toten gegeben. Es seien "keine Verluste" verzeichnet worden, meldete die Medieneinheit der irakischen Sicherheitskräfte am Mittwochmorgen.
Auch das Innenministerium der kurdischen Autonomieregierung in der nordirakischen Stadt Erbil erklärte, es habe bei der Bombardierung des dortigen amerikanischen Stützpunktes weder "menschliche Verluste" noch Schäden gegeben. Weitere Einzelheiten teilte es nicht mit.
Unklar war zunächst, ob es unter den irakischen Truppen auch keine Verletzen gab. Der arabische Nachrichtensender Sky News Arabia hatte zuvor gemeldet, dass fünf irakische Soldaten bei dem Angriff verletzt worden seien. Eine unabhängige Bestätigung gab es dafür nicht.
Den irakischen Streitkräften zufolge schlugen 17 iranische Raketen im Luftwaffenstützpunkt Ain al-Assad westlich von Bagdad und fünf in Erbil ein. Alle gingen demnach über Standorten der internationalen Anti-IS-Koalition nieder.
Nach Angriffen des Irans auf US-Militär: China fordert Zurückhaltung
Nach dem Vergeltungsangriff des Irans auf US-Stützpunkte im Irak hat China alle Beteiligten zur Zurückhaltung aufgerufen. "Niemand hat ein Interesse an einer weiteren Verschlechterung der Lage im Nahen Osten", sagte Außenamtssprecher Geng Shuang am Mittwoch vor der Presse in Peking. Die betroffenen Parteien sollten ihre Differenzen durch Dialog und friedliche Mittel auf der Grundlage gegenseitigen Respekts lösen.
"Den Frieden und die Stabilität in der Region zu wahren, ist entscheidend für die Welt", sagte der Sprecher. China werde weiter im engen Kontakt mit allen Parteien stehen und eine "verantwortliche Rolle" spielen, damit die Lage so schnell wie möglich abkühlt.
Irans Präsident Ruhani warnt USA vor weiteren Angriffen
Der iranische Präsident Hassan Ruhani hat sich zu den Raketenangriffen auf vom US-Militär genutzte Stützpunkte im Irak in der Nacht geäußert. "Ich bedanke mich bei den Revolutionsgarden für die konsequente Antwort auf die Tötung von General Ghassem Soleimani", hieß es in einer Erklärung des Präsidenten am Mittwoch. "Falls die Amerikaner weitere Angriffe und Verbrechen gegen den Iran planen sollten, werden wir eine Antwort geben, die noch härter ist als der heutige Angriff", sagte Ruhani weiter.
Bunderegierung erwägt Rückzug
Da einer der iranischen Angriffe einem Ziel im bislang als relativ sicher geltenden Nordirak galt, prüft die Bundesregierung jetzt auch einen Teilrückzug der dort stationierten Bundeswehrsoldaten. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte, im ARD-"Morgenmagazin": "Wir haben mit der internationalen Koalition sowieso vereinbart, dass alle Kräfte, die nicht benötigt werden, keinem unnötigen Risiko ausgesetzt werden." Deshalb seien die deutschen Soldaten am Montag aus dem Militärkomplex Tadschi im Zentralirak abgezogen worden. Nun sei man in der Planung auch für "mögliche Teilrückverlegungen" von Soldaten die aktuell in Erbil stationiert sind.
In dem Kurdengebiet sind über 100 deutsche Soldaten im Einsatz, die laut Verteidigungsministerium unverletzt blieben. Sie sind Teil der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
"Der Gebrauch von Waffen muss jetzt aufhören, um Raum für Dialog zu schaffen", appellierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch nach einer Sondersitzung der EU-Kommission. Alle seien dazu aufgerufen, Gespräche wieder aufleben zu lassen. "Und davon kann es nicht genug geben." Man habe bewährte Beziehungen zu vielen Akteuren in der Region und darüber hinaus, um zur Deeskalation beizutragen. "Die aktuelle Krise betrifft nicht nur die Region, sondern uns alle."
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) verurteilte die iranischen Raketenangriffe. "Wir fordern Iran auf, alle Schritte zu unterlassen, die zu einer weiteren Eskalation führen könnten."
/mk/DP/mis
TEHERAN/WASHINGTON (dpa-AFX)
Weitere News
Bildquellen: Aritra Deb / Shutterstock.com, rawf8 / Shutterstock.com