thyssenkrupp peilt im Gesamtjahr fast ausgeglichenes Ergebnis an - Aktie schießt hoch
Der Stahl- und Industriekonzern thyssenkrupp sieht nach Jahren der Krise wieder Licht am Ende des Tunnels.
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"Wir spüren Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung und unsere Maßnahmen tragen erste Früchte", kommentierte Vorstandschefin Martina Merz die am Mittwoch in Essen vorgelegten Zahlen für das erste Quartal des Geschäftsjahres 2020/21. "Wir haben schwarze Zahlen geschrieben, noch sind wir aber nicht über den Berg." Für die Modernisierung seiner Stahlsparte gab thyssenkrupp Investitionen von gut 700 Millionen Euro frei. Im Gegenzug will der Konzern beim Stahl aber mehr Stellen streichen als bisher geplant.
"Wir sind mit Rückenwind, insbesondere aus der Automobilindustrie, in das neue Geschäftsjahr gestartet", sagte Finanzvorstand Klaus Keysberg bei einer Telefon-Pressekonferenz. Zugleich zeigten sich erste Erfolge der Sanierungsmaßnahmen. thyssenkrupp hob deshalb die Prognose an.Beim bereinigten Gewinn vor Zinsen und Steuern (bereinigtes Ebit) werde jetzt mit einem "nahezu ausgeglichenen Ergebnis" gerechnet. Wegen der Kosten für den laufenden Konzernumbau erwartet thyssenkrupp unter dem Strich aber weiter einen erheblichen Verlust. Mit einem hohen dreistelligen Millionen-Euro-Betrag soll er jedoch niedriger ausfallen als der zuvor prognostizierte Wert von mehr als einer Milliarde Euro.
Eine gute Entwicklung sieht thyssenkrupp beim Sorgenkind Stahl. Die Kernsparte des Konzerns konnte ihr Ergebnis im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr von minus 144 Millionen Euro auf einen Gewinn von 22 Millionen Euro steigern. Neben der wieder angezogenen Autoproduktion habe sich eine gute Nachfrage in der Hausgeräte- und der Bauindustrie positiv bemerkbar gemacht. thyssenkrupp profitierte zudem wie die gesamte Branche vom gestiegenen Stahlpreis.
Mit dem nach Unternehmensangaben größten Investitionsprogramm beim Stahl seit fast zwei Jahrzehnten will thyssenkrupp seine Werke in Duisburg und Bochum fit für die gestiegenen Anforderungen der Autoindustrie machen. Zentrale Teile beider Standorte sollen bis Ende 2024 neu gebaut werden. Das sei "ein großer Vertrauensbeweis in schwierigen Zeiten", sagte der Sprecher des Vorstands der Stahlsparte, Bernhard Osburg, laut einer Mitteilung.
Die finanziellen Folgen der Corona-Krise machten aber weitere Kostensenkungen notwendig. "Die Pandemie hat unsere Finanzlage nochmals dramatisch verschärft", betonte Osburg. Deshalb müsse allen Beteiligten klar sein, dass wir daher auch über weitere Personal- und Kostenmaßnahmen sprechen müssen, wenn wir nicht bisher Erreichtes und Vereinbartes gefährden wollen". Konkrete Zahlen nannte Osburg nicht. Die Freigabe der Investitionen sei aber "nicht verbunden mit einer Bedingung von weiterem Personalabbau", sagte Keysberg.
Bei den Arbeitnehmern stießen die Ankündigungen auf Kritik. Mit der Freigabe der dringend benötigten Investitionen erfülle thyssenkrupp die Vereinbarungen mit den Beschäftigten, betonte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von thyssenkrupp Steel, Tekin Nasikkol. Die Ankündigung weiterer Restrukturierungen schaffe aber "noch mehr Unsicherheiten". Deshalb müsse der Vorstand "lückenlose Transparenz über die weiteren Pläne" schaffen. Auch der NRW-Bezirksleiter der IG Metall, Knut Giesler, forderte klare Informationen. "Einen weiteren Personalabbau über die Presse anzukündigen, führt nur zu Frust, Wut und Unsicherheiten und erleichtert eine Lösungsfindung sicher nicht."
thyssenkrupp hatte im vergangenen Frühjahr mit den Arbeitnehmervertretern einen Tarifvertrag zur Sanierung der angeschlagenen Stahlsparte vereinbart. Darin wurde der sozialverträgliche Abbau von 3000 Stellen bis zum Jahr 2026 vereinbart. Die neue Stahlstrategie sieht zudem einen zusätzlichen Investitionsrahmen von insgesamt rund 800 Millionen Euro über 6 Jahre vor, der die zuvor bereits eingeplanten jährlichen Investitionen von rund 570 Millionen Euro ergänzen soll.
Ob die Stahlsparte thyssenkrupp nach den Modernisierungsmaßnahmen noch zu thyssenkrupp gehören wird, steht derzeit in den Sternen. Der Revierkonzern prüft derzeit ein Kaufangebot des britisch-indischen Unternehmers Sanjeev Gupta, der die Stahlerzeugung der Essener in seinen Konzern Liberty Steel aufgehen lassen will. Einen Verbleib beim Konzern oder eine Abspaltung sind aber ebenfalls Optionen. Entscheiden, wie es mit dem Stahl weitergeht, will thyssenkrupp im März.
So reagiert die thyssenkrupp-Aktie
An der Börse wurden die Zahlen und der Ausblick mit großer Erleichterung aufgenommen. Der Kurs der thyssenkrupp-Aktie legte im XETRA-Handel bis zur Mittagszeit um rund neun Prozent zu und lag am Nachmittag zeitweise noch mit 7,70 Prozent im Plus bei 10,70 Euro. Seit Anfang November hat die Aktie damit bereits rund 160 Prozent an Wert gewonnen.
"Herausragend" nannte Analyst Christian Obst von der Baader Bank den positiven freien Barmittelfluss (Free Cashflow, FCF) in Höhe von 32 Millionen Euro im ersten Geschäftsquartal. Dies sei eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu den vergangenen Jahren. "Ein positiver freier Cashflow in einem Dezember-Quartal ist etwas, das thyssenkrupp in den vergangenen Jahren nur selten erreicht hat", lobte auch Commerzbank-Analyst Ingo Schachel. Dass die neue Unternehmensprognose für die Kennziffer im Gesamtgeschäftsjahr dennoch weiter negativ sei, liegt laut Obst an den wieder zunehmenden Geschäftsaktivitäten des Konzerns sowie an höheren Preisen für Rohstoffe und viele andere Produkte.
Die positivere Entwicklung des operativen Geschäfts gebe dem Management trotz allem aber mehr finanziellen Spielraum, um die Unternehmensgruppe zu restrukturieren, schrieb der Baader-Bank-Analyst. Entsprechend lobte er das ebenfalls sehr erfreuliche neue Jahresziel für das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit). Das erwartet thyssenkrupp nun nicht mehr im negativen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich, sondern an der Schwelle zu einem Gewinn.
Ingo Schachel und Jefferies-Analyst Alan Spence sehen dieses Gewinnziel nach dem starken ersten Quartal nun allerdings als "eher konservativ". Und ein Händler meinte: "Der Konzern könnte das Ruder noch rechtzeitig umgelegt haben", denn an ein erstes Quartal mit einem positiven Ebit könne er sich fast schon nicht mehr erinnern. Allerdings: Komplett überraschend seien die guten Nachrichten nicht, denn andere Industrieunternehmen hätten zuletzt bereits sehr starke Zahlen veröffentlicht.
(dpa-AFX)
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