"Ich habe es versemmelt"
Demokrat Michael Dukakis war 12 Jahre lang Gouverneur von Massachusetts. 1988 verlor er seinen Präsidentschaftswahlkampf gegen George Bush senior. Heute lehrt er als Politikprofessor an der Northeastern University in Boston und der University of California
Das Interview führte €uro-Redakteurin Daniela Meyer
€uro: Sie schneiden Ihren Rasen mit einem Handrasenmäher von anno dazumal. Das steht zumindest in einem New-York-Times-Artikel von 1988. Bei den gigantischen Rasenflächen, die Amerikaner vor ihrer Haustür haben, ist das beeindruckend ...
Gouverneur Michael Dukakis: Ich mähe meinen Rasen auch immer noch so. Seit dem Artikel haben diese Handmäher übrigens eine Renaissance erlebt, der Verkauf stieg steil an. Ich hätte Provision verlangen sollen.
Damals galten Sie als der nächste Präsident der USA, der bald mächtigste Mann der Welt.
Das stimmt. Ich bin für die Demokraten als Präsidentschaftskandidat gegen George Bush senior ins Rennen gegangen und lag in den Umfragen lange weit vorne.
Und dann kam der tiefe Fall. Sie haben mit Pauken und Trompeten verloren. Können Sie das rückblickend erklären?
Mein größter Fehler war, dass ich nicht auf die Attacken der Bush-Kampagne reagiert habe. Sie haben meinen Ruf ruiniert und ich habe zugesehen. Dabei hätte ich zurückschlagen müssen.
Aber Sie sind ein so netter Typ und haben es daher gelassen?
Ich bin ein positiver Mensch, ich wollte eine positive Kampagne. Ich dachte, den Leuten würde das gefallen. Und das tat es auch, aber auf der anderen Seite muss man zeigen, dass man sich auch wehren kann.
Was hat Bush Ihnen denn vorgeworfen?
Am schlimmsten war die Sache mit Willie Horton. Das war ein Mörder, der während eines Hafturlaubs in meinem Heimatstaat Massachusetts eine Frau vergewaltigte. Dafür machte Bush mich verantwortlich. Es war eine heftige Schmutzkampagne.
Da ist man doch sicher stinksauer auf seinen Gegner.
Schon, aber man darf die Angriffe nicht persönlich nehmen. Ich war wütender auf mich selbst. Es war meine Entscheidung nicht zu reagieren. Ich mache Bush keine Vorwürfe. So läuft das eben. Und wenn man am Ende verliert, gratuliert man dem Gewinner. Es macht keinen Spaß, aber wenn man das nicht kann, sollte man gar nicht erst als Kandidat antreten.
Es scheint, als hätten die Demokraten nicht viel aus Ihrer Erfahrung gelernt. John Kerry ließ sich im Wahlkampf 2004 vom Sohn Ihres Gegners, Georg W. Bush, ebenso fertig machen.
Dabei ist Kerry ein Kriegsheld. Er hat im Vietnamkrieg fast sein Leben verloren, während Bush gemütlich zu hause saß. Dennoch hat Bush ihn mit Dreck beworfen und es geschafft, die Leute zu überzeugen, er sei geeigneter, die nationale Sicherheit zu wahren.
Das hört sich so an, als wären Sie wütender auf den Sohn als auf den Vater.
Bush junior war der schlechteste Präsident, den wir je hatten. Ich habe das Gefühl, ich muss mich dafür entschuldigen, denn hätte ich Bush senior damals geschlagen, hätten die USA und die Welt nie von seinem Sohn gehört und allen wäre eine Menge Ärger erspart geblieben.
Was zum Beispiel?
Schauen Sie sich den Schlamassel doch an. Nach der Amtszeit von Bill Clinton in 2001 war das Land in großartigem Zustand. Bush hat es heruntergewirtschaftet. Er hat unser internationales Ansehen beschädigt und uns die Invasion im Irak eingebrockt. Wir hätten auf Deutschland hören sollen. Nach dem 11. September den Irak anzugreifen, war das Dümmste, was wir je getan haben. Romney unterstützt die Invasion übrigens auch heute noch. Er will im Irak und in Afghanistan bleiben. Wie er dafür bezahlen will – weiß der Himmel. Ich würde mich nicht wundern, wenn er auch noch den Iran bombardiert.
Glauben Sie denn, dass er gewinnen wird?
Noch vor ein paar Wochen hätte ich gesagt, Romney verliert. Ganz klar. Nun bin ich mir nicht mehr sicher. Die Wirtschaft ist schlecht, die Amerikaner sind unzufrieden. In so einem Klima kommt es leichter zum Wechsel. Zudem hat Romney mehr Geld, kann mehr Werbung machen, Obama härter attackieren.
Aber im Gegensatz zu Ihnen wehrt Präsident Obama sich.
Er hat aus meinen und Kerrys Fehlern gelernt. Er greift gelegentlich sogar selbst an. Man muss heute im Wahlkampf aggressiver sein. Es ist nicht schön – vor allem, wenn die Gegenseite Milliarden von Dollar aus Firmenkapital zur Verfügung hat – aber man muss es tun.
Aus Firmenkapital?
Romney hat mächtige Super-Pacs hinter sich, die Geld aus der Wirtschaft beziehen. Bislang durften Unternehmen die Kandidaten nicht finanziell unterstützen. Über die Super-Pacs ist das nun möglich. Der Oberste Gerichtshof hat festgelegt, das Spenden gleichgesetzt sind, mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dass die auch Unternehmen zusteht. Geld gleich Freiheit. Eine Katastrophe, die unser System korrumpiert. Ein Angriff auf die Demokratie!
Was für ein Präsident wäre Romney denn, sollte er gewinnen?
In MA haben wir ihn schon als Gouverneur erlebt. Daher liegt er hier auch 20 Punkte hinter Obama. Der Kerl ist ein Betrüger! Nach seiner Amtszeit war die Infrastruktur in schlimmem Zustand, die Arbeitslosigkeit so hoch wie noch nie. Romney ändert seine Meinungen täglich. Noch vor Kurzem war er ganz liberal, er war dafür, dass jede Frau selber über eine Abtreibung entscheiden soll. Jetzt hat seine Partei dieses schändliche Programm verabschiedet, in dem Abtreibung verboten werden soll – selbst in Fällen von Vergewaltigung. Die Ideen der Republikaner sind rückschrittlich.
Auch das Wirtschaftsprogramm, mit dem Romney derzeit punktet?
Das an erster Stelle. Präsident Herbert Hoover hat schon 1929 geglaubt, dass finanzielle Unterstützung der Regierung schädlich für den Individualismus ist und die Wirtschaftskrise damit nur verschlimmert. Man sollte aus Fehlern lernen und sie nicht wiederholen. Aber genau das tut Romney. Sparen soll das Vertrauen der Unternehmen stärken und sie zu Investitionen ermutigen. Das funktioniert nicht in Europa und auch nicht hier.
Wie stimuliert man denn die Wirtschaft?
Wir hätten mehr investieren sollen, zum Beispiel in Infrastruktur. Wir haben in den USA kein modernen Schienennetz. Warum fangen wir nicht an, eines aufzubauen? Das würde vielen Leuten Arbeit geben und der Wirtschaft langfristig dienen. Das hätte ich schon damals gemacht, wenn ich Präsident geworden wäre.
Denken Sie noch oft darüber nach, was gewesen wäre, wenn?
Als Ex-Präsident würde ich wahrscheinlich heute irgendwo eine Bibliothek aufbauen, aber sonst das Gleiche machen, wie jetzt auch, nämlich unterrichten. Das ist meine Leidenschaft. Ich würde aber noch lieber als Ex-Präsident denn als Ex-Kandidat vor den Studenten stehen.
Viele Kandidaten kehren nach einer verlorenen Präsidentschaftswahl der Politik den Rücken. So auch Bob Dole, der auf republikanischer Seite 1988 gegen Bush antrat. Macht sie das zu Leidensgenossen?
Ich habe großen Respekt für Dole. Aber Leidensgenossen waren wir nicht. Er hat ja damals bereits in den Vorwahlen verloren, ich im Hauptrennen. Seine große Chance als Präsidentschaftskandidat der Republikaner bekam er 1996, aber auch da ist er gescheitert – gegen Bill Clinton.
Warum glauben Sie, hat er verloren?
Die schwierigste Aufgabe ist es, den Wählern ein Gefühl dafür zu geben, wer man ist. Es gibt Talente, wie Clinton, die auf die Bühne gehen und alle für sich einnehmen. Aber die meisten müssen sich mühsam einen Ruf aufbauen. Leute in Doles Heimatstaat Kansas lieben ihn, weil sie ihn kennen. Denn Dole ist einer der witzigsten und geistreichsten Politiker, die ich kenne. Aber man hat davon in seinem Wahlkampf nichts gemerkt.
Hat er sich verstellt?
Wahrscheinlich haben seine Berater ihm gesagt: Mach bloß keine Witze, jemand könnte das missverstehen. Hätte er aber mehr von sich gezeigt, hätten die Wähler ein menschlicheres Bild von ihm bekommen. Ich habe übrigens auch keinen guten Job bei der Selbstvermarktung gemacht.
Sie wurden von den Medien als blutleer und steif beschrieben.
Ich konnte das überhaupt nicht verstehen, denn so bin ich nicht. Aber ich habe es nicht geschafft, den Wählern zu zeigen, dass ich ein ganz normaler Mensch bin, der ihre Probleme versteht.
Ist das nicht auch ein Problem, das Romney jetzt hat, er gilt als unnahbarer Millionär?
Das stimmt. Die Leute wissen nicht, wer er ist, wofür er wirklich steht. Aber in seinem Fall hat das einen Grund: er ändert seine Meinung ständig. Man kann ihm nicht trauen.
Warum sollten die Amerikaner Obama weitere vier Jahre ihr Vertrauen schenken?
Obama ist der erste Präsident, der es geschafft hat, ein sinnvolles Gesundheitssystem durchzusetzen. Es gibt hier aber leider immer noch Leute wie Romney und sein Vize Paul Ryan, die glauben, es ist das Beste, 80jährige mit einem Voucher loszuschicken, um sich selbst irgendwo eine Krankenversicherung zu besorgen. Das ist das Beste für die Versicherer, die machen mit dem bestehenden System nämlich das große Geld. Und Leute über 65 versichern die gar nicht mehr.
Romney argumentiert, durch die Pflichtversicherung werde die Entscheidungsfreiheit eingeschränkt.
Ja, ja, jeder ist für sich selbst verantwortlich – so ein Quatsch. Was glaubt der denn, wo die Leute medizinisch versorgt werden? Es macht doch keinen Sinn, immer so lange zu warten, bis es jemandem so dreckig geht, dass er in der Notaufnahme landet. Denn dafür zahlen wir dann ja auch. Und zwar viel mehr. Aber die Demokraten haben keinen guten Job gemacht, das richtig zu erklären. Viele Amerikaner glauben immer noch, Obamacare sei eine Art Stütze für Arbeitslose, für die sie nun zahlen sollen. Dabei betrifft die Problematik hauptsächlich arbeitende Mittelschichtfamilien.
Die verlorene Wahl 1988 war bereits die zweite Niederlage Ihrer Karriere.
Nach meiner ersten Amtszeit als Gouverneur bin ich 1979 nicht wiedergewählt worden. Das hat mich eiskalt erwischt, ich hatte an einen sicheren Sieg geglaubt. Das war eine herbe persönliche Enttäuschung.
Schlimmer als die verlorene Präsidentschaftswahl?
Ich habe damals mehr an mir gezweifelt. Ich dachte, ich hätte einen guten Job gemacht und war stolz darauf. Die Wähler haben das wohl anders gesehen. Meine zweite Niederlage war keine Überraschung, ich wusste, ich lag hinten, ich hatte Fehler gemacht.
Als Gouverneur hatten Sie vier Jahre nach der ersten Niederlage ein Comeback. Bekommt jeder in Amerika eine zweite Chance, wenn er sich nur anstrengt?
Im politischen System der USA bekommt man nur schwer eine zweite Chance. Wenn man in einem parlamentarischen System eine Kanzlerkandidatur verliert, kann man noch Parteivorsitzender werden. Hier geht das kaum. Wie viele Präsidentschaftskandidaten gibt es denn, die es ein zweites Mal probiert und dann gewonnen haben? Mir fällt da nur Nixon ein. Als Gouverneur oder Senator ist das was anderes, da kann man immer wieder antreten.
Es gibt Leute, die behaupten, Niederlagen hätten auch positive Seiten.
Eine Niederlage zwingt einen, über sich selbst nachzudenken. Ich empfehle keine ständigen Wiederholung dieser Erfahrung, aber es kann helfen, mal auf die Nase zu fallen. In der zweiten Amtszeit war ich ein besserer Gouverneur. Ich wurde ein besserer Zuhörer, Vermittler und Kommunikator, weil ich meine Fehler erkannt hatte. Und die Erfahrung hat mir definitiv geholfen, mit der verlorenen Präsidentschaftswahl fertig zu werden.
Warum haben Sie nie ein zweites Mal probiert Präsident zu werden?
Ich hatte meine Wähler, meine Mitarbeiter und Unterstützer zu sehr enttäuscht. Das war das schlimmste für mich. Ich hatte eine große Chance zu gewinnen und habe es versemmelt. Warum sollten mich die Leute also ein zweites Mal unterstützen?
Am Tag nach Ihrer Niederlage 1988 sind sie direkt zurück in Ihr Gouverneurs-Büro gegangen. Arbeitstherapie?
Ich musste zurück. Ich war schließlich immer noch Gouverneur. Die nationale Rezession begann einzuschlagen. Umsätze und Gewinne gingen zurück. Ich durfte keine Zeit mit Grübeln und Jammern verlieren.
Ist man eigentlich auch ein klein Wenig erleichtert, wenn alles vorbei ist?
Die Leute kommen heute noch zu mir und sagen, so hast du dir wenigstens den ganzen Stress erspart. Was sie nicht verstehen: Menschen wie ich lieben Stress! Ich brauche Druck. Ich will Entscheidungen treffen und nicht von der Seitenlinie zusehen.
Haben Sie Ihrem Land mit Ihrem lebenslangen Einsatz nicht einen größeren Dienst erwiesen, als sie es in einer Amtszeit als Präsident hätten tun können?
Nein, es ist nichts vergleichbar damit Präsident und in einer Position zu sein, wo man wirklich wichtige Entscheidungen treffen und etwas verändern kann. Wäre ich Präsident gewesen, hätten wir heute ein exzellentes Fernverkehrssystem. Und schon lange eine allgemeine Krankenversicherung.
Welcher der Verlierer hätte es denn am meisten verdient gehabt, Präsident zu werden?
John Kerry wäre ein guter Präsident gewesen. Auch Hillary Clinton hat mich sehr beeindruckt. Naja, und dann bin da natürlich noch ich.
Vielen Dank für das Gespräch.