Brexit-Verhandlungen unterbrochen - Fortsetzung geplant
Im Brexit-Streit haben die EU und Großbritannien in der Nacht zum Mittwoch stundenlang um eine Einigung gerungen.
Obwohl ein Abkommen in greifbarer Nähe schien, verkündeten beide Seiten noch keinen Durchbruch. Die Gespräche wurden unterbrochen und sollen noch an diesem Mittwoch fortgesetzt werden, wie es aus EU-Kreisen hieß. Der Zeitdruck ist enorm: Schon zum Nachmittag soll ein Vertragsentwurf stehen, damit er beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs gebilligt werden kann.
Der britische Premierminister Boris Johnson will eine Vereinbarung bei dem am Donnerstag beginnenden Gipfel, um den Brexit wie geplant am 31. Oktober zu vollziehen. Ohne Einigung müsste der Premier nach einem britischen Gesetz ab Samstag eine Fristverlängerung bei der EU beantragen - was er keinesfalls will. Vorige Woche hatte Johnson Zugeständnisse in der umstrittenen Irland-Frage gemacht. Doch der EU reichte dies noch nicht. Am Dienstag wurde offenbar nachgelegt.
Danach machte sich vorsichtiger Optimismus breit. Der EU-Unterhändler Michel Barnier und der britische Brexit-Minister Stephen Barclay sagten übereinstimmend, eine rasche Einigung sei möglich. EU-Unterhändler Michel Barnier sieht Fortschritte auf dem Weg zu einem Brexit-Kompromiss. Die Gespräche verliefen konstruktiv, doch seien noch erhebliche Probleme zu lösen, berichtete Barnier am Mittwoch in der Sitzung der EU-Kommission, wie EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos anschließend mitteilte. Doch sagte Avramopoulos wegen der laufenden Verhandlungen fast nichts Konkretes. Als Hinweis auf die Erfolgsaussichten sagte er nur: "Seien Sie geduldig. Sie haben drei Jahre lang gewartet. Jetzt können Sie auch noch drei Stunden warten." Die Verhandlungen zogen sich jedenfalls länger als gedacht. Barnier wollte die EU-Länder eigentlich um 14.00 Uhr unterrichten, verschob dies aber (auf 17.00 Uhr). Der irische Sender RTÉ gab Barnier sogar mit den Worten wieder, ein Brexit-Deal noch am Mittwoch sei wahrscheinlich.
Der Linken-Europaabgeordnete Martin Schirdewan, der mit anderen Parlamentariern von Barnier informiert wurde, kam zu dem Schluss: "Ein Abkommen scheint mittlerweile in greifbarer Nähe." Irlands Regierungschef Leo Varadkar sagte, die Dinge bewegten sich "in die richtige Richtung". Er sehe Fortschritte bei den Verhandlungen zum EU-Austritt, doch müssten noch Punkte geklärt werden, sagte er nach Telefonaten mit dem britischen Premierminister Boris Johnson und der EU-Kommission.
Im Detail waren die Verhandlungen aber nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen äußerst kompliziert. Streitpunkt war nach wie vor die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland offen gehalten werden kann. Aus Sicht der EU ist das nötig, um neue Unruhen in dem früheren Bürgerkriegsgebiet zu vermeiden. Doch will die Gemeinschaft nicht, dass über die "Hintertür" der neuen EU-Außengrenze in Irland unkontrolliert und unverzollt Waren auf den Binnenmarkt strömen.
Zur Debatte steht nun eine spezielle Zollpartnerschaft, die Kontrollen an der Grenze auf der irischen Insel überflüssig machen soll. Nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen könnte womöglich Großbritannien Zollkontrollen für die EU übernehmen. Doch müsse die EU dies überprüfen und notfalls einschreiten oder klagen können. Diese Details seien sehr wichtig.
Im Falle einer Einigung mit der EU müsste Johnson erst noch die nötige Unterstützung im britischen Parlament finden, denn seine Konservative Partei hat dort keine Mehrheit. In seinem Regierungssitz war am Dienstag tagsüber und abends ein Kommen und Gehen, unter anderen wurden mehrere Minister gesehen.
Die Chefin der nordirischen Protestantenpartei DUP, Arlene Foster, wollte mit Johnson persönlich sprechen. Regierungsvertreter empfingen Medienberichten zufolge auch einige EU-freundliche Tory-Politiker, die das zwischen Johnsons Vorgängerin Theresa May und Brüssel vereinbarte Abkommen gestützt hatten. Johnson hat keine Mehrheit im Parlament mehr und ist auf jede Stimme angewiesen.
Für diesen Mittwoch ist in London eine Kabinettssitzung angesetzt. Sie war ursprünglich schon am Dienstag geplant, aber abgesagt worden. Am Samstag könnte es dann zum großen Showdown im Parlament kommen, bei dem Johnson seinen Brexit-Deal vorlegt. Ob das Unterhauses am Wochenende aber tatsächlich zusammenkomme, hänge ganz von den Ereignissen in Brüssel ab, betonte der erzkonservative Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg in London. Er ist Vorsitzender des Unterhauses und auch für den Parlamentskalender zuständig.
Chancen für einen Brexit-Deal wohl gering - DUP sperrt sich
Im Streit um den EU-Austritt könnte die nordirische Protestantenpartei DUP nach Ansicht des früheren britischen Brexit-Ministers David Davis zum Zünglein an der Waage werden. "Viele Tory-Abgeordnete werden sich danach richten, was die DUP macht", sagte der Brexit-Hardliner am Mittwoch dem Sender BBC.
Bei den Brexit-Verhandlungen zwischen London und Brüssel ist offenbar wieder eine Zollgrenze in der Irischen See ins Spiel gebracht worden. Davis erinnerte daran, dass die DUP-Chefin Arlene Foster einen solchen Vorschlag schon einmal als "blutige rote Linie" bezeichnet habe.
Es werde bei den Gesprächen nun viel davon abhängen, ob Foster den Vorschlag als "akzeptablen Kompromiss" betrachte, sagte Davis. Foster hatte sich am Dienstagabend mit Premierminister Boris Johnson zu einem eineinhalbstündigen Gespräch in London getroffen. Britische Medien spekulierten, dass eine kräftige Finanzspritze die Entscheidung der DUP für ein solches Abkommen erleichtern könnte.
Johnson verfügt über keine Mehrheit im Parlament und ist auf jede Stimme angewiesen. Er muss Überzeugungsarbeit leisten. Am Dienstag waren Minister und auch Mitglieder der European Research Group, die aus etwa 80 Brexit-Hardlinern besteht, im Regierungssitz ein- und ausgegangen. Das Unterhaus war bislang im Brexit-Kurs zerstritten.
Die Chefin der europafreundlichen Liberaldemokraten, Jo Swinson, kündigte in einem BBC-Interview an, dass ihre Partei einem Abkommen zum EU-Austritt zustimmen könnte. Voraussetzung sei allerdings, dass dies mit einem neuen Referendum verknüpft werde. Die Öffentlichkeit müsse das letzte Wort haben, betonte Swinson.
Unter großem Zeitdruck suchen London und Brüssel einen Kompromiss, damit Großbritannien in zwei Wochen mit einem Abkommen aus der Europäischen Union austreten kann. Bis Mittwochnachmittag sollte ein Vertragsentwurf stehen. Er soll dann beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag gebilligt werden.
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NEW YORK/BRÜSSEL/LONDON (dpa-AFX)
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