Hype um KI - Warum der chinesische KI-Konzern SenseTime trotzdem in der Krise steckt
SenseTime war einst das wertvollste KI-Startup der Welt. Doch nun steckt das umstrittene chinesische KI-Unternehmen in einer tiefen Krise - die Aktien brachen zeitweise sogar auf ein Allzeittief ein.
Werte in diesem Artikel
• SenseTime-Aktie geriet 2023 unter die Räder
• Milliardenschwerer Gründer verstirbt überraschend an unbekannter Krankheit
• Shortseller behauptet: SenseTime hat Einnahmen künstlich aufgebläht
Das halbstaatliche KI-Unternehmen SenseTime erlebte nach seiner Gründung im Jahr 2014 zunächst einen rasanten Aufschwung. Dies hatte es zumindest teilweise seiner direkten Verbindungen zur Regierung in Peking sowie der Finanzierung durch diese zu verdanken. Denn SenseTime entwickelt Technologien zur Gesichtserkennung, Objekterkennung sowie zur Video- und Bildanalyse mithilfe von künstlicher Intelligenz. Chinesische Behörden setzten diese während der Corona-Pandemie neben der Temperaturmessung auch ein, um festzustellen, ob die Bürger wie vorgeschrieben eine Maske trugen, sowie zur Identifizierung - auch mit Maske.
Im Visier der USA
Dennoch geriet das Unternehmen, welches dank der Forschungsleistungen von Gründer Tang Xiao’ou als Vorbild für Chinas KI-Fähigkeiten galt, 2019 ins Straucheln, nachdem die USA SenseTime auf eine schwarze Liste setzten. Nach Ansicht von Washington gehört SenseTime nämlich zum "militärisch-industriellen Komplex" Chinas. Die dort entwickelten Technologien würden zur massenhaften Überwachung der Uiguren in der Provinz Xinjiang und somit zu Menschenrechtsverletzungen eingesetzt, so die Kritik. Obwohl SenseTime diese Anschuldigungen wiederholt zurückgewiesen hat, darf das Unternehmen bestimmte Schlüsseltechnologien in den USA nicht mehr erwerben.
Im Jahr 2021 führten Sanktionen der USA sogar dazu, dass SenseTime den geplanten Börsengang um mehrere Monate verschieben musste. Zwar gelang dem Unternehmen am 31. Dezember 2021 trotzdem der Sprung aufs Börsenparkett, doch der Aktienkurs hat seither sehr gelitten.
Tod des Firmengründers Tang Xiao’ou
Allein in 2023 hat sich der SenseTime-Aktienkurs in etwa halbiert und fiel im Dezember sogar auf ein neues Allzeittief. Stark getroffen wurde das Unternehmen durch den plötzlichen Tod von Tang Xiao’ou, der SenseTime im Jahr 2014 unter anderem zusammen mit Xu Li, dem Geschäftsführer des Unternehmens, gegründet hatte.
"Mit großer Trauer geben wir das Ableben von Professor Tang Xiao'ou bekannt, unserem geliebten Gründer, einem renommierten Wissenschaftler auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI), Direktor des Pujiang Lab, Direktor des Shanghai AI Lab und Professor an der Chinesischen Universität Hongkong. Professor Tang ist am 15. Dezember 2023 um 23:45 Uhr aus gesundheitlichen Gründen verstorben", schrieb SenseTime am 16. Dezember auf der Firmenwebsite. Zur Art von Tangs Gesundheitsproblemen wurden dabei keine Angaben gemacht, und auch nicht dazu, ob seine Krankheit vorher bekannt war.
Wie die "South China Morning Post" berichtete, fällt der Tod des Firmengründers in eine Zeit, in der SenseTime bestrebt ist, das Geschäft zu diversifizieren und sich stärker auf generative KI zu fokussieren. In diesem Zusammenhang habe SenseTime im August die Genehmigung erhalten, die eigene Antwort auf den von Open AI entwickelten Chatbot ChatGPT zu lancieren.
Kritik von Shortsellern
Der überraschende Tod von Tang Xiao’ou war jedoch nicht der einzige Rückschlag, den SenseTime 2023 einstecken musste. Nur wenige Wochen vor Tangs Tod hatte Grizzly Research dem KI-Unternehmen "höchst fragwürdige Umsatzverschiebungspläne" vorgeworfen: "Wir glauben, dass das Kerngeschäft von SenseTime, die Gesichtserkennung, aufgrund des intensiven Wettbewerbs und der Tatsache, dass die chinesische Regierung einfach keine hochprofitablen Aufträge an mehrheitlich in ausländischem Besitz befindliche Unternehmen vergibt, notorisch unrentabel geworden ist", zitiert "Business Insider" aus einem Ende November veröffentlichten Bericht des in den USA ansässigen Shortsellers. Infolge dessen sei SenseTime dazu übergegangen, Kunden direkt oder indirekt Gelder zur Verfügung zu stellen, damit diese dann damit Waren von SenseTime kaufen. Diese Waren wiederum seien möglicherweise nie geliefert worden, so der Vorwurf von Grizzly Research.
SenseTime wies diese Beschuldigungen zurück und erklärte gegenüber der Hongkonger Börse "dass der Bericht unbegründet ist und unbegründete Behauptungen sowie irreführende Schlussfolgerungen und Interpretationen enthält. Der Bericht zeugt auch von einem mangelnden Verständnis des Geschäftsmodells und der Struktur der Finanzberichterstattung des Unternehmens sowie von einer unzureichenden Lektüre der öffentlichen Unterlagen des Unternehmens". Doch trotz dieses Dementis trennten sich viele Anteilseiger von ihren Papieren und schickten die SenseTime-Aktie abwärts.
Möglicher Selbstmord?
Womöglich infolge dieser Vorwürfe kursieren nun laut " IT-Times" Gerüchte, dass Tang sich möglicherweise selbst das Leben genommen habe. Der 55-Jährige mit einem Doktortitel vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) besaß "Forbes"-Angaben zufolge zum Zeitpunkt seines Todes ein Nettovermögen in Höhe von 1,1 Milliarden US-Dollar, das sich ausschließlich aus dem Wert seiner SenseTime-Aktien zusammensetzte. Damit war das Vermögen von Tang zuletzt drastisch geschrumpft, denn laut "Forbes" belief es sich im Jahr 2022 noch auf 6 Milliarden US-Dollar.
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Redaktion finanzen.net
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