Experten glauben an versöhnliches Jahresende für den DAX
Ukraine-Krieg, Rekord-Inflationsraten, anziehende Zinsen, Rezessionssorgen: Am Aktienmarkt gibt es derzeit Krisen zuhauf - und dennoch könnte sich der deutsche Leitindex DAX Experten zufolge zum Jahresende hin etwas von der monatelangen Talfahrt erholen.
"An den Börsen hat sich ein gewisser Krisen-Gewöhnungseffekt eingestellt", sagt Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Dies gelte vor allem mit Blick auf weitere Eskalationsstufen von Kremlchef Wladimir Putin im Ukraine-Krieg wie etwa die Annexion der russisch besetzten Gebieten der Ost-Ukraine und die Teil-Mobilisierung russischer Streitkräfte. Diese Maßnahmen würden eher als Verzweiflungstat von Kremlchef Wladimir Putin ausgelegt.
Größere Sorgenfalten bereiteten den Börsianern zuletzt dagegen die rekordhohen Inflationsraten in Europa und den USA. Diese bringen die Notenbanken weltweit unter Zugzwang und damit die Aktienkurse unter Druck.
Beim Blick auf den Kursverlauf des DAX in den letzten Monaten fällt denn auch Optimismus schwer. Hatte die Erholungsrally nach dem Corona-Crash das Börsenbarometer noch im November auf ein Rekordhoch bei gut 16.290 Punkten gehievt, herrscht am Aktienmarkt in diesem Jahr bislang die große Tristesse. Der Leitindex verzeichnete am Freitag das dritte Quartal in Folge ein Minus, und zwar in Höhe von gut fünf Prozent.
Seit Anfang Januar gerechnet steht beim DAX ein Abschlag von fast 24 Prozent zu Buche. Die größte Zäsur für den Aktienmarkt war in diesem Jahr der Überfall Russlands auf die Ukraine, der am 24. Februar startete. Neben dem menschlichen Leid werden allmählich auch die wirtschaftlichen Konsequenzen dessen immer sicht- und spürbarer: Neben gestörten Lieferketten sind laut dem Analysten Volker Sack von der Landesbank NordLB nach oben geschossene Energiepreise im Zuge der Sanktionen gegen Russland zu nennen, die mit einer beträchtlichen Dynamik der Inflation einhergingen. Damit bleibe die Lage am Aktienmarkt auch nach sieben Monaten Ukraine-Krieg angespannt.
Derzeit treibt vor allem die historisch hohe Teuerung die Anleger um, die auch eine Folge von Corona-Beschränkungen und damit einhergehenden Lieferengpässen ist. Denn stark steigende Preise gelten als Alarmsignal für die konjunkturelle Entwicklung und rufen die Notenbanken auf den Plan, die mit deutlichen Zinserhöhungen gegensteuern müssen.
Die US-Notenbank Fed geht dabei bislang besonders aggressiv vor und hat bereits klargemacht, dass sie im Kampf gegen die Inflation auch eine wachsende Arbeitslosigkeit und eine leichte Rezession in Kauf nehmen wird - was erst einmal keine gute Nachricht für Europa als wichtigen Handelspartner der USA ist. Auch die Europäische Zentralbank hat nach langem Zögern mittlerweile die Zinswende eingeleitet, um die Preisstabilität wiederherzustellen. Steigende Zinsen aber können die Wirtschaft ausbremsen, denn sie verteuern Konsumentenkredite und hemmen Investitionen der Unternehmen. Zudem verlieren Aktien im Vergleich zu festverzinslichen Wertpapieren an Attraktivität.
Gleichwohl erwarten Analysten wie Frank Wohlgemuth von der Essener National-Bank auf Sicht der nächsten Monate moderat steigende Aktienkurse. Denn anders als in früheren Krisenzeiten befänden sich viele Unternehmen aktuell in einem deutlichen besseren Zustand in puncto Liquidität und Verschuldungsgrad, sodass sie dem Experten zufolge auch die derzeitige Energiekrise einigermaßen gut umschiffen dürften. Kopfzerbrechen bereiten den Firmenlenkern insbesondere die nach oben geschnellten Gas- und Strompreise. Diese bei der Produktion anfallenden Kosten können nur schwer oder fast gar nicht an die Kunden weitergegeben werden, die selber unter der hohen Inflation leiden.
Aus Sicht der Optimisten kann es am Aktienmarkt nach der monatelangen Talfahrt kaum noch schlimmer kommen. "Es ist schon eine Menge an Rezessionssorgen beziehungsweise Gewinneinbußen in den aktuellen DAX-Ständen eingepreist", sagt Analyst Sven Streibel von der DZ Bank. Zudem lebe die Börse von Erwartungen. Diese seien aktuell sehr schlecht und das wiederum biete Potenzial für positive Überraschungen etwa von der Unternehmens- oder Konjunkturseite, die dann die Kurse treiben könnten.
Streibel und auch der Experte Markus Reinwand von der Landesbank Hessen-Thüringen trauen dem DAX damit durchaus zu, bis Ende des Jahres noch in Richtung 14 000 Punkte robben zu können. Gegenüber dem aktuellen Stand wäre das ein Plus von knapp 16 Prozent. Zunächst aber hielten sich die Zinsängste hartnäckig, dämpfte Baader-Bank-Experte Halver allzu große Hoffnungen: "Da sich mittlerweile rund 85 Prozent der weltweiten Notenbanken im geldpolitischen Straffungsmodus befinden, wird eine nachhaltige Erholung der Aktienmärkte behindert."/la/jsl/zb/he
--- Von Lutz Alexander, dpa-AFX ---
FRANKFURT (dpa-AFX)
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