Aufbruch zum klimaneutralen Kontinent
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Mit dem Green Deal hat die EU-Kommission für Aufbruchstimmung gesorgt. Ein "neues Europäisches Bauhaus" soll Städte klimaneutral machen. Enormes Einsparpotenzial schlummert im Gebäudesektor, der für rund 40 Prozent der Treibhausgase in der EU verantwortlich ist. Steffen Szeidl, Vorstand des auf Bau und Immobilien spezialisierten Beratungsunternehmens Drees und Sommer, erklärt im Interview, warum mit der europaweiten Renovierungswelle auch ein Systemwandel notwendig ist.
"Beim Bauen sollten wir weiterdenken"
Steffen Szeidl, Vorstand des auf Bau und Immobilien spezialisierten Beratungsunternehmens Drees und Sommer, spricht mit Finanzen.net über die Zukunft des Bauens
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat kürzlich ihre politischen Prioritäten für die Union skizziert. Ein "neues Europäisches Bauhaus" soll Städte klimaneutral machen. Ist das überhaupt realistisch?
Machbar ist es, wenn die angedachten Maßnahmen konsequent umgesetzt werden. Im Neubau haben wir bereits einen guten Stand erreicht, unser Problem stellt jedoch der Bestand dar. In der EU entfallen auf Gebäude rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und der Treibhausgase, was ein gigantisches Einsparpotenzial birgt. Derzeit wird aber nur eins von 100 Gebäuden energieeffizient renoviert, dabei sind europaweit um die 85 Prozent aller Gebäude in die Jahre gekommen. Das Einsparpotenzial ist also enorm. Wenn wir die EU bis zum Jahr 2050 wirklich klimaneutral machen wollen, müssen wir deutlich mehr und deutlich schneller sanieren.
Wie lässt sich dieses Ziel erreichen?
Zunächst einmal sind Gesetzesvorgaben und Subventionen wichtige Hebel, etwa die EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie oder das Subventionsprogramm zum Austausch von Ölkessel gegen eine Heizung auf Basis von erneuerbaren Energien. Außerdem müssen wir bei der Energienutzung kreativer werden. Beispielsweise verpufft rund die Hälfte der Wärme, die Industrieunternehmen erzeugen, derzeit ungenutzt. Das ist nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern auch für die eigene betriebswirtschaftliche Bilanz. Die Wärme könnte stattdessen nach schwedischem Vorbild verwendet werden, um angrenzende Bürogebäude oder Wohnungen zu heizen. Egal ob Hausbesitzer, Unternehmen oder Investor: Wenn Klimaschutz kein leeres Lippenbekenntnis sein soll, müssen alle Akteure ökologische Verantwortung übernehmen.
Können Sie hier schon ein Umdenken erkennen?
Ganz klar: Ja! Der Klimawandel und die Fridays-for-Future-Bewegung gehen nicht spurlos an der Immobilienbranche vorbei. Zwar sind die Kriterien, welche nachhaltige Gebäude erfüllen müssen, bislang nicht einheitlich geregelt oder nur schwer vergleichbar. Aber die sogenannten ESG-Kriterien bilden zunehmend die Grundlage für nachhaltige Investments. Diese umfassen weit mehr als rein ökologische Aspekte. Starke Governance-Strukturen und soziale Komponenten spielen ebenso eine wichtige Rolle.
Gesetzt den Fall, ein Neubau erfüllt solche Kriterien. Rechnet sich das denn überhaupt?
Dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit gegeneinander antreten, war schon immer ein Widerspruch. Heute schon haben wir Plusenergiehäuser, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen. Und auch der Ressourcenverbrauch muss keine Einbahnstraße sein. Die Baubranche verschlingt rund die Hälfte der europäischen Ressourcen und verursacht gleichzeitig gut 60 Prozent des Abfalls, teils in giftiger Form. Abhilfe verspricht das sogenannte "Cradle-to-Cradle"-Prinzip. Das ist ein kreislauffähiges Verfahren, um Baumaterialien nach dem Abriss sozusagen ein zweites Leben zu geben. Gebäude wandeln sich auf diese Weise zu einer Materialbank, die am Ende ihrer Nutzungszeit nicht auf dem Müll landen, sondern ihre Ressourcen wieder für neue Bauprojekte freigeben. Angewendet auf ganze Städte schlummern hier riesige Rohstoffdepots.
Wie sieht sie für Sie aus, die ideale Stadt der Zukunft?
Es geht um mehr als nur die einzelne Immobilie: Die ideale Stadt verbindet die unterschiedlichen Nutzungsarten statt sie zu trennen, hat ein durchgängiges Mobilitätskonzept, ist verdichtet um anderswo Fläche zu sparen. Es gibt da eine schöne Metapher: Häuser wie Bäume und Städte wie Wälder. Dazu gehören nicht nur begrünte Fassaden oder der Gemüsegarten auf dem Dach, sondern Stoffkreisläufe, bei denen Bauabfälle in neuen Immobilien aufgehen. Wenn wir das Ziel der Klimaneutralität erreichen wollen, müssen wir grüner werden, weniger Flächen versiegeln, und einen positiven Beitrag zur Biodiversität leisten.
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Bildquellen: Drees&Sommer