Rezession in Deutschland unausweichlich? IMK-Konjunkturindikator trübt sich erneut ein - Wirtschaftsleistung 2023 im Minus
Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den kommenden drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist nach jüngsten Erhebungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) erneut spürbar gestiegen.
Der von dem Institut berechnete Konjunkturindikator weist für den Zeitraum von Juni bis Ende August eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 49,3 Prozent aus, nachdem sie im Mai für die folgenden drei Monate noch 37,6 Prozent betragen habe, wie das IMK mitteilte. Das ist der höchste Wert seit November 2022.
Der nach dem Ampelsystem arbeitende Indikator schalte zwar aktuell noch nicht auf "rot", die Eintrübung liefere aber einen Hinweis darauf, dass die konjunkturelle Schwächephase noch länger andauern könnte, erklärte IMK-Konjunkturexperte Peter Hohlfeld. "Die abermalige spürbare Zunahme der Rezessionswahrscheinlichkeit deutet darauf hin, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im zweiten Quartal allenfalls stagniert", sagte er.
Dass das Rezessionsrisiko für die kommenden Monate gestiegen ist, geht laut IMK auf mehrere Faktoren zurück, die die deutsche Konjunktur derzeit bremsen. Dazu zählten die schwache Auslandsnachfrage ebenso wie die stark gestiegenen Hypothekenzinsen. Auch die sinkende Zahl offener Stellen wirke sich mittlerweile im Indikator aus. Zudem wiesen auch Stimmungsindikatoren wie der Ifo-Geschäftsklimaindex nach unten.
IfW: Schwacher Winter drückt Wirtschaftsleistung 2023 ins Minus
Für die Wirtschaftsleistung in Deutschland zeichnet sich 2023 nach Berechnungen des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) ein Rückgang ab. Das IfW erwartet im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 0,3 Prozent und revidiert damit seine Frühjahrsprognose eines Zuwachses um 0,5 Prozent deutlich nach unten. Grund sei vor allem das schwache zurückliegende Winterhalbjahr. Im restlichen Jahresverlauf sei aber eine moderate Expansion zu erwarten. Für 2024 rechnet das IfW nun mit einem Plus von 1,8 Prozent anstatt bislang 1,4 Prozent. Die Inflation dürfte sich im Verlauf des Jahres deutlich verringern und 2023 im Schnitt 5,8 Prozent sowie 2024 noch 2,1 Prozent betragen.
"In Anbetracht der schweren der Krise und dem Lieferstopp von Öl und Gas aus Russland schlägt sich die deutsche Wirtschaft wacker und bestätigt damit ihre Fähigkeit, sich schnell an neue Gegebenheiten anzupassen", sagte IfW-Präsident Moritz Schularick. "Aber klar ist auch, dass die Energiekrise ihre Spuren hinterlassen hat." DIW-Konjunkturchef Stefan Kooths betonte, der Ausblick für die deutsche Wirtschaft sei besser, als es die negative Jahresrate für das Bruttoinlandsprodukt vermuten lasse.
"Ein nach wie vor großes Aufholpotenzial nach der Corona-Pandemie, hohe Auftragsbestände in der Industrie und demnächst kräftige Kaufkraftzuwächse bei einem stabilen Arbeitsmarkt sind die Zutaten, die die Konjunktur stützen", sagte Kooths. Verglichen zur Frühjahrsprognose des IfW hätten die Nachwehen der Energiekrise sowie die straffe Geldpolitik der deutschen Wirtschaft im Winterhalbjahr aber etwas stärker zugesetzt als erwartet. Mit einem ungewöhnlich hohen Krankenstand und einem Einbruch des Staatskonsums nach Ende der Corona-Maßnahmen wirkten zudem zwei Sondereffekte dämpfend.
Nach wie vor lasteten der Arbeitskräftemangel und die Lieferengpässe auf der Konjunktur. "Insgesamt steht die deutsche Konjunktur im Spannungsfeld zwischen erheblichen Expansionsspielräumen und bislang recht hartnäckigen produktionsseitigen Hemmnissen. In dem Maße, wie diese nach und nach überwunden werden, kann auch die Wirtschaftsleistung wieder anziehen", so Kooths. Die Energiepreise und mit ihnen die Inflationsrate gingen im Jahresverlauf zurück, im nächsten Jahr dürften die Energiepreise um über 6 Prozent fallen.
Auftrieb für den privaten Konsum
Die Kaufkraft vieler Menschen nehme dank kräftiger Verdienstzuwächse und höherer Sozialleistungen bei gleichzeitig geringerem Preisauftrieb bereits im weiteren Verlauf des Jahres merklich zu. Dies verleihe dem zuletzt sehr schwachen privaten Konsum Auftrieb, auf Jahressicht zeige sich dies aber erst in den Werten für 2024 mit einem erwarteten Plus von 2,7 Prozent nach einem Rückgang um 1 Prozent im laufenden Jahr. "Ein Teil des drastischen Preisauftriebs, der zunächst die Gewinnmargen steigen ließ, kommt nun in Form von höheren Löhnen bei den Arbeitnehmerhaushalten an. Damit normalisiert sich das Verteilungsgefüge, was dem Konsum zugutekommt, ohne die Inflation kostenseitig anzutreiben", sagte Kooths.
Davon profitierten vor allem die Dienstleistungsbranchen, also etwa der Einzelhandel oder das Hotel- und Gaststättengewerbe. Sie könnten wieder kräftige Anstiege in der Wertschöpfung erwarten und die zuvor erlittenen Einbußen allmählich wettmachen. Auf dem Arbeitsmarkt blieben die Auswirkungen der Energiekrise überschaubar. Die Arbeitslosenquote dürfte von 5,3 Prozent im Jahr 2022 dieses Jahr leicht auf 5,6 Prozent steigen und 2024 wieder auf 5,3 Prozent sinken.
Die Fehlbeträge in den öffentlichen Haushalten sinken laut IfW. Maßgeblich seien der Wegfall krisenbezogener Ausgaben und steigende Einnahmen der Sozialversicherungen. Das staatliche Defizit falle von 2,7 Prozent im vergangenen Jahr auf 1,7 Prozent in diesem und 0,9 Prozent im kommenden. Der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP liegt nach den Kieler Berechnungen dann bei 63 Prozent.
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)
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