Schockwelle weltweit spürbar

Chinas Börsen im freien Fall: Gefahr für Weltwirtschaft?

08.07.15 17:29 Uhr

Chinas Börsen im freien Fall: Gefahr für Weltwirtschaft? | finanzen.net

So tief sind Chinas Börsen seit dem letzten großen Börsenkrach vor sieben Jahren nicht mehr abgestürzt. Und ein Ende der Talfahrt ist vorerst nicht in Sicht.

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Weil die Krise um Griechenland seit Wochen die Welt in ihren Bann gezogen hat, wurde der dramatische Einbruch an den Aktienmärkten in China bisher wenig wahrgenommen.

Zumindest bis jetzt. Denn die Schockwellen sind inzwischen weltweit zu spüren - selbst am Frankfurter Aktienmarkt. Die asiatischen Börsen geraten unter Druck: In Hongkong stürzte der Aktienindex so stark ab wie seit der globalen Finanzkrise 2008 nicht. In vielen Ländern fallen die Kurse von Unternehmen, die vom China-Geschäft abhängen.

Im Reich der Mitte selbst haben die Einbrüche in fast vier Wochen zwei bis drei Billionen Euro an Kapital vernichtet - rund zehnmal so viel wie Griechenlands Wirtschaftsleistung in einem Jahr. Seit ihrem Höhepunkt am 12. Juni haben die Märkte in Shanghai und Shenzhen rund ein Drittel an Wert eingebüßt.

Fachleute sind zunehmend besorgt. "Wenn die Stabilisierungsmaßnahmen der chinesischen Regierung nicht fruchten und das Vertrauen der Anleger schwindet, könnte das die chinesische Wirtschaft so stark belasten, dass dies für die globalen Konjunkturaussichten zu einer Bedrohung wird", warnt der Analyst Andreas Paciorek von CMC Markets.

Nicht wenige Experten raten aber vor staatlichen Eingriffen ab. "Es kann den Markt vielleicht vorübergehend stabilisieren, aber langfristig wirkt es nicht", sagte der Pekinger Wirtschaftsprofessor Hu Xingdou der Deutschen Presse-Agentur. Planwirtschaftliche Methoden taugten nicht zur Korrektur. "Wir sollten die Marktkräfte respektieren."

Die australische ANZ-Bank mahnt, dass alle Rettungsversuche "nur Schaden anrichten" werden. "Es wird noch mehr Leute ermutigen, auf Kosten der Steuerzahler und öffentlichen Kassen Risiken einzugehen." Investoren müssten lernen, Gefahren einzuschätzen, anstatt auf "Too Big To Fail" zu setzen - dass etwas so groß ist, dass es gerettet werden muss, weil es sonst alles mit in den Abgrund ziehen würde.

Präsident Xi Jinping beschwört sonst gern die Marktkräfte als Allheilmittel - doch die Regierung hat seit der globalen Finanzkrise 2008 nicht mehr so massiv an den Börsen eingegriffen. Der Leitzins wurde gesenkt, die Transaktionsgebühren reduziert oder Hindernisse für kreditfinanzierte Aktienkäufe reduziert. Selbst die Zentralbank macht mobil: Mit Hunderten Milliarden Yuan soll der Kauf von Aktien jetzt finanziert werden. Doch gehen die Interventionen ins Leere.

"Der Parteistaat verliert den Kampf gegen die Märkte", sagt Sandra Hepp vom China-Institut Merics in Berlin. "Das Vertrauen der Bevölkerung ist zutiefst erschüttert." Betroffen sind besonders viele Kleinanleger - vom Friseur über den Taxifahrer bis hin zur Putzfrau; alle, die sich vom jüngsten Goldrausch haben anstecken lassen.

Jetzt warten sie auf den weißen Ritter aus Peking - den allmächtigen Staat, der in China immer schon alles geregelt hat. "Die Glaubwürdigkeit der Kommunistischen Partei ist in Gefahr."

Auch die wirtschaftlichen Reformen sind bedroht. Die Verluste der Privatanleger schwächen die heimische Nachfrage, die Börsenkrise bremst die Liberalisierung des Finanzsystems. Kleine Unternehmen werden geschwächt, der Staatssektor dominiert. Werde Chinas Nachfrage nach Importgütern durch ein Einbrechen von Investitionen und Konsum geschwächt, wäre auch die deutsche Wirtschaft "empfindlich getroffen", warnt Merics-Expertin Hepp vor den Folgen.

Der Aktienmarkt sei von der Realwirtschaft "geschieden", sagt Professor He Xiaoyu von der Universität für Wirtschaft und Finanzen: "Das Problem sind die großen Investoren, die nicht rational kaufen oder verkaufen." Sie glaubten, dass sie nur der Partei folgen müssten

- und wenn es dann ein Problem gebe, werde die Regierung schon

helfen. "So können wirtschaftliche Probleme zu politischen Problemen werden."

"Was 150 Prozent hochgeht, kommt irgendwann runter", erklärt auch der EU-Kammerpräsident in China, Jörg Wuttke. Bisher seien es zwar erst gut 30 Prozent gewesen - aber China sei solche Schwankungen nicht gewohnt. "Die Regierung hat jetzt ein Imageproblem, weil sie der Spekulationsspirale nicht Einhalt geboten hat."

Der Börsenkrach könnte das Wirtschaftswachstum drücken. Wuttke erinnert an den letzten Crash nach 2007, der "sieben Jahre biblische Dürre" an den Aktienmärkten ausgelöst habe: "Nach sieben Monaten des extremen Aufschwungs fürchte ich jetzt wieder sieben Jahre Dürre."/lw/DP/fri

PEKING (dpa-AFX)

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