Scharf auf Auslandskapital

Saudi-Arabien: Ganz neue Perspektiven

12.06.15 15:00 Uhr

Saudi-Arabien: Ganz neue Perspektiven | finanzen.net

Der Verfall des Ölpreises macht den Scheichs zu schaffen. Jetzt wird die Börse für internationale Investoren geöffnet, um vermehrt ausländisches Kapital in das Wüstenreich zu locken.

von Gerard Al-Fil, Riad, Euro am Sonntag

Ruth McKee AlGhamdi trägt normalerweise Businessdress. Doch wenn die Leiterin für die Region Mittelost und Nord­afrika bei der Research-Firma Mergermarket von Dubai nach Riad in Saudi-Arabien aufbricht, muss sie ihre Garderobe gegen ein schwarze Abaya tauschen, das orientalische Gewand für Frauen.

Saudi-Arabien in seiner erzkonservativen Ausrichtung, in der die Rechte der Frauen massiv beschnitten werden, scheint auf den ersten Blick unberührt von den zahlreichen Konflikten, die im Irak, Jemen und Syrien toben. "Saudi-Arabien ist das einzige arabische Land im G 20 und Hort der Stabilität im sonst unruhigen Nahen Osten", sagt Alanoud Alsalamah, Analyst beim Riad-Ableger der französischen Bank BNP Paribas. Die ­futuristisch anmutenden Wolkenkratzer könnten auch in New York oder Hongkong stehen. Der ewig fließende Verkehr zeugt von "business as usual".

Doch hinter der Glitzerfassade bröckelt es. Wegen der Ölpreisflaute hat der IWF gerade seine Wachstumsprognose für Saudi-Arabien für das laufende Jahr von 4,5 Prozent auf drei Prozent gesenkt. Wie viele Banker und Analysten aus aller Welt pilgerte auch McKee AlGhamdi Anfang Mai nach Riad, um an der 10. Euromoney-Konferenz teilzunehmen. Denn auf der Tagesordnung stand ein extrem spannender Punkt: die Öffnung der saudi-arabischen Wertpapierbörse Tadawul für Ausländer.

Ab 15. Juni dürfen ausländische institutionelle Anleger wie Banken oder Fondsgesellschaften an der Börse handeln. Allerdings werden nur Finanzunternehmen mit mindestens fünf Milliarden Dollar Anlagevermögen und mindestens fünf Jahren Investmenterfahrung von der Marktaufsicht CMA akzeptiert.

"Auf die Öffnung der saudischen Börse hat die Finanzwelt lange gewartet, schließlich ist die Tadawul mit 568 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung der größte Kapitalmarkt in Nahost", sagt McKee AlGhamdi.

Viele Investmentchancen

An Anlageoptionen mangelt es nicht. So ist der börsennotierte Rohstoffkonzern SABIC (Saudi Basic Industries Corporation) weltweit die Nummer 1 unter den Petrochemiekonzernen und die größte Gesellschaft im 166 Aktien umfassenden Aktien­index TASI. Andere Schwergewichte sind die islamische Al Rajhi Bank oder der Ma’aden- Konzern, der in einem Joint Venture mit der amerikanischen Alcoa die gigantischen metallischen Bodenschätze im Westen des Wüstenreichs fördert.

Dass die Saudis nun ihre Börse öffnen, hat mit den vielen Problemen zu tun, mit denen das Land konfrontiert wird. Wegen des Bürgerkriegs im Jemen, in dem Saudi-Arabiens Luftwaffe zugunsten des seit März im saudischen Exil lebenden sunnitischen Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi und gegen die schiitischen Huthi-Rebellen eingreift, ist die Lage gespannt. Um Flughäfen und vor öffentlichen Gebäuden hat das Militär Checkpoints errichtet, Lastwagen und Taxis werden kontrolliert. Die Angst vor Anschlägen geht um, berechtigterweise, wie die verheerenden Attentate auf schiitische Moscheen beweisen.

Außenpolitisch drückt der Schuh, weil die Beziehungen zum engsten westlichen Verbündeten USA angespannt sind. Kürzlich sagte Saudi-König ­Salman seine Teilnahme am Golfstaaten-Gipfel von Präsident Obama in Camp David Knall auf Fall ab. Der 79-jährige Monarch schickte seinen 55-jährigen Kronprinzen Mohammed Bin Nayef. Der Gipfel sollte die Scheichs vor dem bevorstehenden Atomabkommen mit Teheran beschwichtigen.

Die mehrheitlich sunnitischen Saudis sind in Sorge, weil zum einen der Rivale Iran vor einem Comeback steht, wenn die Sanktionen fallen. Zudem unterstütze der Iran die Schiiten-Rebellen im Jemen, behaupten die Saudis. Vor allem aber macht den Scheichs der Verfall des Ölpreises zu schaffen. Der Schieferölboom in den USA wird Amerika schon bald unabhängig vom schwarzen Gold aus Arabien machen. Dies hat immense wirtschaftliche Folgen: Um 90 Prozent sind binnen eines Jahres die Einnahmen aus dem Erdöl­export bereits eingebrochen.

Gleichwohl soll die Öffnung des Kapitalmarkts auch Hedgefonds aus den USA anlocken. "Mehrheitsbeteiligungen durch ausländische Investoren an heimischen Unternehmen sind aber nicht möglich", betonte Adel Al-Ghamdi, Chef der Saudi Stock Exchange, auf der Euromoney-Tagung. Der saudische Finanzminister Ibrahim Al-Assaf betonte, "Investitionen, von ­innen und von außen sind das Gebot der Stunde, um der Ölpreis-Baisse zu begegnen. Wir brauchen mehr Investitionen in die Infrastruktur, in Ausbildung, Gesundheitswesen und soziale Einrichtungen."

Der Indexentwickler MSCI hat bereits angekündigt, im Juni neue Kursbarometer auf Saudi- Arabien zu lancieren. Invest­mentbanken wie Goldman Sachs suchen bereits Banker, die bereit sind, ein paar Jahre in Riad zu arbeiten. Das wird nicht ganz einfach sein, schließlich gibt es in dem Königreich, das die Heiligen Stätten des Islam in Mekka beheimatet, weder ­Kinos noch Theater oder Alkohol. Und die allgegenwärtige Religionspolizei Mutawa überwacht die Geschlechtertrennung im Alltag.

Transparenz wird steigen

Robert Parker, Senior Investmentstratege bei Credit Suisse, begrüßt die neue Offenheit der Börse. "Ausländische Anleger werden die faire Bewertung der gelisteten Aktien und die Liquidität verbessern. Außerdem wird es die Transparenz verbessern, weil die Finanzwelt ­genauer hinschaut, wenn börsennotierte Firmen Geschäftszahlen veröffentlichen", sagt er. Der Brite glaubt, dass Saudi-Arabien frühestens 2017 in den MSCI Index für aufstrebende Länder aufgenommen werden wird, so wie Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate im letzten Jahr.

Wie groß der Markt ist, zeigt der Börsengang (IPO) der National Commercial Bank im November 2014. Mit einem Emissionserlös von sechs Milliarden Dollar war es der weltweit zweitgrößte IPO nach dem chinesischen E-Commerce-Giganten Alibaba in New York. Weitere Börsengänge seien in der Pipeline, sagt Ruth McKee AlGhamdi. Selbst die Tadawul wollen die Saudis listen lassen.

Credit-Suisse-Stratege Parker mahnt jedoch zur Vorsicht. Es sei wichtig, es bei der Öffnung für Institutionelle zu belassen. Tadawul-Chef Al-Ghamdi (der nicht verwandt ist mit Ruth McKee AlGhamdi): "Der Tadawul-Markt schwankt stark, weil 90 Prozent der Investoren wankelmütige Privatanleger sind, und das wollen wir mit der Öffnung des Marktes ändern.

Vom Allzeithoch bei 13.798 Zählern, das der TASI-Index am 20. Juni 2005 erreichte, ist das Börsenbarometer weit entfernt. Zurzeit bewegt es sich um die 9.700 Punkte seitwärts.

Ähnlich wie das rekordsüchtige Dubai versucht auch Saudi-Arabien der Welt seine Ambitionen vor Augen zu führen. In Dschidda am Roten Meer wird Prinz und Milliardär Al-Walid (er hält Anteile von Apple, Twitter, Citigroup, Fox News und Mövenpick) bald beginnen, die ersten der 318 Wohnungen im noch im Bau befindlichen Kingdom Tower (Burj Al-Mamlaka) zu verkaufen. Wenn der Turm 2018 fertig ist, soll er mit 1.001 Metern Höhe den Burj Khalifa (mit 830 Metern der derzeit welthöchste Tower) in Dubai in den Schatten stellen. Irrwitzige 130 Milliarden Dollar investiert die Regierung in komplett neue Städte wie die King Abdullah Economic City (KAFD) nördlich von Dschidda, die Arabiens neues Finanzzentrum werden soll.

Geschäftsfrauen wie Ruth McKee AlGhamdi werden dann nicht mehr in die lästigen Sammeltaxis für Damen steigen müssen: Das KAFD soll über eine eigene U-Bahn verfügen. Getrennte Waggons für Männer und Frauen wird es aber dennoch geben.

Bildquellen: iStockphoto, Ammar Mas-oo-di/ iStockphoto