Saisonstrategie

DAX & Co: Sommerloch und Winterfreude

aktualisiert 23.11.11 10:33 Uhr

Wissenschaftliche Studien zeigen: Die Aktienkurse schwanken mit den Jahreszeiten. Mit der richtigen Langfriststrategie können Anleger vom saisonalen Auf und Ab profitieren.

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von Tobias Aigner, €uro am Sonntag

Schwankende Stimmung (pdf)

Schwarze Brille, das Gesicht leicht verkniffen, die blonden Haarsträhnen hängen in die Stirn: Das ist Robert Rethfeld, wie er regelmäßig als Gast bei n-tv und dem Deutschen Anleger Fernsehen auftritt. Der Chef des Börsendienstes Wellenreiter-Invest hält keine geschliffenen Reden. Viele Ähs streut er in seine Antworten ein. Seine Sätze brechen manchmal unvermittelt ab. Aber was er sagt, wirft oft ein anderes Licht auf das Treiben am Markt. Denn Rethfeld ist ein Statistikfreak. Einer, der die Börsendaten täglich nach Abhängigkeiten, Signalen und wiederkehrenden Mustern durchkämmt. Und der die Mehrheitsmeinung gern mal gegen den Strich bürstet.

Etwa wenn er über jahreszeitliche Kursschwankungen spricht. „Saisonale Muster gehören zu den zuverlässigsten, die wir kennen“, sagt der 49-Jährige. Darunter versteht er, dass die Börsen zum Jahresende oft steigen und im Spätsommer einbrechen.

Den Zusammenhang haben zwar viele Investoren im Hinterkopf, von Experten wird er jedoch immer wieder angezweifelt, weil er ökonomisch kaum zu erklären ist. Rethfeld lässt da lieber die Zahlen sprechen. Er hat die Wertentwicklung des Dow-Jones-Index seit 1930 nach Kalendermonaten aufgelistet. Im Durchschnitt steigen die Kurse demnach im Dezember am stärksten. Das Plus beträgt gut 1,5 Prozent. Der September ist dagegen der schwächste Börsenmonat. Hier geben die Kurse um gut ein Prozent nach. „Natürlich gilt die Regel nicht in jedem Jahr“, sagt Rethfeld, „aber sie ist so wichtig, dass wir sie bei unseren Prognosen immer berücksichtigen.“

Für Deutschland sieht das Muster ähnlich aus (siehe Grafik oben). Seit seiner Geburt im Jahr 1988 verbuchte der DAX im Schnitt nur in den Monaten August und September einen nennenswerten Verlust. Während die stärksten Börsenmonate April, Oktober, November und Dezember sind.

Winter hui, Sommer pfui: Der Zusammenhang gilt sogar rund um den Globus. Ben Jacobsen, Finanzprofessor an der Massey-Universität in Neuseeland, hat das Phänomen schon vor zehn Jahren untersucht. Dazu verglich er an 37 Weltbörsen die durchschnittliche Kursentwicklung von November bis April mit der von Mai bis Oktober. Das eindrucksvolle Ergebnis: An 36 Handelsplätzen waren die Aktiengewinne im Winter deutlich höher als im Sommer. Besonders ausgeprägt ist dieser „Halloween-Effekt“, wie Jacobsen ihn nennt, in Europa. In England tritt er schon seit dem Jahr 1693 auf.


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Alter Spruch birgt viel Wahrheit
„Sell in May and go away“ — in dem alten Spruch steckt offenbar viel Wahrheit. Schon 1964 tauchte er in der „Financial Times“ auf, 1977 in „The Economist“. Heute gehört er zu den bekanntesten Bonmots der Investoren. Und er hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. Jacobsen hat die Regel in einer neuen Studie auch für das vergangene Jahrzehnt getestet. Diesmal hat er 108 Börsenplätze unter die Lupe genommen. Im Winterhalbjahr legten die Kurse im Schnitt um 7,1 Prozent zu, im Sommer fiel das Plus mit 1,5 Prozent dagegen mickrig aus. „Immer noch überaus erfolgreich“, lautet Jacobsens Fazit für seinen Halloween-Indikator.

Woher dieser Erfolg kommt, darüber haben sich schon viele Börsianer den Kopf zerbrochen. Meist verweisen sie auf die Anlegerpsychologie. „Die Investoren kommen aus den Ferien zurück und machen sich plötzlich wieder trübe Gedanken“, versucht Rethfeld die häufigen Einbrüche im Spätsommer zu erklären. Auch Jacobsen nennt als wahrscheinlichste Ursache das „Urlaubsverhalten“. Ökonomisch stichhaltig klingt das alles nicht. Kritiker halten deshalb dagegen, das saisonale Muster sei lediglich ein statistischer Ausreißer, ein Hokuspokus vermeintlicher Kurswahrsager. Wenn diese Abhängigkeit wirklich existierte, so argumentieren sie, dann würden in einem effizienten Markt immer mehr Anleger danach handeln — und der Effekt verschwände wieder.

Endgültig widerlegen lässt sich diese Ansicht nicht. Aber die Kritiker begeben sich auf sehr dünnes Eis. Die Theorie von der Effizienz der Märkte gerät in der Volkswirtschaftslehre immer stärker unter Druck. Sie setzt voraus, dass die Investoren rational handeln und ihren Nutzen maximieren. „Ich wäre ein Bettler mit einer Blechtasse in der Hand, wenn die Märkte effizient wären“, hat die Investorenlegende Warren Buffett einmal gesagt.

Jacobsen meint gar, die Kritik stehe im Widerspruch „zu allen empirischen Börsendaten, die der Menschheit zur Verfügung stehen“. Das Vertrauen in seine Studienergebnisse bekräftigt er nicht nur mit markigen Worten. Seit den frühen 1990er-Jahren spekuliert Jacobsen mit seinem eigenen Geld auf den Halloween-Effekt. Erst nur mit Indexfonds, inzwischen auch mit Optionen. Nach eigenen Angaben schlägt er den Markt damit im Schnitt um mehr als zehn Prozent pro Jahr.

Von den saisonalen Kurswellen können auch deutsche Anleger profitieren. Da der DAX vor allem im August und September zur Schwäche neigt, bietet sich für diese Monate die Sell-in-Summer-Strategie an. Dabei ordert der Investor jeweils am 1. Oktober ein DAX-Zertifikat oder einen Indexfonds. Am 31. Juli des Folgejahres stößt er das Papier wieder ab und kehrt der Börse für zwei Monate den Rücken. Seit der Einführung des DAX zeigte diese einfache Strategie eine beeindruckende Wertentwicklung. Über einen Zeitraum von rund 23 Jahren warf sie im Schnitt eine jährliche Rendite von 14 Prozent ab. Eine Buy-and-Hold-Strategie auf den DAX schaffte dagegen nicht mal ein Plus von sieben Prozent pro Jahr. In Euro ausgedrückt heißt das: Aus 10.000 Euro machte die Strategie seit 1989 gut 200.000 Euro, der Index nur knapp 45.000 Euro (siehe Tabelle).

Der Clou: Mit Sell-in-Summer gingen die Anleger zudem ein geringeres Risiko ein als mit einem dauerhaften DAX-Investment. Der Depotwert schwankte weniger stark. Und die Strategie führte nur in vier Kalenderjahren in die Verlustzone, der Index schrieb achtmal rote Zahlen.

Sommerliches Kursbeben
Auch 2011 überzeugt die Methode. Der DAX sackte seit Jahresbeginn um rund 15 Prozent ab, Sell-in-Summer mehrte das Vermögen hingegen um zwölf Prozent. Denn das Kursbeben begann dieses Jahr Ende Juli und dauerte bis weit in den September hinein. Genau die Zeit, in der die Strategie ihre Börsenpause einlegt.

Die Methode hängt das Börsenbarometer natürlich nicht jedes Jahr ab. In Bullenmärkten zeigt sie auch mal Schwäche. So hinkte sie dem DAX von 2004 bis 2007 hinterher. Langfristig wetzt sie diese Scharten aber locker aus. In Baissen begrenzt sie die Verluste oft mit Bravour. Wichtig ist daher, dass Anleger Stehvermögen beweisen und die Strategie nach einem Misserfolg nicht gleich wieder über den Haufen werfen.

Steuern und Gebühren sind in den Rechnungen nicht berücksichtigt. Zumindest die Transaktionskosten für Sell-in-Summer bleiben bei zwei Orders pro Jahr jedoch überschaubar. Besonders komfortabel wenden Anleger die Methode mit einem Zertifikat an (siehe Investor-Info).

Sommerloch und Winterfreuden sind übrigens nicht die einzigen saisonalen Eigenarten der Aktienmärkte. Bekannt ist auch der Effekt des sogenannten Window-Dressing. Dabei hübschen Fondsmanager ihre Portfolios zum Jahresende noch mal auf, indem sie die Siegertitel des laufenden Jahres kaufen. Deren Kurse legen in der Folge meist weiter zu.

Trendwechsel im Oktober
Zudem treten Wendepunkte an den Börsen gehäuft im Oktober auf. Rethfelds Studien zeigen, dass eine wichtige Trendumkehr in etwa 25 Prozent der Fälle in diesem Monat stattfindet.
Schon seit Jahrzehnten kann man überdies beobachten, dass die Kurse vor allem um den Monatswechsel in die Höhe schnellen. Denn den Pensionskassen und Fonds fließt zu dieser Zeit frisches Kapital zu. Und sie setzen es sofort an den Börsen ein. Von 1982 bis 2007 konnte man den US-Markt deutlich schlagen, indem man jeweils drei Tage vor Monatsbeginn Aktien kaufte und sie sechs Tage später wieder abstieß, hat Rethfeld ausgerechnet. „Seit Beginn der Finanzkrise funktioniert das allerdings nicht mehr“, schränkt der Börsenprofi ein.

Bleibt die Frage, ob sich die klassische Saisonstrategie auch zum Jahresende 2011 durchsetzt und eine Weihnachtsrally vor der Tür steht. Die Chancen für ein Kursfeuerwerk sind eher gering, denn der DAX ist bereit im Oktober um fast zwölf Prozent geklettert. „Solche Zuwächse werden sonst im gesamten vierten Quartal erzielt, wenn die Kurse im Sommer eingebrochen sind“, sagt Markus Reinwand, Aktienstratege der Landesbank Hessen-Thüringen.

Einen kräftigen Schub erhalten die Börsen wohl erst, wenn die Frühindikatoren für die Konjunktur nach oben drehen. Damit rechnet Reinwand nicht vor dem ersten Quartal 2012. „Aktien sind zurzeit angemessen bewertet“, meint er. Die weihnachtliche Börsenbescherung könnte dieses Jahr also mager ausfallen.
Den DAX um Längen abgehängt (pdf)

Investor-Info

DAX Seasonal Strategy
Anlage mit Sommerpause

Das DAX-Seasonal-Strategy-Zertifikat von der Royal Bank of Scotland (RBS) setzt die Sell-in-Summer-Strategie um. Dabei investiert der Anleger von Oktober bis Juli in den DAX. In den ruppigen Börsenmonaten August und September setzt er aus und hält Cash.
Die Strategie hat den DAX seit seinem Start vor rund 23 Jahren klar übertrumpft. Eine komfortable Alternative zur Direktanlage.

RBS Alpha Deutschland
Gewinne zum Monatswechsel

Mit dem Alpha-Deutschland-Papier steigt der Anleger jeweils einen Handelstag vor Monatsende und vor Feiertagen in den DAX ein. Vier Handelstage danach geht er wieder aus dem Markt. Dann wird das Kapital mit dem Tagesgeldsatz verzinst. Der Ansatz hat jahrelang gut funktioniert, zuletzt aber stark gelitten.