Aufholprozess der Schwellenländer gerät ins Stocken
Die Vorzeichen für die weitere Entwicklung der Schwellenländer ändern sich. In den letzten Jahren boomte die Nachfrage nach Exporten aus den Schwellenländern.
Kredite waren vergleichsweise günstig und reichlich verfügbar, da die Zentralbanken ihre Zinsen auf außerordentlich niedrigen Niveaus hielten, und der Rohstoffmarkt hatte insbesondere wegen der robusten Nachfrage aus China die Aussichten für Rohstoffexporteure gestützt. Dies ändert sich nun. Schwellenländer müssen sich auf höhere Kreditkosten, hervorgerufen durch erwartete Zinserhöhungen der Fed, sowie eine Abschwächung des Welthandels und des chinesischen Wachstums einstellen. Der Aufholprozess gerät ins Stocken.
Aus Sicht von Standard & Poor’s sind die aktuellen Probleme in den Schwellenländern darauf zurückzuführen, dass sich einerseits die vormals günstigen externen Bedingungen zunehmend in Gegenwind verwandeln, andererseits aber auch darauf, dass politische Entscheidungsträger die notwendigen Reformen nicht mehr mit der notwendigen Energie vorantreiben. Sowohl bei Industrie- als auch bei Schwellenländern scheinen Reformen erst unter Druck in Gang zu kommen. Wenn dieser Druck nachlässt, etwa aufgrund beflügelnder externer Bedingungen, setzt häufig eine Reformmüdigkeit ein. Beispiele hierfür sind Russland, Türkei und Brasilien, wo sich die Politik zunehmend mit innenpolitischen Themen befasst und eingeleitete Reformen nicht mehr mit derselben Energie wie noch vor ein paar Jahren verfolgt.
Schwellenländer nicht über einen Kamm scheren
Je nachdem, welches Risiko im Vordergrund steht, sind unterschiedliche Staaten gefährdet. Darum ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Die Ratingentwicklungen in den Schwellenländern der letzten zwei Jahre zeigen, dass Standard & Poor’s den negativen Trend frühzeitig antizipiert hat.Ein deutlicher Abschwung in China würde besonders negative Folgen haben auf Südafrika, Chile und Peru. Diese Länder hängen in besonderem Maße vom Rohstoff- und/oder Chinahandel ab. Die Türkei hingegen könnte als Rohstoffimporteur ohne maßgebliches China-Exposure sogar zu den Gewinnern einer schwächelnden chinesischen Wirtschaft zählen. Die Korrektur eines heimischen Kreditbooms wäre hingegen in Ländern wie der Türkei, Venezuela, China, Russland sowie Argentinien besonders problematisch. Dagegen scheint Südafrika gegen dieses Risiko gefeit zu sein, da sich dort in der jüngeren Vergangenheit kein Verschuldungstrend abzeichnete.
Höhere Zinsen - höhere Verschuldung
Die Abwertung einer Währung kann zwar die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Gleichzeitig muss aber die Zentralbank mittels steigender Realzinsen einen Ausgleich schaffen, um Kapitalabflüsse aus den Schwellenländern einzudämmen. Höhere Zinsen hingegen bedeuten einen erschwerten Schuldendienst, insbesondere bei Verbindlichkeiten in Fremdwährung. Diese Kreditverteuerung ist potenziell von größerer Bedeutung als bei früheren Zinswenden, weil in vielen Schwellenländern die Niedrigzinsphase genutzt wurde, um die Verschuldung deutlich heraufzufahren, insbesondere des Privatsektors. Das Risiko einer nachhaltigen Zinserhöhung durch die Fed würde Länder wie die Türkei und Libanon vor besondere Herausforderungen stellen, während Russland, China und Brasilien diesbezüglich weniger zu befürchten haben.Weltwirtschaftliches Gewicht der Schwellenländer steigt
Heute entfallen etwa 40 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts auf die Schwellenländer. Das ist doppelt so viel wie während der Asienkrise 1997 und der Anteil wächst weiter. Die Schwellenländer agieren zunehmend selbstständig und sind nicht mehr die Anhängsel der weiter entwickelten Volkswirtschaften. Die Entscheidung der FED vom September 2015, die Leitzinsen zunächst nicht zu erhöhen, wurde erstmals mit der Volatilität in den Schwellenländern begründet. Dies ist aus unserer Sicht ein Novum und unterstreicht ebenfalls die zunehmende Bedeutung der Schwellenländer für die Weltwirtschaft.Von Standard & Poor’s untersuchte Schwellenländer sind Ägypten, Argentinien, Brasilien, Chile, China, Indien, Indonesien, Kolumbien, Libanon, Malaysia, Marokko, Mexiko, Pakistan, Peru, Philippinen, Polen, Russland, Südafrika, Thailand, Türkei, Ungarn, Venezuela.
Von Moritz Kraemer, Managing Director und Global Chief Ratings Officer für Staatenratings bei Standard & Poor’s Ratings Services in Frankfurt.
Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de
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