IWF sieht "riskante Phase" für Weltwirtschaft - Prognose für Deutschland schwächer
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Prognosen für das Weltwirtschaftswachstum in diesem und im nächsten Jahr nur marginal gesenkt, ist aber wegen der Turbulenzen im Bankensektor sehr besorgt.
"Das Risiko einer harten Landung hat vor allem für die Industrieländer deutlich zugenommen", heißt es im aktuellen Weltwirtschaftsausblick.
Die Weltwirtschaft befinde sich erneut in einer sehr unsicheren Phase, in der die kumulativen Auswirkungen der Schocks der vergangenen drei Jahre - vor allem die COVID-19-Pandemie und der Einmarsch Russlands in der Ukraine - auf unvorhergesehene Weise wirksam würden.
"Obwohl von den Zentralbanken angekündigt, haben der rasche Anstieg der Zinsen und die erwartete Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit... zusammen mit aufsichtlichen und regulatorischen Lücken sowie dem Eintreten bankspezifischer Risiken zu Stress im Finanzsystem und zu Sorgen hinsichtlich der Finanzstabilität geführt", analysiert der IWF. Er sieht die Gefahr, dass das Scheitern zweier US-Banken und die staatlich arrangierte Übernahme von Credit Suisse durch UBS zu einer geringeren Kreditvergabe führen wird.
Ausblick für Weltwirtschaft "von dichten Nebel umgeben"
"Angesichts der zuletzt erhöhten Volatilität an den Finanzmärkten und der zahlreichen Indikatoren, die in unterschiedliche Richtungen weisen, ist der Ausblick für die Weltwirtschaft von einem noch dichteren Nebel umgeben", schreibt der IWF. Die Unsicherheit sei groß, und die Risiken blieben so lange deutlich abwärts gerichtet, bis sich die Unruhe im Finanzsektor gelegt habe.
Der IWF rechnet damit, dass das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2023 um 2,8 (Januar-Prognose: 2,9) Prozent steigen wird und 2024 um 3,0 (3,1) Prozent. Zugleich wurden die Ölpreisprognosen deutlich zurückgenommen. Zu den Ländern mit der deutlichsten Prognosesenkung gehört Deutschland.
IWF erwartet für Deutschland 2023 BIP-Rückgang von 0,1 Prozent
Der IWF hebt seine Prognose für das US-Wirtschaftswachstum auf 1,6 (1,4) und 1,1 (1,0) Prozent an, während die für China unverändert bei 5,2 und 4,5 Prozent bleibt. Die Wachstumsprognose für den Euroraum für 2023 steigt auf 0,8 (0,7) Prozent, aber die für 2024 sinkt auf 1,4 (1,6) Prozent. Für Deutschland erwartet der IWF für 2023 einen BIP-Rückgang von 0,1 Prozent, nachdem im Januar noch ein Plus in entsprechender Höhe prognostiziert worden war. Für 2024 wird nur noch ein BIP-Zuwachs von 1,1 (1,4) Prozent erwartet.
Frankreichs Wachstumsprognosen liegen nun bei 0,7 (0,7) und 1,3 (1,6) Prozent, Italiens bei 0,7 (0,6) und 0,8 (0,9) Prozent und Spaniens bei 1,5 (1,1) und 2,0 (2,4) Prozent. Großbritanniens BIP wird laut IWF 2023 um 0,3 (0,6) Prozent sinken, aber 2024 um 1,0 (0,9) Prozent steigen. Japan traut der IWF 1,3 (1,8) und 1,0 (0,9) Prozent Wachstum zu. Indiens Wirtschaft wird demnach um 5,9 (6,1) und 6,3 (6,8) Prozent zulegen.
"Plausibles Alternativszenario" sieht geringeres Wachstum vor
Parallel hat der IWF allerdings ein "plausibles Alternativszenario" durchgerechnet, in dem es zu einer weiteren moderaten Straffung der Finanzierungsbedingungen infolge von Problemen bei einzelnen Banken und eine strengere Aufsicht kommt. Dabei sinkt das reale Kreditvolumen in den USA, dem Euroraum und Japan 2023 gegenüber dem Basisszenario um 2 Prozent, und der Renditeabstand zwischen Staats- und Unternehmensanleihen nimmt um 150 Basispunkte zu. Die Zentralbanken reagieren mit weniger Zinsanhebungen und die Fiskalpolitik beschränkt sich auf das Wirken der "automatischen Stabilisatoren".
In diesem Szenario wächst die Weltwirtschaft nur um 2,5 bzw. 2,8 Prozent, wobei der Bremseffekt in den Industrieländern größer ist als anderswo. In den USA, dem Euroraum und in Japan beträgt er 2023 rund 0,4 Prozentpunkte. Eine unerwartet starke Straffung der Finanzierungsbedingungen ist aus Sicht des IWF auch das wichtigste Abwärtsrisiko für die Prognosen des Basisszenarios. Weitere Risiken sind die kumulierten Effekte der weltweiten Zinsanhebungen durch Zentralbanken sowie die hohe private und öffentliche Verschuldung.
Zentralbanken müssen im Zweifelsfall Finanzstabilität sichern
Zentralbanken müssen nach Aussage des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Zweifelsfall der Finanzstabilität den Vorzug vor der Preisstabilität geben. "Sollte eine Notlage des Finanzsektors schwerwiegende Auswirkungen für die Gesamtwirtschaft haben, könnte die saubere Trennung zwischen den Zielen der Preisstabilität und der Finanzstabilität schwächer werden", heißt es im aktuellen Finanzstabilitätsbericht. In akuten "makro-kritischen Krisen" müssten die politischen Entscheidungsträger möglicherweise den geldpolitischen Kurs anpassen, um die Finanzstabilität zu unterstützen.
Sollte das nötig werden, müssten die Zentralbanken laut IWF ihre Entschlossenheit deutlich machen, dass sie die Inflation so schnell wie möglich wieder auf das Zielniveau zu bringen planten, sobald der finanzielle Stress nachlasse. "Die weltweite Zusammenarbeit zwischen Zentralbanken, Finanzaufsichtsbehörden und Finanzministerien ist von entscheidender Bedeutung", mahnt der IWF.
IWF warnt vor versteckten Schwachstellen im Finanzsystem
Sorge bereitet dem IWF, dass einerseits wegen der hohen Inflation die Zinsen wohl noch weiter angehoben werden müssen, sich aber andererseits weitere Probleme im Finanzsystem zeigen könnten. "Zweifellos ist das Finanzsystem wegen den nach der Finanzkrise bei den größten Banken durchgeführten Reformen sicherer geworden, aber es gibt weiterhin Sorgen hinsichtlich versteckter Schwachstellen nicht nur bei Banken, sondern auch bei Intermediären außerhalb des Bankensektors", warnt der IWF.
Er fordert in seinem Bericht, allen, auch kleineren Banken strenge Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften zu machen. Die beiden gescheiterten US-Banken waren von den entsprechenden Vorschriften des Baseler Ausschusses ausgenommen.
EZB sollte zusätzliche Liquiditätshilfen prüfen
Mit Blick auf Europa sieht der IWF die Gefahr, dass einige Banken des Euroraums Probleme haben könnten, ihre Verbindlichkeiten aus fällig werdenden TLTRO-Geschäften der Europäischen Zentralbank (EZB) zu bedienen. "Zusätzliche Liquiditätshilfen könnte erforderlich sein", schreibt er. Banken in einigen südeuropäischen Ländern, die kurzfristig weiterhin stark auf TLTROs angewiesen seien, seien tendenziell auch diejenigen, die nicht über genügend Überschussliquidität für die Rückzahlung verfügten.
Die internationalen Regulierungsbehörden müssen laut IWF aus den Vorgängen um die von UBS übernommene Credit Suisse lernen. "Es ist gut, dass Aktionäre und Inhaber anderer Kapitalinstrumente Verluste erlitten haben. Aber es erweist sich als schwieriger, mehr Verluste über die gesamte Gläubigerhierarchie zu verteilen, bevor öffentliche Mittel eingesetzt werden", merkt der IWF an. Die internationale Gemeinschaft werde eine Bilanz dieser Erfahrungen ziehen und politische Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit von Abwicklungsreformen nach der globalen Finanzkrise ziehen müssen.
Von Hans Bentzien
FRANKFURT/WASHINGTON (Dow Jones)
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