Anlageperspektiven 2010 – 2011
Was ist im Herbst 2010 anders als vor einem Jahr?
So viel eigentlich nicht... Die Regulierung der Finanzmärkte ist nicht besonders vorangekommen, wie ich es vor einem Jahr prognostiziert hatte. Was bislang an Maßnahmen erfolgt ist, eignet sich bestenfalls als Feigenblatt. Die Finanzoligarchie regiert weiter und schreibt sich weitgehend unbehelligt von der Politik weiter die Regeln – in Brüssel und anderswo.
Immer noch besteht die grundsätzliche Unsicherheit, ob wir Inflation, Deflation oder schleichende Deflation bekommen. Daran hat sich auch in diesem Jahr nichts geändert. Leider heißt das, dass wir streuen müssen. Aber Qualitätsaktien mit stabilen Geschäftsmodellen wie Beiersdorf werden sich bei Inflation und Deflation gut schlagen.
Die Griechenlandkrise löste in diesem Frühjahr viel Unruhe aus. Ich habe immer davor gewarnt, das überzubewerten. Griechenland, Spanien und Irland sind relativ kleine Länder. Europa geht es insgesamt relativ gut, insbesondere den deutschsprachigen Ländern, die noch einen gesunden Mittelstand haben. Die angelsächsische Presse hätte es gerne, wenn Österreich ein „Argentinien an der Donau“ wäre, dann würde man von eigenen Problemen ablenken können. Solange Deutschland zahlt, kann der Euro noch etliche Jahre stabil sein.
Im Gegenteil, im Frühjahr habe ich mich in Griechenland, Spanien und Italien auf die Suche nach geeigneten Investments für meinen Fonds gemacht. Wenn irgendwo die Panik regiert, sollte man zumindest mal genauer hinschauen.
Die wahren Fragen der Weltwirtschaft werden nicht in Griechenland, Spanien oder Irland gelöst, sondern in den Vereinigten Staaten von Amerika, China und Japan.
• Vereinigte Staaten von Amerika: Das Ursprungsland der Finanzkrise steht vor einem erneuten Wirtschafsabschwung, einem „Double Dip“. Langsam laufen die Stützungsmaßnahmen für die Immobilienbranche aus. Das Staatdefizit liegt noch bei über zehn Prozent der laufenden Wirtschaftsleistung. Das ist ein Kriegshaushalt in Friedenszeiten. Die Nachfragelücke (Potentialunterauslastung und Staatdefizit) liegt bei über 20 Prozent. Derzeit sind die Vereinigten Staaten eine keynesianische Staatswirtschaft.
• China: Bislang ist China eine der Lokomotiven der Weltwirtschaft. Hoffen wir, dass es so bleibt. Hier gehen die Meinungen allerdings auseinander. Die meisten sehen China als unaufhaltsame Lokomotive. Mein Freund Vitaly Katsenelson geht davon aus, dass China einen ungesunden Investmentboom hinter sich hat. Wenn also viele Brücken gebaut werden, müssen Stahlwerke her. Und die müssen auch gebaut werden. Wenn die Brücken und die Zulieferbetriebe stehen, dann fällt auf einmal sehr viel Nachfrage aus. Wir müssen also sehr genau beobachten, was in China passiert.
• Japan: In Japan stammt derzeit mehr als 50 Prozent des Staatsbudgets aus der Ausgabe von neuen Anleihen. Noch kaufen die Japaner – Sparer Nummer 1 in der Welt – diese Anleihen, so dass sich Japan nicht wie die USA im Ausland verschulden muss. Im Gegenteil: Wie China (und Deutschland) hat Japan ein hohes Auslandsvermögen. Aber die Staatsschulden liegen bei 200 Prozent der Wirtschaftsleistung. Im Moment muss der Staat dafür nur Zinsen um die ein Prozent bezahlen. Wenn aber weniger gespart wird, weil die Bevölkerung weiter altert und Japan an die Internationalen Kapitalmärkte geht, muss der Staat vielleicht drei Prozent bezahlen – ein relativer Anstieg um 200 Prozent.
Die Zukunft bleibt weiter sehr, sehr unsicher. Es ist am besten, wenn wir uns das eingestehen. Im Moment sind wieder Prognostiker unterwegs, die einen dramatischen Einbruch des DAX vorhersagen. Solche Effekthascherei mit dramatischen Prognosen werden Sie von mir nicht bekommen.
Im Sommer 2006 sagte ich die Finanzkrise voraus. Im März 2009 wagte ich keine Prognose, sagte aber, dass ich mich bei den niedrigen Aktienkursen „wie ein Junge im Süßwarenladen fühlte, wenn Verkäuferin und Eltern nicht da sind“. Es ist genauso wichtig, zu wissen, was wir alles nicht wissen. Derzeit wissen wir nur: Geld ist bedroht, viele Aktien sind noch nicht zu teuer, Gold ist noch nicht zu teuer.
Meine Anlagegrundsätze für 2010 – 2011
Plus ça change, plus c'est la même chose – je mehr sich die Dinge verändern, umso mehr bleibt alles beim Alten.
Sie werden bei den Anlagegrundsätzen im Vergleich zum letzten Jahr keine allzu großen Änderungen erkennen. Letztlich werde ich Ihnen hier keine spannenden Neuigkeiten präsentieren, sondern Grundsätze, mit denen Sie aus meiner Sicht Geld verdienen können. Und Geld verdienen kann manchmal langweilig sein und aus Abwarten bestehen. Investieren ist kein spannendes Drama, es ist ein nüchternes Handwerk. Es kommt darauf an, dieselben Dinge wieder und wieder zu tun: Risiko abwägen, Qualität eines Unternehmens bestimmen, billig kaufen, teuer verkaufen.
Wie beim Deutschen Reinheitsgebot das Bier, sollte Ihr Portfolio nur aus reinen Zutaten bestehen: Edelmetalle in physischer Form, Termingelder, Qualitätsaktien und vielleicht erstklassige Anleihen mit kurzer Laufzeit (Aber Vorsicht: Die Banken verkaufen viele Produkte unter dem Begriff „Anleihe“, die damit nichts zu tun haben.)
Ich schätze das Deutsche Aktieninstitut e.V. (www.dai.de). Zweimal im Jahr gibt es eine Kurzstudie über die Zahl der Aktionäre in Deutschland heraus. In der aktuellen Studie vom 05. August 2010 heißt es:
Die Zahl der Aktionäre und Besitzer von Aktienfondsanteilen ist im ersten Halbjahr 2010 gesunken. … In den letzten Jahren hat sich vor allem die Mittelschicht stark aus der Aktienanlage gelöst. Von den 8,6 Mio. Aktienbesitzern sind 2,5 Mio. reine Aktionäre (3,9 Prozent der Bevölkerung), die ausschließlich direkt in die Aktie investieren. (…) Gegenüber dem Höchststand im Jahr 2001 bedeutet die aktuelle Zahl der Aktionäre einen Rückgang um rund 4,3 Mio. (-33,1 Prozent).
Wir kennen die Zukunft nicht. Aber wenn der Pessimismus an den Börsen noch so groß ist, kann es nicht so verkehrt sein, Aktien zu halten; insbesondere, wenn die Bewertungen und Dividendenrenditen stimmen. Bleiben Sie dabei, auch wenn es noch weitere Unwetter geben sollte. Die großen Vermögen in Deutschland sind alle in Form von Aktienpaketen und Land- oder Waldbesitz über den Krieg gerettet worden. So verkehrt kann diese Strategie also nicht sein.
Prof. Dr. Max Otte ist Herausgeber des PRIVATINVESTOR (www.privatinvestor.de) und Geschäftsführender Gesellschafter der IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH. Ziel des Instituts ist die Aktienanalyse und die Entwicklung von Aktienstrategien für Privatanleger.Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.