Norbert Betz - Psychofallen an der Börse
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Wahrnehmung kommt nicht von wahr - Überleben mit Heuristiken - 2
Fakten, ob aus der Fundamentalanalyse oder der Charttechnik gewonnen, verhelfen Anlegern nicht zu Erfolg, sondern ihr Verhalten, ihre Einstellung, ihre Wahrnehmung. Anders ausgedrückt: Alles Wissen und alle Hilfestellung nützen nichts, wenn man sie nicht zum richtigen Zeitpunkt richtig anwendet. Die menschliche Psyche ist für den Börsenhandel nicht ausgerichtet - deshalb muss man ihr manches Schnippchen schlagen, um nicht blind in Börsenfallen zu tappen. Wir geben hier ein kleines 1x1 der Börsenpsychologie in loser Folge. Dieses Mal geht es darum, wie wir unser Umfeld wahrnehmen und das für uns Wesentliche herausfiltern, um Entscheidungen treffen zu können.
Wenn die Berichtssaison auf Hochtouren läuft, verschlingen Anleger Zeitungen und Zeitschriften und versuchen, sich ein Bild von den Unternehmen zu machen, in die sie investiert haben oder investieren wollen. Und dann gibt es noch typische Trendthemen, die Medien sind voll damit, die Kurse der betroffenen Unternehmen steigen in nie geahnte Höhen - wie derzeit alles rund um Künstliche Intelligenz. Doch wie »macht« man sich ein Bild, wie nehmen wir solche Zahlen und Trends auf und wie funktioniert dieser Prozess in unserem Kopf? Denn unsere Wahrnehmung bestimmt wesentlich unsere Entscheidungsprozesse.
Wir nehmen Sinneseindrücke wahr
Die Psychologie fasst mit dem Begriff Wahrnehmung alle Prozesse und Ergebnisse der Informationsgewinnung und -verarbeitung von Sinneseindrücken zusammen. Der Schwerpunkt liegt aber auf den Sinneseindrücken, denn das, was wir wahrnehmen, gibt nicht eins zu eins die Realität wider, sondern nur ein individuelles Bild von dem, was wir für real halten. Zwischen der Realität und dem, was wir wahrnehmen, befinden sich mehrere Filter. Unsere Sinnesorgane können nur einen Teil von dem, was in der Realität tatsächlich existiert, aufnehmen. Wir müssen uns deshalb auf das wichtigste - oder das, was wir dafür halten - konzentrieren.
Mit dem Auge können wir zum Beispiel nur einen kleinen Ausschnitt der Realität der existierenden elektromagnetischen Wellenlängen erkennen: Das sichtbare Licht mit Wellenlängen zwischen 400 nm (violettes Licht) und 700 nm (rotes Licht) können wir aufnehmen. Eigene Sensoren für radioaktive Strahlung, Gammastrahlen, Ultraviolettes Licht, Radiowellen oder Niederfrequenzen haben wir Menschen dagegen nicht. Insofern wird der erste Filter von den Fähigkeiten unseren Sinnesorganen definiert.
Heuristiken: Aus Urteilen werden Vorurteile
Alle Mechanismen, die wir einsetzen, um aus der Fülle der Informationen mit überschaubarem Aufwand nur die wichtigsten (leider nicht immer die richtigen) herauszufiltern, um schnell zu einem Ergebnis zu kommen, werden Heuristiken genannt. Schnelles Auffassen und eine prompte Reaktion war über tausende von Jahren hin notwendig, um zu überleben. Weder Mammut noch Säbelzahntiger ließen unseren Vorfahren lange Zeit zum Überlegen, wollten sie nur überleben.
Heuristiken sind aber keine technischen oder logischen Hilfsmittel, vielmehr färben sie den Entscheidungsprozess emotional ein. So verstehen wir unter Heuristiken beispielsweise Verhaltensweisen wie Schubladendenken, Faustregeln, Daumenregeln… Eher bestätigen sie Vorurteile als dass sie ausgewogene Urteile fällen. Komplexität zu reduzieren und schnell ein Urteil zu fällen, steht an erster Stelle. Wir bauen dabei im hohen Maße auf Erfahrungen, die wir bereits gemacht haben. Bei komplexen, vernetzten und dynamischen Prozessen - ganz normal bei Anlageentscheidungen also - sind solche Heuristiken aber viel zu simpel, um zum Erfolg zu führen. Ist uns das bewusst, können wir sie gezielt(er) einsetzen.
Nächste Woche werden wir uns mit den vier wichtigsten Heuristiken befassen:
- Die Verfügbarkeitsheuristik auf der Ebene der Wahrnehmung von Informationen
- Die Verankerungsheuristik auf der Ebene der Informationsspeicherung
- Die Repräsentativitätsheuristik auf der Ebene der Entscheidung
- Die selektive Wahrnehmung auf der Ebene der Kategorisierung
Norbert Betz ist Leiter der Handelsüberwachung der Börse gettex. Er setzt sich seit Jahren für das Thema Börsenpsychologie ein: Als leidenschaftlicher Trader und Börsianer, als distanzierter Marktbeobachter, als Referent und Autor. Mit Ulrich Kirstein hat er Börsenpsychologie simplified geschrieben.