Britischer Premierminister Johnson nimmt Abschied - Nachfolgerin Truss übernimmt Mammutaufgabe
Der Vorhang für Boris Johnson fällt.
Vor seinem Rücktrittsgesuch bei der Queen hat der als glänzender Unterhalter bekannte konservative Politiker mit einer Rede in der Downing Street jedoch noch einmal die große Bühne betreten. Er wird an diesem Dienstag von der neuen Vorsitzenden der Konservativen Partei, Liz Truss, an der Regierungsspitze abgelöst. Beide reisen dazu nach Schottland, wo Queen Elizabeth II. zunächst Johnsons Rücktritt absegnen und anschließend die 47-jährige Truss mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen wird.
Mit der Rede nahm Johnson am Morgen vor seiner Abreise Abschied von der Nation. Truss sagte er dabei "nichts als energische Unterstützung" zu. Hunderte Mitarbeiter, Abgeordnete, Fotografen und Reporter hatten sich dafür in der abgesperrten Straße versammelt.
Die bisherige Außenministerin Truss war am Vortag nach einem wochenlangen parteiinternen Auswahlprozess nur mit relativ knapper Mehrheit zur Parteichefin gekürt worden. Sie konnte sich bei der Abstimmung unter den Tory-Mitgliedern zwar gegen Ex-Finanzminister Rishi Sunak durchsetzen, allerdings deutlich knapper als gedacht.
Spekulationen über ein mögliches Comeback tat Johnson gewohnt humorvoll ab - jedoch nicht ohne Zweifel daran zu lassen, wie ernst er es damit meint. "Lassen Sie mich sagen, dass ich nun wie eine dieser Trägerraketen bin, die ihre Funktion erfüllt hat und sanft wieder in die Atmosphäre eintritt und unsichtbar irgendwo in einem entfernten Teil des Pazifiks versinkt", sagte er.
Der 58-Jährige zählte noch einmal die tatsächlichen und angeblichen Errungenschaften seiner Regierungszeit auf - darunter den Brexit, die rasche Verteilung von Corona-Impfstoffen, die frühe Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen sowie die Bekämpfung von Kriminalität und den Bau neuer Krankenhäuser.
Im Anschluss stieg er mit seiner Frau Carrie in einen Wagen und machte sich auf den Weg nach Schottland. Er wird um die Mittagszeit bei der Queen erwartet. Unmittelbar danach soll Nachfolgerin Liz Truss bei dem Staatsoberhaupt eintreffen. Truss will sich am Nachmittag ebenfalls aus der Downing Street an die Nation wenden (etwa 17.00 Uhr MESZ).
Die Königin hält sich traditionell von Mitte Juli bis Mitte September auf ihrem schottischen Landsitz Schloss Balmoral auf. Dass sie die Politiker nicht im Buckingham-Palast in London empfängt, hat mit den Mobilitätsproblemen der 96 Jahre alten Monarchin zu tun, die mit Liz Truss inzwischen drei Premierministerinnen und zwölf Premierminister während ihrer Regentschaft gesehen hat.
Erwartet wird, dass Truss die Umrisse eines Plans vorlegen wird, mit dem der enorme Anstieg der Lebenshaltungskosten abgefedert werden soll. Auch in Großbritannien geht die Furcht um, dass die infolge des Ukraine-Kriegs hochschnellenden Energiekosten Millionen Haushalte in finanzielle Schieflage bringen könnten.
Einem Bericht der Boulevardzeitung "Sun" zufolge sollen daher die Preise für Gas und Strom eingefroren werden - ein Vorhaben, das den britischen Staat laut dem Bericht mindestens 40 Milliarden Pfund (rund 46,5 Milliarden Euro) kosten dürfte. Sollte Truss gleichzeitig an ihren Ankündigungen festhalten, Steuern zu senken, dürfte das zu einem schwierigen Spagat werden. Hinzu kommen die Probleme des chronisch unterfinanzierten Gesundheitsdiensts NHS und massive Unzufriedenheit im öffentlichen Sektor über Löhne und Gehälter.
Schon jetzt ist die Unterstützung, die Johnsons Nachfolgerin in der eigenen Partei und innerhalb ihrer Fraktion genießt, keinesfalls uneingeschränkt. Das erhöht den Druck auf Truss, umgehend bei den Wählern einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Bisher gelang ihr das nicht, wie eine Blitzumfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov am Montag zeigte. Demnach waren 50 Prozent der Befragten enttäuscht, dass Truss ihre Premierministerin werden soll. Nur 22 Prozent zeigten sich zufrieden. Ähnlich schlecht sehen derzeit die Umfragewerte der Konservativen im Verhältnis zur oppositionellen Labour-Partei aus.
Erschwerend kommt für Truss hinzu, dass sie sich dem rechten Flügel ihrer Partei angedient hat, zu dessen Dogmen ein schlanker Staat und eine harte Haltung gegenüber der EU gehören. Für viele ihrer Unterstützer sei die reine ideologische Lehre wichtiger als die Einheit der Partei, warnte der Politikprofessor Anand Menon vom King's College in London. Ob sich Truss durchsetzen könne, hänge nun davon ab, wie viel Raum ihr gewährt werde.
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LONDON (dpa-AFX)
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