Nachverhandlungen

Brexit-Abstimmung verschoben: May reist nach Den Haag, Berlin und Brüssel

11.12.18 16:12 Uhr

Brexit-Abstimmung verschoben: May reist nach Den Haag, Berlin und Brüssel | finanzen.net

In schier aussichtsloser politischer Lage hat die britische Premierministerin Theresa May am Dienstag versucht, der Europäischen Union neue Zugeständnisse beim Brexit abzuringen.

Sie reiste im Zickzack durch halb Europa, unter anderem zu Kanzlerin Angela Merkel. Doch lehnt die EU Änderungen am Vertrag zum britischen EU-Austritt geschlossen ab. Bestenfalls "Klarstellungen" seien denkbar, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Nun wächst wieder die Furcht vor einem Chaos-Brexit in gut drei Monaten.

May hatte wegen einer drohenden Niederlage die für Dienstagabend geplante Abstimmung im britischen Parlament über ihr Brexit-Vertragspaket mit der EU verschoben. Stattdessen kündigte sie an, weitere "Zusicherungen" der EU zu erreichen und so die Bedenken im Unterhaus auszuräumen. Zum neuen Termin erklärte die britische Regierung nur, das Votum solle vor dem 21. Januar stattfinden.

Am Dienstagmorgen traf May zunächst den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte in Den Haag. Mittags sprach sie mit Bundeskanzlerin Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin und wollte dann weiter zu Treffen mit EU-Ratschef Donald Tusk und Juncker in Brüssel. Über Inhalte wurde zunächst nichts bekannt.

Auch was May konkret erreichen will, blieb nach ihrer Ankündigung am Montagabend vage. Hauptstreitpunkt in Großbritannien ist die Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Konservative Brexit-Befürworter befürchten, dass die im Austrittsvertrag vorgesehene Lösung Großbritannien nach dem Brexit auf Dauer eng an die EU bindet. Sie wollen eine Befristung. Das hat die EU aber stets abgelehnt.

Juncker bekräftigte im Europaparlament, eine Änderung des Backstops sei ausgeschlossen. "Er ist nötig, nötig für das gesamte Paket dessen, was wir mit Großbritannien verhandelt haben, und nötig für Irland", sagte der Kommissionschef und stellte klar: "Jeder muss wissen, dass der Austrittsvertrag nicht noch einmal aufgemacht wird."

Gleichwohl signalisierte er etwas Entgegenkommen: "Es gibt genug Spielraum, um weitere Klarstellungen und weitere Interpretationen zu geben, ohne das Austrittsabkommen noch einmal aufzumachen." Die EU könnte May nach Darstellung von Diplomaten in einer gesonderten Erklärung zusichern, dass man gemeinsam alles versuchen werde, den Backstop niemals anzuwenden.

Ob diese Notfalllösung gebraucht wird, hängt von den künftigen Beziehungen Großbritanniens mit der EU ab. Diese sollen erst in einer Übergangsphase nach dem Austritt am 29. März 2019 ausgehandelt werden. Findet man eine Alternative für eine offene Grenze auf der irischen Insel, käme der Backstop nicht zum Tragen. Die EU wollte aber die Garantie unbedingt, weil die britischen Ideen zur künftigen Partnerschaft noch keine Lösung erkennen lassen.

In der Debatte im Europaparlament äußerten sich Abgeordnete ungeduldig wegen der politischen Blockade in London. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok meinte aber, dass Mays Gespräche in Europa ihr womöglich doch noch zu einer Mehrheit im Unterhaus verhelfen könnten. Vielleicht könne man klarstellen, dass der Backstop kein "böser Trick der EU sei". Dennoch halte er einen harten Brexit ohne Deal zunehmend für wahrscheinlich. "Das Problem ist, dass wir in Großbritannien keinen Partner haben", sagte Brok.

Auch Europastaatsminister Michael Roth warnte in Brüssel: "Die Zeit läuft aus. Das wissen alle Beteiligten." Das britische Parlament werde bald Weihnachtspause machen und erst im Januar zurückkehren. "Wir müssen uns auf alles vorbereiten - nach wie vor auf einen harten Brexit, den am Ende ja niemand will", sagte der SPD-Politiker.

Die 27 bleibenden EU-Länder stehen allem Anschein nach geschlossen hinter der Linie der EU-Kommission, die das Verhandlungsmandat hat. Auch in der deutschen Innenpolitik herrscht vor allem Kopfschütteln über Großbritannien. FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff nannte die Lage dort im MDR "absurdes Theater". Grünen-Europaexpertin Franziska Brantner sprach von "Brexit-Harakiri".

Die Wirtschaftsverbände BDI und DIHK wandten sich dagegen, das Brexit-Paket noch einmal aufzuschnüren. Der Präsident des Großhandelsverbands BGA, Holger Bingmann, warnte aber im SWR vor einem "völlig ungeordneten Katastrophenszenario". Der europäische Wirtschaftsverband Business Europe klagte: "Jeder Tag der Unsicherheit kostet Unternehmen bares Geld." Firmen bereiteten sich auf einen chaotischen Brexit vor. Doch sei Europa für ein No-Deal-Szenario nicht ausreichend gewappnet./cmy/DP/fba

BRÜSSEL/LONDON (dpa-AFX)

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