IfW: Deutsche Wirtschaft verliert nach Aufholjagd an Tempo
Der Konjunkturaufschwung in Deutschland verliert an Tempo, nachdem es nach Ende des Corona-Lockdowns zunächst eine schnelle Erholung gegeben hatte.
Das ist die Analyse des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in seiner neuen Konjunkturprognose. Die Ökonomen rechnen für 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 5,5 Prozent. Damit falle der Einbruch in diesem Jahr zwar um 1,3 Prozentpunkte geringer aus als noch im Sommer befürchtet. Doch damit erwarten die Experten für das nächste Jahr nur noch ein Wachstum von 4,8 Prozent statt bislang 6,3 Prozent. Für 2022 rechnen sie mit 2,4 Prozent Wachstum.
Die schwache Entwicklung direkt eingeschränkter Branchen wie der Reisebranche und der Weltwirtschaft insgesamt bremse den Aufschwung, hieß es zur Begründung für die erwartete Entwicklung. Branchen, die auf soziale Kontakte besonders angewiesen seien, wie etwa Gaststätten, der Tourismus oder das Veranstaltungsgewerbe, seien in ihrer Geschäftstätigkeit weiterhin stark eingeschränkt.
Deren Anteil an der deutschen Gesamtwirtschaft veranschlagen die Forscher des IfW auf etwa 6 Prozent. Sie dürften noch längere Zeit deutlich unterausgelastet bleiben und erst dann die Erholung stützen, wenn Maßnahmen des Seuchenschutzes weitgehend entfallen. Das wird nach Erwartung der Forscher erst ab Frühjahr 2021 nach und nach geschehen.
Investitionstätigkeit noch lange gedämpft
Zudem bremsen nach ihrer Einschätzung die von der Coronavirus-Pandemie verursachten wirtschaftlichen Schäden noch geraume Zeit die Weltwirtschaft. "Die Krise hat insbesondere das Eigenkapital vieler Unternehmen belastet, was deren Investitionstätigkeit weltweit noch längere Zeit dämpfen dürfte", sagte IfW-Prognosechef Stefan Kooths. "Die deutsche Wirtschaft spürt das als Lieferant von Ausrüstungsgütern im Exportgeschäft besonders. Dass Unternehmen ihre Kunden oft nicht persönlich treffen können, bremst zusätzlich das Neugeschäft."
Im zweiten und dritten Quartal hat sich die Wirtschaft nach Einschätzung der Forscher V-förmig kräftig erholt, was sie zum Teil auf Nachholeffekte sowohl in der Industrie als auch im Einzelhandel zurückführen. "Den Großteil des Einbruchs aus der Lockdown-Phase hat die deutsche Wirtschaft zwar bereits aufgeholt, aber die Kapazitäten sind trotzdem längst noch nicht normal ausgelastet", betonte Kooths. Für das dritte Quartal zeichne sich eine kräftige Zuwachsrate im BIP von 6,2 Prozent ab nach minus 9,7 Prozent im Vorquartal. Anschließend verlangsame sich die Erholung.
"Insgesamt ist der Wirtschaftsmotor wieder angesprungen, aber er läuft noch längere Zeit untertourig", konstatierte Kooths. Das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung komme erst gegen Ende des kommenden Jahres in Sicht und liege dann immer noch 3 Prozent unter dem Niveau, das ohne Corona-Krise möglich gewesen wäre.
Beschäftigungseinbruch erst 2022 aufgeholt
Zwar sei die Erholung schneller gegangen als nach der Finanzkrise 2008, doch am Arbeitsmarkt hinterlasse die Corona-Krise deutlichere Spuren: Trotz massiven Rückgriffs auf Kurzarbeit seien geschätzt 810.000 Arbeitsplätze weggefallen - vor allem in der Gastronomie und bei der Zeitarbeit. Der Tiefpunkt der Krise scheine aber durchschritten, denn seit der Jahresmitte deuteten die Daten auf einen allmählichen Beschäftigungsanstieg hin. Allerdings werde es voraussichtlich bis Anfang 2022 dauern, bis der Beschäftigungseinbruch wieder vollständig aufgeholt sei. Die Arbeitslosenquote dürfte in diesem Jahr 5,9 Prozent, im nächsten 5,8 Prozent und im übernächsten 5,6 Prozent betragen.
Die Schritte der deutschen Wirtschaftspolitik zur Eindämmung der Krise beurteilen die Forscher als "durchwachsen": Die unmittelbare Krisenreaktion wie staatliche Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen und die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes waren nach ihrem Urteil gerechtfertigt, um grundsätzlich gesunde Wirtschaftsstrukturen vorübergehend zu erhalten. Doch mit zunehmender Dauer der staatlichen Hilfen wüchsen die schädlichen Nebenwirkungen. "Die Instrumente sollten schrittweise zurückgefahren werden, statt sie immer weiter zu verlängern", forderte Kooths.
Sonst drohten sie ineffiziente Strukturen der Wirtschaft zu konservieren. Maßnahmen zur Stärkung der Massenkaufkraft, wie etwa die Mehrwertsteuersenkung, würden den Unternehmen und ihren Beschäftigten kaum helfen, weil eine hohe Sparquote auf eine ohnehin zurückgestaute Kaufkraft hindeute. "Den Menschen fehlt es nicht an Kaufkraft, sondern an Gelegenheit oder Bereitschaft, das Geld auch auszugeben." In der Krise vermengten sich zudem konjunkturelle und strukturelle Entwicklungen, auf die die Wirtschaftspolitik jeweils gesondert reagieren sollte. Falsche Regulierungen erschwerten zum Teil den Wirtschaftsprozess, monierte das IfW.
BERLIN (Dow Jones)
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