Russland reagiert mit Großmanöver auf Gewalt
In der Ostukraine droht eine Eskalation militärischer Gewalt. Spezialeinheiten der Regierung haben nach Angaben des Innenministeriums in Kiew nahe der Stadt Slawjansk in einem Gefecht fünf prorussische Separatisten erschossen.
Moskau reagierte am Donnerstag mit einem großen Manöver direkt an der Grenze. Präsident Wladimir Putin verurteilte den ukrainischen Armee-Einsatz als "sehr ernstes Verbrechen" und kündigte Konsequenzen an.
Die USA setzen offiziell auf Diplomatie, bereiten aber neue Sanktionen gegen Moskau vor. Die ersten der 600 für das Baltikum und Polen vorgesehen US-Soldaten trafen an ihrem neuen Einsatzort ein.
In der Ostukraine halten moskautreue Separatisten in mehreren Orten Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern eine weitgehende Autonomie für das russisch geprägte Gebiet. Die vom Westen unterstützte Regierung in Kiew geht militärisch gegen die zum Großteil bewaffneten Milizen vor und spricht von einer "Anti-Terror-Operation".
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu nannte die Lage laut Agentur Interfax besorgniserregend. Es seien 11 000 ukrainische Soldaten im Einsatz gegen eine "friedliche" Bevölkerung. "Wenn diese Kriegsmaschine heute nicht gestoppt wird, dann wird dies zu einer großen Zahl Toter und Verletzter führen", warnte er.
Schoigu kritisierte zudem, dass die Verstärkung der Nato-Militärpräsenz in Polen und im Baltikum die Lage weiter angeheizt habe. Die USA hatten angekündigt, diese Woche rund 600 Soldaten zu Manövern in die drei baltischen Staaten und nach Polen zu entsenden. Erste Einheiten sind seit Mittwoch in Polen.
Putin verurteilte den Einsatz der ukrainischen Armee im Inland als "sehr ernstes Verbrechen", das "Folgen" für die Regierung in Kiew haben werde. Der Kremlchef bezeichnete die dort im Februar durch den Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch an die Macht gekommene Führung als "Junta" und "Bande". Putin hatte sich im März eine parlamentarische Vollmacht für einen Militäreinsatz zum Schutz russischer Bürger in der gesamten Ukraine geben lassen - vor dem Hintergrund des Anschlusses der Schwarzmeerhalbinsel Krim an Russland.
Laut Innenministerium in Kiew eroberten Spezialeinheiten der ukrainischen Regierung nahe Slawjansk drei Kontrollpunkte. Dabei sei auch ein Mitglied der Sicherheitskräfte verletzt worden. Zuvor hatten auch Vertreter der moskautreuen "Volksmiliz" von Gefechten berichtet.
Im knapp 50 Kilometer südöstlich gelegenen Artjomowsk wehrten ukrainische Soldaten eine Offensive von etwa 100 Angreifern auf eines der größten Waffenlager ab. Die Unbekannten hätten die Kaserne unter anderem mit Granaten attackiert, sagte Interimspräsident Alexander Turtschinow. Ein Soldat sei leicht verletzt worden, während die Angreifer "große Verluste" erlitten hätten. Unabhängige Berichte gab es nicht.
Russland rief trotz der Gewalt zu "ernsthaften Verhandlungen" aller Seiten auf. Außenminister Sergej Lawrow sagte, die Ukraine müsse als blockfreier Staat zu einem Bindeglied zwischen Russland und Westeuropa werden.
US-Präsident Barack Obama sagte in Tokio, die USA bemühten sich weiter um eine diplomatische Lösung. Er schloss aber neue Sanktionen gegen Russland nicht aus, wenn der Genfer Friedensplan vom 17. April nicht die versprochenen Ergebnisse bringe. Nach dem Abkommen zwischen Russland, den USA sowie der EU und der Ukraine müssen alle paramilitärischen Gruppen ihre Waffen abgeben und besetzte Gebäude räumen.
Vize-Nato-Generalsekretär Alexander Vershbow mahnte Moskau, die Situation zu deeskalieren, "statt auf aufrührerische Rhetorik zurückzugreifen und auf Falschdarstellungen".
Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise versicherten Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Kollege Laurent Fabius der georgischen Regierung bei einem Besuch in Tiflis, man stehe solidarisch zu Georgien. Bis Ende Juni solle ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet werden. Georgien hatte 2008 einen Krieg gegen Russland um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien geführt.
Der russische Gazprom-Konzern stellte der Ukraine unterdessen für unerfüllte Verträge weitere 11,388 Milliarden US-Dollar (8,24 Milliarden Euro) in Rechnung. Dabei handele es sich um Strafzahlungen für 2013, weil vereinbarte Mengen nicht abgenommen worden seien, sagte Gazprom-Vizechef Alexander Medwedew Interfax zufolge. Wegen unbezahlter Gasrechnungen verlangt Russland bereits mehr als 2,2 Milliarden Dollar von der nahezu bankrotten Ukraine.
Wegen des Konflikts um die Ukraine genehmigt die Bundesregierung derzeit keine Rüstungsexporte nach Russland. Bis Ende März befanden sich 69 Ausfuhr-Anträge mit einem Gesamtwert von 5,18 Millionen Euro im Genehmigungsverfahren, wie aus einer am Donnerstag bekanntgewordenen Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Grünen-Anfrage hervorgeht. Dabei gehe es nicht um Kriegswaffen, sondern um "sonstige Rüstungsgüter."
Die dadurch wieder verstärkte Sorgen um die Ukraine-Krise haben den DAX am Donnerstagnachmittag zeitweise ins Minus gedrückt. In der Spitze verlor der deutsche Leitindex über 1 Prozent. Kurz vor Handelsschluss konnte der DAX seine Verluste aber wieder abbauen. Offenbar hätten die Meldungen über ein großangelegtes Militärmanöver Russlands an der Grenze zur Ukraine die Befürchtungen der Anleger über eine Verschärfung der Krise verstärkt, sagte ein Händler./toz/DP/jha
SLAWJANSK/MOSKAU (dpa-AFX)