Deutsche Wohnen-Aktie im Fokus: DAX-Aufsteiger mit Problemen
Deutsche Wohnen hat den Sprung in die erste Börsenliga geschafft.
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Die Aktie des Immobilienkonzerns wird ab dem 22. Juni in den Leitindex DAX aufrücken und das Papier der in die Krise geratenen Lufthansa ersetzen. Im Gegensatz zu Unternehmen aus anderen Branchen trifft die Corona-Krise Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen kaum. Allerdings hinterlässt der erst jüngst in Kraft getretene Mietendeckel in Berlin Spuren beim Unternehmen. Eine Abkehr von ihrem wichtigsten Markt plant Deutsche Wohnen dennoch nicht. Was bei dem Unternehmen los ist, wie der Konzern von Analysten bewertet wird und wie sich die Aktie entwickelt hat:
DIE LAGE DES UNTERNEHMENS:
Deutsche Wohnen gehört zu den größten Wohnimmobilienkonzernen Deutschlands. Jetzt steigt das Unternehmen nach Vonovia als zweite Immobilienfirma in den Deutsche-Aktien-Index (DAX 30) auf. Die Deutsche Börse in Frankfurt hatte am Donnerstagabend entschieden, Berlins größten Vermieter in den Leitindex aufzunehmen - anstelle der in die Krise geratenen Lufthansa. Die Hauptstadt bekommt damit 14 Jahre nach der Schering-Übernahme durch Bayer wieder einen Dax-Konzern.
Seit Jahren verdient Deutsche Wohnen dank steigender Mieten vor allem in Berlin gut. Im ersten Quartal 2020 zahlten deren Mieter im Durchschnitt pro Quadratmeter 6,92 Euro kalt, in Berlin waren es 6,91 Euro. Damit überwiesen Mieter in den mehr als 161 000 Wohnungen im Schnitt 3,6 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Mieten in den 116 000 Berliner Wohnungen stiegen allerdings weniger stark. Dies hängt mit dem erst seit Februar in Kraft getretenen Berliner Mietendeckel zusammen. Vermieter mussten in der Hauptstadt Mieterhöhungen ab Mitte Juni 2019 zurücknehmen und sich bei Neuvermietungen an Obergrenzen halten.
Zudem müssen Vermieter in Berlin zum 23. November Bestandsmieten reduzieren, die mehr als 20 Prozent über der zulässigen Obergrenze liegen. "Hiervon sind circa 30 Prozent unserer Berliner Mietverhältnisse betroffen", sagte Vorstandsmitglied Lars Urbansky am Freitag auf der Hauptversammlung. Das Unternehmen rechnet in diesem Jahr mit Mietausfällen von neun Millionen Euro durch das Gesetz, im nächsten Jahr sind es 30 Millionen Euro. Zum Vergleich: Bundesweit hatte der Konzern im vergangenen Jahr Mieteinnahmen in Höhe von 862 Millionen Euro.
Das Unternehmen zeigte sich zuversichtlich, dass der Mietendeckel keinen Bestand haben wird. Union und FDP in Berlin haben eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. In den Verträgen neuer Mieter steht deshalb eine sogenannte Schattenmiete: Vereinbart ist die nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch erzielbare Miete, verlangt wird aber nur die Summe, die der Mietendeckel erlaubt, wie Urbansky erläuterte. Das bedeutet: Lüftet Karlsruhe den Mietendeckel, müssen Mieter nachzahlen.
"Wir übernehmen Verantwortung für Mitarbeiter, Mieter und selbstverständlich unsere Aktionäre", sagte Unternehmenschef Michael Zahn. Die Aufnahme in den Dax bestätige die Wachstumsstrategie. Auch in Zukunft werde Deutsche Wohnen weiterhin ein starkes Standbein in Berlin haben, sagte der Vorstandvorsitzende. Bei Neubauprojekten stehen aber auch süddeutsche Städte wie München und Stuttgart im Blick. Deutsche Wohnen hat sich deshalb erst jüngst mit dem Münchener Projektentwickler Isaria Wohnbau, einer Beteiligungsfirma des Finanzinvestors Lone Star, auf den Erwerb einer Plattform für Projektentwicklungen sowie wesentlicher Immobilienprojekte geeinigt. Der Abschluss des Kaufs soll in diesem Jahr erfolgen.
Angesichts steigender Mieten steht Deutsche Wohnen vor allem in Berlin in der Kritik. Mietervertreter fürchten, dass mit dem Aufstieg in die erste Börsenliga der Druck auf Mieter zunimmt. Vor allem aus der Linkspartei kam am Freitag Kritik. "Dieses Unternehmen braucht kein Mensch", schrieb Parteichef Bernd Riexinger auf Twitter. Größter Einzelaktionär ist Blackrock, der größte Vermögensverwalter der Welt. Er ist an allen DAX-Konzernen beteiligt.
Die Corona-Krise bekommt Deutsche Wohnen hingegen kaum zu spüren. "Weder auf der Wohn- noch auf der gewerblichen Seite haben wir bislang signifikante Mietausfälle", sagte Zahn. Bislang hätten sich insgesamt etwa 1400 besorgte Mieter beim Unternehmen gemeldet. Mit Blick auf mögliche Mietausfälle sei es für eine Bilanz noch zu früh, sagte Zahn. Es zeichne sich aber schon jetzt ab, dass die Mietausfälle wirtschaftlich zu bewältigen und der Fonds mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet sei. Deutsche Wohnen hatte einen Hilfsfonds in Höhe von 30 Millionen Euro aufgesetzt, mit dem das Unternehmen eigene Mieter im Rahmen der Corona-Krise in Härtefällen schnell finanziell helfen will. Der Fonds wird mit einem Teil des Gewinns vom vergangenen Jahr finanziert.
Das Gewinnziel für das laufende Jahr bestätigte Finanzchef Philip Grosse. Das Unternehmen erwartet aufgrund des erst kürzlich in Kraft getretenen Mietendeckels in Berlin weiterhin einen operativen Gewinn etwa auf dem Niveau des Vorjahres. 2019 legte der operative Gewinn (Funds from Operations 1, kurz FFO1) vor allem dank gestiegener Mieten im Jahresvergleich noch um knapp 12 Prozent auf 538 Millionen Euro zu. Im ersten Quartal ging dieses Ergebnis allerdings aufgrund geringerer Erlöse durch verkaufte Wohnungen und gleichzeitig höherer Verwaltungskosten um rund 4 Prozent auf knapp 141 Millionen Euro zurück.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Von den von dpa-AFX ab Mitte Mai befragten 14 Analysten empfiehlt mehr als die Hälfte die Aktie zum Kauf. Während fünf Experten das Papier zum Halten empfehlen, spricht sich einer für den Verkauf aus. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 40,20 Euro und damit etwa auf dem aktuellen Kursniveau.
Für Analyst Simon Stippig vom Analysehaus Warburg Research ist das Immobilienunternehmen werthaltig mit positiven Kurstreibern. Vor allem brächten fortgesetzte Aktienrückkäufe Potenzial mit sich, auch wenn der Mietendeckel am Berliner Immobilienmarkt für Unsicherheit sorge. Die Aktie empfiehlt er zum Kauf mit einem Kursziel von 47,40 Euro, womit er den höchsten Wert auf dem Zettel hat.
Positiv gestimmt für das Papier ist auch Neil Green von der US-Bank JPMorgan. Das größte Risiko für den Immobilienkonzern sei aktuell zwar die Überprüfung des Berliner Mietendeckels durch das Bundesverfassungsgericht. Nach Einschätzung des Experten ist bei einem negativen Ergebnis aber das Rückschlagrisiko für die Aktie kleiner als das Aufwärtspotenzial im positiven Fall, urteilt Green.
Nach den Zahlen für das erste Quartal zeigte sich auch Analyst Julius Stinauer von der Privatbank Hauck & Aufhäuser zuversichtlicher für die Aktie der Deutschen Wohnen. Die Aussichten für den Berliner Wohnimmobilienmarkt seien freundlicher als er bislang erwartet hab. Die dortige Preisstabilisierung bei Immobilienkäufen sollte die Bewertung des Konzerns nach oben treiben. Die Aktie stufte er von "Halten" auf "Kaufen" hoch und hob das Kursziel von 36 auf 46 Euro an.
Weniger euphorisch zeigte sich Analyst Thomas Rothäusler vom Analysehaus Jefferies. Die Quartalszahlen des Immobilienunternehmens seien durchwachsen ausgefallen, befand er. Die Auswirkungen des Mietendeckels in Berlin zeigten sich zunehmend. Rothäusler rät, das Papier zu halten.
Für Thomas Martin von der britischen Investmentbank HSBC ist die Aktie von Deutsche Wohnen dagegen ein Verkauf mit einem Kursziel von 30 Euro. Die starke Erholung der Aktie des Immobilienunternehmens seit März sei überraschend gewesen, da der Ausblick im Vergleich zu den Wettbewerbern am schwächsten gewesen sei. Da Berlin wegen der Bedeutung des Dienstleistungssektors besonders stark von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen sei, habe dies entsprechend negative Auswirkungen auf Mieten und Immobilienpreise in den kommenden zwei bis drei Jahren.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die Aktionäre von Deutsche Wohnen haben wieder Grund zur Freude. Die Aussichten auf den Aufstieg in den Dax und erneute Übernahmegerüchte durch den größeren Konkurrenten Vonovia haben die Kursverluste der Aktie im Zuge der Corona-Krise mehr als wettgemacht. Seit dem Jahrestief im März bei 27,66 Euro gewann das Papier rund 45 Prozent. Seit Anfang des Jahres steht ein Plus von rund 10 Prozent zu Buche. Derzeit kostet der Anteilschein um die 40 Euro.
Von dem Rekordhoch bei 61,60 Euro aus dem Mai 2006 ist das Papier zwar immer noch deutlich entfernt. Seit dem Tief von knapp 4 Euro während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 aber hat sich die Aktie des Berliner Immobilienkonzerns bis Mitte 2019 nur in eine Richtung bewegt - und zwar nach oben. Ein kleiner Meilenstein war die Rückeroberung der runden Marke von 20 Euro Anfang 2015, wodurch das Papier einen deutlichen Schub erhielt. Seit jenem Jahr haben die Kursschwankungen insgesamt zugenommen.
Im vergangenen Jahr wurde der Aufwärtstrend durch die Ankündigung des Berliner Mietendeckels abrupt gestoppt. Nachdem die Aktie noch im März 2019 bei fast 45 Euro ein Zwischenhoch erreicht hatte, ging es Anfang Juni steil nach unten. Das Papier blieb wochenlang unter Druck und riss schließlich im August die Marke von 30 Euro. Von da an ging es wieder peu a peu nach oben - bis die Corona-Krise für den nächsten Nackenschlag sorgte.
Aus charttechnischer Sicht wird die Aktie bereits seit Anfang April gut durch die 21-Tage-Durchschnittslinie unterstützt. Sie gibt den kurzfristigen Trend an und ist derzeit aufwärts gerichtet. Auch der Blick auf die 50- und die 200-Tage-Linien stimmt zuversichtlich: Sie sind ein Indikator für die mittel- beziehungsweise langfristige Entwicklung und verlaufen bereits seit Wochen jeweils deutlich unterhalb des aktuellen Kurses.
/mne/la/eas/he
BERLIN (dpa-AFX)
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