UBS-Chefökonom: “In zwölf Monaten die nächste Euro-Krise”
Die US-Notenbank will, wenn notwendig, die Notenpresse noch stärker anwerfen, um die heimische Wirtschaft zu stützen. Nach Ansicht von Andreas Höfert, Chefökonom der UBS, wäre das fatal.
von Klaus Schachinger, Euro am Sonntag
Im Interview mit €uro am Sonntag warnt er vor der ohnehin schon lockeren Geldpolitik der Zentralbanken in den Industriestaaten – und der damit verbundenen hohen Inflation.
Wegen der schnellen wirtschaftlichen Erholung Deutschlands wäre es laut Andreas Höfert viel besser, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen erhöhen würde. Doch mit Rücksicht auf das wirtschaftlich schwache Südeuropa sei das nicht durchzusetzen. Damit sei der Weg in die nächste Eurokrise schon vorgezeichnet, glaubt Höfert.
€uro am Sonntag: Herr Höfert, obwohl südeuropäische Länder ihre Schulden stärker abbauen als vor Kurzem erwartet, kauft die EZB weiter Anleihen dieser Staaten. Ist das das richtige Signal an die Märkte?
Andreas Höfert: Die Zentralbanken werfen ihre Geldpressen an, weil die Gefahr einer schnell steigenden Inflation kontrollierbar sein soll. Mit dem Geld werden Staatsanleihen gekauft, um die Ausgaben der verschiedenen Staaten zu finanzieren. Wenn dieses Geld bei den Bürgern landet, bin ich überzeugt, dass es zu einer starken Inflation kommt.
Ist das nicht zu kurz gedacht? Denn die Voraussetzungen für eine hohe Inflation sind doch gar nicht gegeben. Die Arbeitslosigkeit in Europa ist hoch, die Produktionsauslastung gering. Stark steigende Löhne und eine damit verbundene Lohnpreisspirale wird es nicht geben.
Diese Faktoren spielen im gegenwärtigen Umfeld keine Rolle. Denken Sie an die 70er-Jahre, als es trotz hoher Arbeitslosigkeit und geringer Kapazitätsauslastung eine hohe Inflation gab. Wenn das Inflationsrisiko tatsächlich so gering ist, hätten die Staaten endlich eine ideale Geldmaschine. Man muss aus dieser Komfortzone raus. Viele Analysten in den Industrieländern sehen Inflation zu technisch. Wenn ich mit Kunden aus Brasilien oder der Türkei rede, verstehen sie die Inflationsrisiken viel besser.
Weil die Erinnerung hoher Inflationsraten in diesen Ländern noch präsent ist?
Ja. Das hohe Ausmaß der Inflation, das jetzt droht, haben wir in Deutschland zuletzt während der 20er-Jahre erlebt. Auch dieses Mal finanzieren die Zentralbanken massiv Staatsausgaben. Heute wird dieser Vorgang verharmlost.
Damit teilen Sie auch nicht den Optimismus von EZB-Chef Jean-Claude Trichet, dass man mit dem Rettungsschirm für hoch verschuldete Euroländer die Krise zwar noch nicht bewältigt, aber die Instrumente dafür habe?
Griechenland wird auch in drei Jahren so tief in der Schuldenkrise stecken wie heute. Europa wird dann die Wahl haben, die Hilfsprogramme ewig fortzusetzen oder Griechenland in eine geordnete Insolvenz zu überführen.
Es wäre also fair, den Zeichnern der Anleihen schon jetzt zu sagen, auf wie viel Geld sie im Fall eines Kapitalschnitts als Folge einer geordneten Insolvenz Griechenlands verzichten müssten?
Ja. Bei Griechenland würden von 100 Euro Nominalwert einer Anleihe zwischen 50 und 70 Euro erhalten bleiben. Die Anleihen sind auch jetzt, mit einer Verzinsung von 14 bis 15 Prozent, kein gutes Geschäft.
Trotzdem kauft China Griechenland-Papiere.
Das ist knallharte Währungspolitik. Mit der Rettung Griechenlands hat das nicht das Geringste zu tun. China will seine Währungsreserven zugunsten des Euro differenzieren und die Aufwertung der eigenen Währung bremsen.
Die hohe Verzinsung der Griechenland-Bonds und ihre Garantie durch die EZB sollen dabei keine Rolle spielen?
Die Verzinsung mag eine untergeordnete Rolle spielen. Aber die Bonds sind Ramschpapiere, die von der EZB als kollateral akzeptiert werden. Wenn die EZB kasachische Staatspapiere als kollateral akzeptierte, würde jeder schreien, obwohl Kasachstan die höhere Bonität hat.
Die geschätzten Kosten zur Rettung der Anglo-Irish Bank, rund 30 Milliarden Euro würden Irlands Budget sprengen. Ein Zeichen für weitere Brandherde in Euro-Land?
Finanzkrisen kosten viel Geld. Die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Roggoff, die Finanzkrisen der vergangenen 200 Jahre analysiert haben, schätzen die Kosten auf 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eines Landes
Wie äußern sich diese Kosten?
Die Zentralbanken drucken viel Geld, die Schulden eines Landes bleiben aber trotzdem hoch und dämpfen das Wachstum. Sobald die Zentralbanken, so wie jetzt in Amerika, Großbritannien und Europa, im großen Stil Staatanleihen kaufen müssen, bahnt das den Weg zu hoher Inflation.
Griechenland und Irland kämpfen weiter mit verschärften Haushaltsproblemen. Droht das auch Spanien, wenn das Land im kommenden Jahr ein Fünftel seiner Schulden refinanzieren muss?
Spanien wird sich durchlavieren. Die zusätzliche Bürde Spaniens und anderer angelsächsischer Länder, wo die Blase im Immobilienmarkt geplatzt ist, sind die hohen Schulden der Bürger. Diese Länder werden jetzt sieben bis zehn Jahre mit schwachem Wirtschaftswachstum klarkommen müssen. Es wird zwar viel an den Symptomen, aber nicht an der Wurzel der Griechenland-Krise, dem Euro, gearbeitet.
Wie würde die Wurzelbehandlung denn aussehen?
Eine krisenresistente Währungsunion setzt langfristig die starke Verankerung einer zentralen Fiskal- und Sozialpolitik voraus. Ich bin sehr skeptisch, ob das Brüssel kurzfristig gelingen wird. Schon jetzt deutet sich die nächste Eurokrise an.
Und zwar?
Deutschlands Wirtschaft brummt. Sie läuft fast schon an der Grenze zur Überhitzung. Die EZB müsste aus dieser Sicht die Zinsen anheben. Politisch ist das mit Rücksicht auf Südeuropa unmöglich. Deswegen wird es in zwölf Monaten mit der EZB-Zinsentscheidung schon die nächste Krise geben.
Staaten, die die fiskalischen EU-Mindestziele nicht schaffen, sollen künftig bis zu 0,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts als Pfand bei der EZB hinterlegen.
Das habe ich noch nie begriffen. Ein Land, das in Schwierigkeiten steckt, soll tiefer nach unten gedrückt werden. Das ist unlogisch. Nicht die einzelnen Staaten, sondern die fiskalpolitische Konzeption des Euro ist das Problem. Italien hat seine Gesamtverschuldung nach seinem Eurobeitritt konsequent von 130 in Richtung 100 Prozent abgebaut. Dennoch ist Italien gefährdet, weil Wachstumsimpulse fehlen. Italien kann den Euro auf Dauer nicht verkraften.
Wird der Euro diese Spannungen von so vielen Seiten standhalten?
Er wird sich durchwursteln. Denn solle Griechenland die Drachme wiedereinführen, wären die Auswirkungen der Bankenkrise und Inflation noch schlimmer als in Argentinien. Bleibt also Alternative nur der Kapitalschnitt, oder Haircut auf Neudeutsch. Die stabile Alternative, ohne Bankenkrise, wäre Deutschlands Austritt aus dem Euro. Die Inflation würde Deutschland in den Griff bekommen. Das Szenario ist jedoch politische Utopie. Zudem wären deutsche Exporteure bei 30 bis 50 Prozent höheren Preisen schnell k.o.
Also ist der Euro allein wegen der stabilen Preise wertvoll?
Nein. Eine Währung ohne Fiskalunion wird langfristig nicht funktionieren. Das sollte nach den Erfahrungen mit der Griechenland-Krise klar sein. Warum funktioniert die Schweiz mit heterogenen Kantonen oder die USA mit Bundesstaten wie Mississippi, eher eine Dritte Welt Region, und Massachusetts, einem der reichsten Orte der Welt? Mit der gemeinsamen Sozial- und Fiskalpolitik gibt es den Transfer von Massachusetts nach Mississippi. In Europa findet das nicht statt. In Deutschland wird die Rente mit 67 eingeführt, in Frankreich wird wegen der Rente mit 62 Jahren gestreikt und in Griechenland gehen die Menschen mit 55 Jahren in den Ruhstand Das geht so nicht auf.
Transferleistungen vom Norden in den Süden des Euro, wären wohl nicht nur in Deutschland schwer zu vermitteln.
Sicher. Es gibt jedoch im Bezug auf Griechenland aber nur zwei Möglichkeiten. Langfristige Transferleistungen oder Griechenlands geordnete Insolvenz in drei bis vier Jahren, wenn die Schuldenquote des Landes nach Schätzungen des IWF trotz der eingeleiteten Maßnahmen bei 150 Prozent liegen wird.
Einige Top-Konzerne aus verschuldungsgefährdeten Staaten haben wegen des hohen Risikoaufschlags für Anleihen ihres Landes offensichtlich Schwierigkeiten eigene Anleihen zu akzeptablen Konditionen zu platzieren. Spaniens Telefonica verzichtete deshalb vor Kurzem auf die Ausgabe neuer Papiere.
Die Konkurrenz zwischen Staaten und Konzernen um frisches Kapital am Anleihenmarkt wird sich noch erheblich verschärfen. Denn während der kommenden Jahre wollen sich die Länder 5000 Milliarden Dollar frisches Geld holen.
Die besten Chancen auf Wachstum und Schuldenabbau dürften nach dem Stand der wirtschaftlichen Erholung Firmen in Skandinavien, Deutschland und der Schweiz haben?
Weil die Unternehmen aus diesen Ländern viel nach Südostasien exportieren. In Deutschland kommt positiv hinzu, dass jetzt auch der Funke auf den Konsum übergesprungen ist. Mithilfe der starken Nachfrage aus Südostasien hat sich Deutschlands Wirtschaft schneller als andere aus dem Abschwung befreit und wird auch in den kommenden zwei Jahren gut zulegen. Der Rückfall der USA in eine Rezession, würde Europa jetzt weniger stark treffen als wirtschaftliche Schwierigkeiten in China.
Wird Amerikas Strategie über einen weichen Dollar mehr nach China und Südostasien zu exportieren, erfolgreich sein?
Nein. Ländern, die wenig in diese Region exportieren und das sind neben den USA, auch Großbritannien, Frankreich und die Länder am Mittelmeer, bringen die Vorteile einer weicheren Währung in diesem Zusammenhang nichts. Die USA sind schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs keine große Exportnation mehr.
Der Binnenmarkt der größten Volkswirtschaft der Welt ist sehr groß.
Wegen der hohen Verschuldung der Haushalte werden wir aber auch hier über Jahre sehr schwaches Wachstum haben. Jährliche Zuwächse der US-Wirtschaft von über drei Prozent, wie vor der Krise, sind aus meiner Sicht vorerst illusorisch. Der Boom am Häusermarkt hat vor der Krise mindestens einen ganzen Prozentpunkt zum Wachstum beigetragen. Länder mit einer hohen Verschuldung der Privathaushalte müssen sich deshalb auf viele Jahre mit magerem Wirtschaftswachstum einstellen.
Also wird Amerikas Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung der im Jahr 2000 noch bei 31 Prozent lag und 2009 nur noch bei 24 Prozent, weiter sinken?
Ja, die Konvergenz zu Gunsten der Schwellenländer, die sich seit Anfang 2000 verschärft hat, ist kaum zu bremsen.
Also haben die Schwellenländer den Raum für Wachstum der den USA fehlt?
Ja. Und Länder, die stark auf angelsächsische Märkte fokussiert sind, zum Beispiel Frankreich, sind mitgefangen. Deutschland, die Niederlande und die Schweiz konnten dank Asien auf Wachstum schalten. Dennoch bin ich davon überzeugt davon, dass die USA auch 2030 zu den drei größten und erfolgreichsten Volkswirtschaften gehören werden. Bei der Euro-Zone bin ich mir nicht sicher.
Wie verändert sich die globale Wirtschaftsleistung, wenn Schwellenländer daran einen wachsenden Anteil daran haben?
Die Rohstoffe werden teuerer. Außerdem wird sich im Verhältnis der Wechselkurse etwas Grundlegendes ändern. Amerika hat das in China noch nicht erkannt.
Wie meinen Sie das?
Bisher hat jeder gedacht, dass China wirtschaftlich den gleichen Weg wie Deutschland beim Wideraufbau seiner Wirtschaft gehen wird. Die eigene Währung aufwerten und die Inflation in Schach halten. Was wir jetzt beobachten ist, dass die chinesische Regierung die Binnenkonjunktur ankurbelt und die Lohnforderungen der Arbeiter unterstützt. Die Amerikaner gehen weiter davon aus, dass die Chinesen ihre Währung aufwerten müssen. Die Chinesen, die Interesse an einem starken Binnenmarkt haben, sagen die Preise in China werden steigen und damit die Wettbewerbsfähigkeit China zwangsläufig schwächen. Die Exportquote der chinesischen Wirtschaft würde langfristig sinken. Für ein so großes Land wie China ist Pekings Strategie aus meiner Sicht die bessere Alternative für Wachstum als der Weg über die starke Aufwertung des Yuan.
Wie sieht diese Welt für institutionelle Anleger aus?
Wer auf Risiko setzt, investiert in Schwellenländer. Dort fließt weiter sehr viel Geld in Vermögenswerte, obwohl viele dieser Märkte zu klein sind, um so viel Kapital aufzunehmen. Selbst Brasilien erhöht seine Währungsreserven, weil mehr Kapital ins Land fließt, als die Wirtschaft dort verkraften kann. Wer Sicherheit will, kauft weiter Staatsanleihen, Gold und Schweizer Franken. Das größte Risiko ist jedoch, dass wir Ökonomen mit unserem Pessimismus falsch liegen und die Welt zur Normalität zurückkehrt. Dann sind die Anlagen in Gold und Schwellenländern am meisten gefährdet. Diversifikation ist deshalb jetzt wichtig, keine großen Wetten auf extreme Szenarien.
Warum ist die Unsicherheit der Ökonomen so groß?
Wir haben die globale Finanz- und Wirtschaftskrise nicht kommen sehen. So ein Bankrott passiert der Wissenschaft alle vierzig Jahre
Vita Andreas Höfert, UBS Chefökonom
Andreas Höfert ist seit April 2009 Chefökonom und Global Head Wealth Management Research der Schweizer UBS-Bank. Er verantwortet die weltweiten Analysen von UBS Wealth. Der Schweizer Ökonom hat an der Universität St. Gallen promoviert und arbeitet bei der UBS seit 1999 in verschiedenen Funktionen als Ökonom in Zürich und New York. Zuvor war Höfert vier Jahre lang Forscher und Konjunkturprognostiker an der ETH in Zürich.