Finanzministerium will Vorschlag zum Umgang mit Haushaltsurteil machen
Das Bundesfinanzministerium hat angekündigt, rechtzeitig zu einer für Donnerstag geplanten Sondersitzung des Bundestags-Haushaltsausschusses für den Beschluss des Haushalts 2024 einen eigenen Vorschlag zu den Konsequenzen aus dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorzulegen.
"Rechtzeitig ist natürlich, bevor der Haushaltsausschuss final abschließt", sagte der Parlamentarische Finanz-Staatssekretär Florian Toncar (FDP) bei einer Anhörung in dem Ausschuss. Er könne "noch nicht auf die Stunde genau sagen", wann das sein werde. "Wir aktualisieren unsere Einschätzung und bewerten sie noch einmal im Lichte des hier Gehörten und werden uns dann auch zum weiteren Vorgehen mit einem eigenen Vorschlag äußern", kündigte er an.
Die Karlsruher Richter hatten den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für unvereinbar mit dem Grundgesetz und damit nichtig erklärt. Laut dem Urteil durfte die Regierung zur Bewältigung der Corona-Pandemie aufgenommene Mittel von 60 Milliarden Euro nicht rückwirkend in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschieben. Die Urteilsbegründung enthielt auch grundsätzliche Aussagen zu den Prinzipien von Sondervermögen.
Bei der Anhörung zeigten sich Juristen, Ökonomen und Behördenvertreter uneins über die Folgen des Urteils für den Haushalt 2024. Mehrere von ihnen äußerten allerdings Verfassungsbedenken für den Fall eines Beschlusses zum Budgetplan ohne Berücksichtigung von Folgen des Urteils. So äußerten der Bundesrechnungshof und weitere Sachverständige große verfassungsrechtliche Bedenken nicht nur gegen den Budgetentwurf für 2024, sondern darüber hinaus den Haushalt für 2023 und die Finanzierung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Der Rechnungshof erklärte, er halte "sowohl den Haushalt 2023 als auch den Regierungsentwurf für den Haushalt 2024 in verfassungsrechtlicher Hinsicht für äußerst problematisch".
Gleiches gelte "für die Finanzierung des WSF-Energiekrise in beiden Jahren". Sollte der Bundestag den Haushalt 2024 sowie den WSF-Wirtschaftsplan für 2024 ohne wesentliche Änderungen beschließen, wäre "verfassungsrechtlich höchst risikobehaftet". Der Heidelberger Rechtsprofessor Hanno Kube erklärte, aus mehreren Gründen ergebe sich aus dem Urteil "ein erheblicher neuer Informations-, Prüfungs - und Beratungsbedarf" im laufenden Gesetzgebungsverfahren für den Bundeshaushalt 2024. "Ebenso wie für den Haushalt 2023 gilt für den Entwurf des Haushalts 2024, dass dessen Verfassungsmäßigkeit nach aktuellem Stand nicht gesichert, sondern vielmehr fraglich ist", erklärte Kube. Das Haushaltsgesetz 2024 sei "kurzfristig nicht beschlussreif".
Nachtragsbudget 2023 und erneute Notlage möglich
Für 2023 regte Kube einen Nachtragshaushalt an, da im Widerspruch zu dem Karlsruher Urteil dieses Jahr Ausgaben aus dem WSF erfolgt seien. Auch die erneute Erklärung einer Notlage für 2023 zum erneuten Aussetzen der Schuldenbremse sei möglich, solange noch finanzielle Krisenauswirkungen auf den Haushalt bestünden. Der Trierer Rechtsprofessor Henning Tappe hielt hingegen "redaktionelle Anpassungen" im Budgetentwurf für 2024 für ausreichend, mit denen Änderungen des KTF-Wirtschaftsplans nachvollzogen würden. Allerdings erklärte auch er, die Ausführungen des Urteils könnten mittelbar "auch Konsequenzen für andere Sondervermögen/Fonds des Bundes haben".
Der Ökonomieprofessor Dirk Meyer von der Hamburger Universität der Bundeswehr erklärte, Rückwirkungen auf bestehende Sondervermögen wie den WSF seien "aufgrund einer ähnlichen Konstruktionsweise naheliegend" und könnten einer gerichtlichen Überprüfung gegebenenfalls nicht standhalten. Zu einer erneuten Notlagenerklärung zeigte er sich skeptisch. Diese setze voraus, "dass sie wirklich eine Notlage ist, die unabhängig ist und nicht verschuldet durch den eigenen Staat oder die eigene Regierung". Meyer forderte, die Haushaltskrise solle langfristig als Chance zum Umdenken genutzt werden. Er sprach sich für "weniger Verordnung und mehr Markt" aus.
Der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum nannte es einen "aus ökonomischer Sicht gangbaren Weg", den Kernhaushalt und den KTF gedanklich zu trennen und separat zu behandeln. "Der Kernhaushalt ist ausverhandelt und kann aus meiner Sicht deshalb auch vorläufig verabschiedet werden", sagte er. Allerdings sei dann mit einem Abschluss des Haushaltsgesetzes 2024 ein "baldiger Nachtragshaushalt" wahrscheinlich, um den nach dem Urteil geänderten Realitäten Rechnung zu tragen. "Dennoch sollte der Haushalt 2024 zunächst regulär verabschiedet werden, um ein geordnetes Verfahren zu haben", erklärte er.
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, warnte vor Folgen für die Konjunktur. "Die deutsche Volkswirtschaft steht vor einer extrem schwierigen Situation", konstatierte er. Für kommendes Jahr werde man vermutlich nicht mit Wachstum rechnen können. "Wir laufen dann in eine hartnäckige Investitionskrise hinein." Der Vorsitzende des Unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats, der Finanzwissenschaftler Thiess Büttner, erklärte, sein Gremium habe explizit auf Risiken hingewiesen, die in den Plänen der Regierung zur Umgehung der Schuldenbremse lägen. Diese sei den Weg aber weiter gegangen. "Insofern muss man sagen, dass die Bundesregierung bewusst erhebliche finanzpolitische Risiken eingegangen ist, und sie trifft dafür die Verantwortung".
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)
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