Ist China das neue Japan der Automobilindustrie?
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Mobeen Tahir, Director, Macroeconomic Research & Tactical Solutions, WisdomTree
Der Aufstieg Japans zu einem führenden Akteur in der globalen Autoindustrie reicht bis in die 1950er und 1960er Jahre zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Land stark auf den Wiederaufbau seiner Wirtschaft angewiesen, und die Regierung sah in der Automobilindustrie einen wichtigen Wachstumsmotor. In den ersten Jahren konzentrierten sich die japanischen Autobauer auf die Herstellung kleiner, kraftstoffsparender Fahrzeuge, die für die überfüllten Straßen und die begrenzten Finanzmittel des Landes gut geeignet waren. Unternehmen wie Toyota und Nissan konnten sich einen guten Ruf für Qualität und Zuverlässigkeit erarbeiten, und ihre Exporte gewannen nach und nach an Popularität auf anderen Märkten der Welt.
Einer der Schlüsselfaktoren, die zum Erfolg Japans in der Automobilindustrie beigetragen haben, war die Ausrichtung auf kontinuierliche Verbesserung und Innovation, eine Philosophie, die als "Kaizen" bekannt ist. Dieser Ansatz unterstreicht die Bedeutung ständiger, schrittweiser Verbesserungen von Produkten und Prozessen und half den japanischen Automobilherstellern, in puncto Effizienz und Qualität an der Spitze zu bleiben.
Ein weiterer wichtiger Faktor war die enge Zusammenarbeit zwischen den japanischen Autoherstellern und ihren Zulieferern, die eine stärkere Integration der Lieferkette und effizientere Produktionsprozesse ermöglichte. In Verbindung mit dem Einsatz fortschrittlicher Automatisierungstechnologien waren japanische Autos im Hinblick auf Kosten und Qualität daher äußerst wettbewerbsfähig. Unterstützung kam auch von der Regierung in Form von Steuererleichterungen für Autobauer und Investitionen in Infrastruktur und Verkehrsnetze.
Heute steht die Kfz-Branche jedoch an einem Wendepunkt. Die Elektrifizierung führt in der Automobilindustrie zu den gleichen Umwälzungen wie die Digitalisierung vormals in der Unterhaltungsindustrie. Und so wie neue Marktteilnehmer wie Netflix die etablierten Unternehmen zu schnellen Innovationen zwangen, um zu überleben, fordert auch die rasch aufstrebende chinesische Automobilindustrie die Giganten aus Japan heraus.
Die chinesische Herausforderung
Manche sagen, BYD sei das Toyota-Pendant für Elektrofahrzeuge (Electric Vehicles, EVs) oder könnte dazu aufsteigen. BYD etabliert sich schnell auf seinem Heimatmarkt. Steuerliche Anreize der chinesischen Regierung für Käufer von Elektroautos trugen maßgeblich zum EV-Wachstum des Landes im Jahr 2022 bei. Zusätzliche Unterstützung von Seiten der Regierung kommt in Form des Ausbaus der Ladeinfrastruktur, einer entscheidenden Komponente des 14. Fünf-Jahres-Plans Chinas, der im Dezember 2022 veröffentlicht wurde.
Im November 2022 erreichte der weltweite Absatz von Plug-in-Elektroautos mit mehr als 1 Million Neuzulassungen ein neues Rekordhoch . Die nachstehende Tabelle zeigt die zehn führenden Fahrzeuge nach Zulassungen. Wir verweisen auf die Dominanz der BYD-Modelle.
Abbildung: Im November 2022 wurden weltweit 1.060.000 neue EVs zugelassen. Zu den zehn führenden EVs zählten:
Quelle: Inside EVs, Januar 2023. BEV = Battery Electric Vehicle (Batterieelektrisches Fahrzeug). PHEV = Plug-in Hybrid Electric Vehicle (Plug-in-Hybrid-Elektrofahrzeug).
Wenn eine integrierte Lieferkette früher der Schlüssel zum Erfolg der japanischen Autohersteller war, könnte dies für chinesische Erstausrüster (Original Equipment Manufacturers, OEMs) angesichts der Dominanz Chinas bei der wichtigsten Komponente eines Elektrofahrzeugs, der Batterie, noch einfacher sein. Nach Angaben von Bloomberg New Energy Finance belief sich der Anteil Chinas an der weltweiten Produktionskapazität für Lithium-Ionen-Batterien im Jahr 2022 auf 77 %. Sechs der zehn größten Batteriehersteller haben derzeit ihren Hauptsitz in China. Bis 2027 wird sich die weltweite Gesamtkapazität voraussichtlich verachtfachen, wobei China mit einem Marktanteil von 69 % seine Vormachtstellung behaupten dürfte .
Die Integration von Batterien in die Herstellung von Autos könnte für BYD nicht einfacher sein, denn das Unternehmen hat sich von seinen Ursprüngen als Batteriehersteller zu einem OEM entwickelt. Tatsächlich war es die Kompetenz des Unternehmens bei Batterien, die Warren Buffett im Jahr 2008 zu einer Investition in dessen Aktie veranlasste.
Die oben stehende Liste der Verkaufsschlager widerlegt auch die These, dass BYD in anderen Kategorien als Tesla konkurrieren könnte. Der Song Plus von BYD beispielsweise ist eine kostengünstige Alternative zum Model Y von Tesla. Trotz seines niedrigeren Preises gibt es kaum Abstriche bei Technologie oder Sicherheitsfunktionen. Wie die beiden Modelle im Vergleich dastehen, liegt natürlich im Auge des Betrachters.
In der Vergangenheit sind japanische Hersteller wie unter anderem Toyota, Nissan und Suzuki ins Ausland vorgestoßen, nachdem sie sich auf ihrem Heimatmarkt etabliert hatten. Auch BYD will nun seine Aktivitäten in Europa ausweiten und ein eigenes Werk für die Produktion auf dem Kontinent errichten.
Noch ist für Japan nicht alles verloren
Der Vorstandsvorsitzende von Toyota, Akio Toyoda, Enkel des Gründers von Toyota Motors, Kiichiro Toyoda, kündigte vor Kurzem an, dass er im Vorstand bleiben, aber von seiner Rolle als CEO zurücktreten würde. Seine Ankündigung kam einige Tage, nachdem er sich skeptisch darüber geäußert hatte, dass batterieelektrische Fahrzeuge die Antwort auf die Dekarbonisierung des Straßenverkehrs sein könnten. In seiner Erklärung schlug er vor, dass auch andere Antriebsarten wie Hybride und Wasserstoff-Brennstoffzellen in Betracht gezogen werden sollten - beides Technologien, bei denen Toyota eine führende Rolle spielt. Dennoch hat das Unternehmen offenbar beschlossen, dass es eine neue Führung braucht, um seine Strategie für batterieelektrische Fahrzeuge voranzutreiben. Bei seinem Rücktritt und der Übergabe des Stabs an Koji Sato von der Toyota-Marke Lexus räumte Akio Toyoda ein, dass die jüngere Generation das Unternehmen in diesem neuen Zeitalter der Zukunftstechnologien führen müsse.
Es gibt viele Gründe, die japanische Automobilindustrie weiterhin konstruktiv zu sehen. Erstens darf die Erfahrung mit der Herstellung von Autos, die seit Jahrzehnten gebaut werden, nicht außer Acht gelassen werden. Wir haben gesehen, wie schnell deutsche Hersteller wie Volkswagen, Mercedes und BMW mit der Produktion von Elektromodellen begonnen haben, wobei sie das Image ihrer Marken gewahrt und gleichzeitig eine neue Technologie eingeführt haben. Zweitens ist es durchaus möglich, dass die Zukunft der Automobilität auf mehreren Antriebsarten beruht. Wenn es Toyota gelingt, mit Wasserstoff-Brennstoffzellen neue Wege zu beschreiten, könnte dies dem Unternehmen eine beherrschende Stellung auf einem relativ wenig erforschten Markt verschaffen.
Und schließlich muss man nicht der Erste auf dem Markt sein, wenn es um Autos geht. Vielleicht muss man es nicht einmal unter die ersten wenigen schaffen. Autos sind nicht mit Handys zu vergleichen, die die Welt der Verbraucher in iPhone- und Android-Nutzer gespalten haben, wobei Akteure wie Nokia, die sich dem Wandel widersetzten, völlig ins Hintertreffen geraten sind. Bei Autos dürften die Kunden vor dem Kauf eine breitere Palette von Optionen in Erwägung ziehen, als dies bei Mobiltelefonen der Fall ist. Mit einem attraktiven Angebot, das mit den Alternativen auf dem Markt mithalten kann, können Autohersteller aufschließen und sich in die Liste der Marken einreihen, die die Verbraucher in Betracht ziehen.
Die Voraussetzung ist natürlich, dass man innovativ ist. Und dass man es schnell tut. Kaizen. Und wir gehen davon aus, dass die japanischen Automobilhersteller das tun werden. Aber sie werden sich mit der wachsenden Dominanz Chinas in diesem Bereich auseinandersetzen müssen, durch die ein Wettbewerb entsteht, den es früher nicht gab.
Denn wenn es um Technologie geht, ist Führung alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
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Quelle:
1: Inside EVs, Januar 2023.
2: Quelle: Bloomberg New Energy Finance, zusammengefasst von Visual Capitalist am 19. Januar 2023.
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