Interview

Jim Rogers: Silber ist keine Blase

28.05.11 06:00 Uhr

Rohstoffguru Jim Rogers im Interview mit Euro am Sonntag über die weitere Entwicklung der Edelmetalle und Agrarrohstoffe und einer möglichen Blase bei den Internet-Unternehmen.

von Jens Castner, Euro am Sonntag

Herr Rogers, wie haben Sie das Platzen der Silberblase erlebt?
Die Hunt-Brüder waren religiöse Menschen. Sie hatten in der Bibel gelesen, dass Gold 16-mal so viel wert ist wie Silber. Als Gold durch die Decke ging und Silber nicht mitstieg, kauften sie in den 70er-Jahren alles Silber, das sie bekommen konnten.

Wir meinten eigentlich die aktuelle Blase.
Blase? Welche Blase? Als der Preis für eine Feinunze im April in Richtung 50 US-Dollar schoss. Da habe ich verkauft. Aber das war keine Blase. Der Preis war nur zu schnell gestiegen. Was raketenartig steigt, korrigiert auch scharf. Immer. Bei 35 Dollar bin ich wieder eingestiegen.

Sie sehen also keine Parallelen zur Situation Ende der 70er?
Sehen Sie, die Hunt-Brüder lagen ja im Grunde nicht falsch. Als die Vereinigten Staaten gegründet wurden, kostete Gold das 15-Fache des Silberpreises. Ende der 70er war das historische Preisgefüge komplett durcheinender geraten.

Und die Hunt-Brüder gingen pleite.
Weil sie übersehen hatten, dass Gold damals viel zu teuer war.

Und heute?
Heute hält Gold lediglich seinen Wert, während die Papierwährungen verfallen. Amerikas Notenbankchef Ben Bernanke ist ein exzellent ausgebildeter Mann – im Gelddrucken. Das hat er von seinem Vorgänger Alan Greenspan gelernt. Dann hat man ihm die Druckerpresse in die Hand gegeben und er ist außer Kontrolle geraten.

Sie glauben nicht an ein Ende der lockeren Geldpolitik in den USA?
Selbst, wenn Bernanke sich eine kurze Pause gönnen sollte: Beim geringsten Anzeichen einer Konjunkturschwäche wird er wieder Dollarnoten drucken wie ein Weltmeister. Zum Glück gibt es einen limitierenden Faktor.

Welchen?
Wussten Sie, dass Dollarscheine größtenteils aus Baumwolle bestehen? Glücklicherweise ist die Menge an Baumwolle begrenzt, also kann er nicht unendlich drucken.

Der Zahlungsverkehr findet heute größtenteils bargeldlos statt.
Aus diesem Grund ist Bernanke ja noch nicht an seine Grenzen gestoßen. Aber spätestens, wenn der reine Baumwollwert einer Banknote den aufgedruckten Betrag übersteigt, wird der Irrsinn offenkundig. Ich würde deshalb lieber auf Baumwolle setzen als auf den Dollar. Übrigens würde ich Baumwolle derzeit auch Gold vorziehen.


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Warum?
Weil Gold – im Unterschied zu Silber – noch nicht scharf korrigiert hat. Und ich bin kein Momentum-Investor. Ich kaufe lieber dann, wenn die Preise unten sind. Deshalb investiere ich in Erdgas oder Agrarrohstoffe und nicht in US-Technologieaktien. Die verkaufe ich leer.

Was spricht gegen Technologieaktien? Die meisten Unternehmen haben Cash ohne Ende.
Wenn Sie sich den Börsenhype um Aktien wie Linkedin anschauen, die mit dem 20-fachen Umsatz bewertet sind, dann sehen Sie die von Ihnen zitierte Blase.

Der Rohstoffhändler Glencore ging fast zeitgleich mit Linkedin an die Börse. Die Aktie lief aber nicht so recht.
Zum Glück, möchte ich sagen. Daran sieht man, dass die Rohstoffhausse noch nicht die breite Masse der Investoren erreicht hat.

Haben sie Glencore-Aktien gezeichnet?
Natürlich nicht.

Warum nicht?
Ich kaufe immer die Rohstoffe selbst, nie die Aktien der Produzenten oder Händler. Erdgas kann fallen, aber es fällt nicht auf null. Der Fall Enron hat uns gelehrt, dass der Wert eines Unternehmens, das mit Erdgas handelt, durchaus auf null sinken kann. Bei Rohstoffaktien müssen Sie nicht nur den richtigen Rohstoff auswählen, sondern auch noch die richtige Firma.

Fühlen Sie sich eigentlich manchmal schlecht bei Ihren Anlageentscheidungen?
Warum sollte ich?

Politiker predigen landauf, landab, dass die Lebensmittelpreise durch Spekulationen mit Agrarrohstoffen in die Höhe getrieben werden.
Blödsinn. Spekulation kann Trends kurzfristig verstärken, Preise – wie bei Silber – auch mal übers Ziel hinaus schießen lassen. Aber es ist nicht so, dass Spekulation über einen Zeitraum von Jahren oder Jahrzehnten die Preise bestimmt. Spekulative Übertreibungen werden immer korrigiert. Spekulatives Geld fließt dorthin, wo etwas zu verdienen ist. In den 80er- und 90er-Jahren hat sich auch niemand darüber beschwert, dass spekulatives Kapital in den Aktienmarkt floss.

Der Unterschied ist, dass hohe Aktienkurse niemandem schaden. Hohe Preise für Agrarrohstoffe führen dazu, dass sich viele Menschen nichts mehr zu essen leisten können.
Dann fragen Sie mal die Witwen der mehr als 1000 indischen Bauern, die sich jedes Jahr umbringen, weil sie ihre Familien nicht mehr ernähren können. Die Preise für Agrarrohstoffe müssen steigen, damit sich der Anbau wieder lohnt. Oder glauben Sie, dass sich Menschen zwölf Stunden am Tag in der glühend heiße Sonne schuften, nur damit wir hier billigen Champagner schlürfen können?

Beim Bordeaux-Wein kann man bei einigen Marken auch schon von einer Blase sprechen
Champagner ist ein schlechtes Beispiel. Wie beim Bordeaux-Wein kann man bei einigen Marken auch schon von einer Blase sprechen.
Mag sein. ja. Nehmen wir Reis als Alternativbeispiel. Als die Preise für ihren Geschmack zu stark stiegen, hat die Regierung der Philippinen Höchstpreise festgesetzt. Das führte dazu, dass im Land immer weniger Reis angebaut wurde, weil sich das für die Bauern nicht rechnete. Importieren konnten die Philippinen aber auch nichts, weil die Weltmarktpreise höher waren als das, was die Regierung festgesetzt hatte. So funktioniert Markt nicht.

Jetzt liefern sie selbst den Beleg für die These, dass hohe Preise für Agrarrohstoffe zu Hunger führen können.
Und niedrige Preise würden noch mehr Hunger auslösen. Der durchschnittliche Farmer in den USA ist 58 Jahre alt. In zehn Jahren wird er 68 sein. Warum? Weil von unten nichts nachkommt. Wir bilden jedes Jahr 200.000 Betriebswirte aus, aber nur eine Handvoll Landwirte. Also noch mal: Wenn es sich nicht lohnt, Nahrungsmittel anzubauen, werden auch keine angebaut. Dann gibt es für niemanden mehr etwas zu essen. Deshalb müssen die Preise steigen!

Wie weit werden sie steigen?
So hoch, dass es unsere Vorstellungskraft übersteigt. Auch wenn sich der Zuckerpreis seit dem Tief fast verzehnfacht hat, liegt er noch immer um 70 Prozent unter den Niveau von 1974. Der Preis sich kann also erneut verdreifachen. Und wer sagt uns, dass es im laufenden Zyklus nicht ein neues Rekordhoch geben wird? Irgendwann werden Agrarprodukte so teuer sein, dass ich verkaufe. Und dann werden die Preise noch weiter steigen, bis auch ich eine Blase vermute und leer verkaufe. Und dann werden sie wahrscheinlich noch mal für eine Weile weiter steigen!

Wo sind die Grenzen dieser Preisspirale?
An dem Punkt, an dem sich, vielleicht in 30 oder 40 Jahren, die Erkenntnis durchsetzt, dass das Geld auf dem Acker verdient wird. Wenn es irgendwann als schick gilt, Bauer zu werden statt Investmentbanker.

30 oder 40 Jahre sind ein sehr langer Zeitraum. Bisher sprachen auch Sie meist von 20 Jahren, wenn sie über die laufende Rohstoffhausse sprachen. Und zehn davon sind ja schon vorbei.
Die Dauer des laufenden Rohstoffzyklus wird davon abhängen, wie schnell und wie stark die Preise anziehen. Den Zeitpunkt kann ich nicht vorhersehen, ich bin kein Superhirn, ich beobachte lediglich sehr genau.

Zu welchen Erkenntnissen hat Ihre Beobachtungsgabe geführt?
Dass Rohstoffzyklen meist Jahrzehnte dauern. Mal 20, mal 50 Jahre. Das geht seit Jahrhunderten so. Die letzte Bleimine in den USA wurde 1969 eröffnet, vor 42 Jahren. Zucker ist billiger als vor 37 Jahren. Es könnte also sein, dass der aktuelle Zyklus einer der längeren wird, da sich die Preise so viele Jahre lang nicht bewegt haben.

Herr Rogers, wir danken für das Gespräch.

Bildquellen: iStockphoto/Getty Images/Thinkstock