Herr Hellmeyer, bleiben Sie bullish für den DAX?
Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, über Optimismus an der Börse, interessante Branchen, Deflationsgespenster, den richtigen Portfoliomix und enttäuschte Goldanleger.
von Benjamin Summa
Herr Hellmeyer, das billige Geld der Notenbanken treibt weiterhin die Stimmung an den Börsen. Der Dax ist nur noch eine Handbreit von der magischen Grenze von 10.000 Punkten entfernt. Wie optimistisch sind Sie jetzt für die zweite Jahreshälfte?
Wir haben den Turnaround an den Aktienmärkten im Jahre 2009 perfekt prognostiziert, seitdem bin ich bullish. Wir haben sicherlich keine Unterbewertung mehr, aber insbesondere für die europäischen Aktienmärkte mache ich eine faire Bewertung aus. Ich bin auch in Sachen Weltkonjunktur sehr optimistisch. Zudem geht die finanzielle Repression weiter, die Notenbanken generieren Überschussliquidität und das Niedrigzinsniveau wird uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Das wäre die makroökonomische Bewertung.
Mikroökonomisch sieht es hierzulande auch prima aus: Im ersten Quartal haben wir ein Umsatzwachstum bei den Dax-Unternehmen von 0,6 Prozent, aber eine Gewinnausweitung von sechs Prozent - die Qualität stimmt also. All diese Faktoren sprechen dafür, dass der Aktienmarkt auch künftig ein sehr attraktiver Anlageort sein wird. Unsere Prognose, die sich auf das vierte Quartal 2014 bezieht, sieht den Dax zwischen 10.500 und 10.800 Punkten. Daran halten wir fest.
Welche Märkte und Branchen sind aktuell für Sie am interessantesten?
Die politischen Krisen in den vergangenen zwei Jahren - ich möchte nur die Eurodefizitkrise, die Italienwahl, die Zypern-Lösung und den US-Haushaltsstreit nennen - haben dazu geführt, dass wir in der Investitionstätigkeit global eine unterproportionale Entwicklung hatten - vergleichbar mit 2008/2009. Deswegen sind aus meiner Sicht jetzt vor allem solche Sektoren attraktiv, in denen es um Investitionen geht: Maschinenbau, Automobilindustrie, Chemieindustrie und nachgelagert der Konsum. Mein Fokus richtet sich sehr stark auf den europäischen Markt, weil wir hier den Turnaround in der Wirtschaft schaffen. Strukturreformen wurden angepackt und diese werden auch ihre Wirkung entfalten.
Wie beurteilen Sie Risikofaktoren, etwa die schwächere Wirtschaftsentwicklung in China und den Konflikt in der Ukraine?
In Bezug auf China teile ich die vorherrschende Marktmeinung nicht. Dass das Land hausgemachte Probleme hat, steht außer Frage. Das ist auch nach einem dreißigjährigen Aufschwung mit einem durchschnittlichen Wachstum von neun Prozent kein Wunder. Aber ich bin mir sicher, dass China seine Probleme in den Griff bekommt. Wenn die Weltwirtschaft stärker anzieht, dann wird auch die "Werkbank der Welt" davon profitieren. China wird in diesem Jahr voraussichtlich um 7,5 Prozent wachsen, das Land wird also mitnichten zur Belastung für die Weltwirtschaft.
Der schwelende Konflikt in der Ukraine stellt definitiv ein Risiko dar für die Aktienmärkte. Ich denke aber, dass der Konflikt ein regionaler bleibt. Man erkennt jetzt schon an den Marktreaktionen, dass sich die Anleger an diese Auseinandersetzung gewöhnen. Zu Beginn der Krise hat sich der Dax nach unten in Richtung 9.000 Punkte bewegt, mittlerweile hat der Index wieder neue Höchststände markiert.
Wie bewerten Sie den Aktienmarkt in den USA? Experten warnen vor einer starken Übertreibung.
Ganz allgemein kann man sagen, dass das Risikocluster in den USA im Vergleich zu Europa unter fundamentalen Gesichtspunkten erhöht ist. Wir sehen dort sehr stark kreditfinanzierte Positionen am Aktienmarkt, das ist immer Ausdruck erhöhter Risiken. Zudem haben wir im Vergleich zu Europa ein erhöhtes Bewertungsniveau. Drittens müssen sich Anleger immer auch grundsätzlich die Frage nach der Tragfähigkeit des amerikanischen Geschäftsmodells stellen. Denn dort wurden kaum Strukturreformen gemacht. Die Nachhaltigkeit des US-amerikanischen Aufschwungs, der fraglos da ist, ist meiner Meinung nach weniger ausgeprägt und er bietet mittelfristig - ich rede vom Zeitfenster 2016 - durchaus eine potenzielle Schwäche. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass der US-Aktienmarkt sehr sportlich bewertet ist, aber eine aggressive Überbewertung, die uns an den Neuen Markt erinnern könnte, sehe ich nicht.
Kommen wir zum Thema Inflation/Deflation: In der Eurozone insgesamt steigen die Preise zwar noch - aber immer langsamer. Spanien ist bereits in der Deflation. Die Notenbanken werden alles tun müssen, um eine langjährige Rezession zu verhindern. Wie ist Ihr Szenario: Ist das Deflationsgespenst gerechtfertigt oder wird die Inflation in der Zukunft deutlich steigen?
Für mich ist die Deflations-Debatte eine Debatte der Nebelkerzen. Ich kann kein Deflationsrisiko erkennen. Ich erwarte in diesem Jahr ein Wachstum der Weltwirtschaft von vier Prozent. Die Schwellenländer, die zuletzt geschwächelt haben und mitverantwortlich waren für die disinflationären Tendenzen in der westlichen Welt, treten wieder in eine Aufschwungphase, die Löhne steigen dort sehr aggressiv.
Die niedrige Inflation, die wir derzeit in der Eurozone sehen, hat zwei Ursachen: Zum einen wurden ganz bewusst die internen Preisniveaus der Reformländer in der EU gesenkt, um deren Konkurrenzfähigkeit wieder herzustellen. Das sind aber Einmal-Maßnahmen, eine Fortschreibung dieser Tendenz kann ich nicht ausmachen. Zum zweiten hängt die niedrige Inflation auch damit zusammen, dass die Rohstoffpreise niedrig sind - es handelt sich also auch um Basiseffekte. Eine Fortsetzung dieser Basiseffekte ist angesichts einer anziehenden Weltkonjunktur in höchstem Maße unwahrscheinlich.
Ich erwarte, dass wir bei den Verbraucherpreisen in der Eurozone in ca. zwölf Monaten wieder im Dunstkreis von zwei Prozent liegen werden. Wir wandern in den kommenden Jahren sukzessive zurück zum Inflationsbild der 1980er-Jahre und dann reden wir von einer Preisinflation in der Eurozone bis zu 4,5 Prozent. Das ist auch gewollt: Denn die finanzielle Repression soll dazu dienen, die Staatshaushalte zu entlasten. Wir werden zwar nominale Zinserhöhungen sehen, aber die Preisinflation wird mindestens in gleichem Maße zunehmen - diese Entwicklung ist ein Anlageargument für Aktien und gegen Staatsanleihen.
Zu welchem Portfoliomix raten Sie Anlegern angesichts dieses Szenarios konkret?
Es wird keiner gezwungen, sein gesamtes Vermögen auf dem Sparbuch zu haben. Wer uns gefolgt ist, ist seit 2009 im Dax long und bekommt heute Dividendenrenditen auf das eingesetzte Kapital von acht bis zwölf Prozent. Es ist sehr bedauerlich, dass die Aktienkultur in Deutschland so schlecht ausgeprägt ist, denn dadurch werden viele gute Chancen verpasst.
Ich bin seit 2001 zudem ein Vertreter der Anlage in Gold und Silber. Bei den Edelmetallkursen haben wir in den vergangenen Jahren auch eine Repression gesehen, also eine Intervention, die dafür sorgt, dass es kaum Aufwärtspotenzial gibt. Aber mittel- und langfristig werden wir diese Aufholpotenziale bekommen. Aus meiner Sicht machen zehn Prozent in Edelmetallen Sinn.
Gold konnte im bisherigen Jahresverlauf zwar um rund acht Prozent zulegen, 2013 ist der Goldpreis aber förmlich abgestürzt, minus 28 Prozent. Viele Goldanleger sind enttäuscht …
Edelmetall-Interessenten müssen das Selbstverständnis von langfristigen Investoren haben. Ich persönlich habe bei den Edelmetallanlagen noch einen Zeithorizont von weiteren fünf Jahren für eine Aufwärtsbewegung. Wir haben jetzt eine mehrjährige Korrektur hinter uns, die sehr stark befeuert wurde durch Terminverkäufe. Die physische Nachfrage war und ist noch sehr hoch. Die smarten Zentralbanken in China und Russland bauen Edelmetallreserven auf. Für mich geht die Aufwärtsbewegung weiter, Anleger brauchen aber sehr viel Geduld. Je länger die finanzielle Repression andauert, desto stärkere Preissprünge sind möglich. Ich habe Minimumpreisziele für Gold zwischen 2.800 bis 3.000 Dollar.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist Unternehmenssprecher der pro aurum KG, München