Interview Exklusiv

Asoka Wöhrmann: "Die Dekade der Aktie beginnt erst"

15.07.14 16:00 Uhr

Der Chefanlagestratege der DWS erklärt, wie Anleger im Niedrigzinsalter agieren sollen - und warum die Hausse noch lange nicht zu Ende ist.

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von Alexander Sturm, Euro am Sonntag

€uro am Sonntag: Herr Wöhrmann, Sie prophezeien, dass sich der DAX bis zum Jahr 2025 auf 20.000 Punkte verdoppelt. Was macht Sie so zuversichtlich?
Asoka Wöhrmann:
Das vergangene Jahrzehnt war ein verlorenes für Aktien. Seit 2000 sind die Kurse im Schnitt kaum gestiegen. Schon damals stand der DAX bei 8.000 Punkten. Zugleich lagen die kurzen Zinsen bei über vier Prozent. Anlagen am Geldmarkt waren eine Alternative. Heute haben wir insgesamt fair bewertete Aktien und kaum eine Wahl. Sparer verlieren Geld, wenn sie Anlagen halten, die unterhalb der Inflationsrate verzinst werden. Wer eine zehnjährige Bundesanleihe mit einer Rendite von 1,3 Prozent kauft und hält, muss glauben, dass es bis 2024 keine Inflation gibt.

Alternativlosigkeit darf doch nicht der einzige Grund für Aktien sein …
Ist er auch nicht. Die Unternehmen stehen viel besser da als 2000 und 2007: Sie haben ihre Eigenkapital­basis gestärkt, ihre Produktivität ­gesteigert und sich global breiter ­aufgestellt. Jetzt treiben Firmengewinne die Börse. Die Leute kaufen trotz historischer Indexhöchststände nicht mehr aus Hoffnung ­Aktien, sondern auf Fakten basiert.

Viele sagen, der jetzige Börsenzyklus sei schon weit fortgeschritten. Die Luft für Aktien werde dünn …
Wir sind noch nicht einmal in der Mitte. In den USA haben wir vielleicht die Hälfte hinter uns, in Europa stehen wir am Anfang. Ja, die Kurse haben sich seit 2009 mehr als verdoppelt. Aber die ersten 60 Prozent der Hausse verdanken wir nur den Notenbanken. Wer 2009 gekauft hat, setzte darauf, dass sie den Zusammenbruch des Finanzsystems verhindern. Hinweise auf einen Aufschwung gab es nicht. Und in der Eurokrise ist der DAX auf gut 5000 Punkte gefallen und danach nur wegen der lockeren Geldpolitik hochgeschossen. Europa stürzte in die Rezession, erst vor Kurzem begann die Erholung. Selbst in den USA, wo der Zyklus am weitesten ist, ist die Arbeitslosigkeit relativ hoch und die Kapazitätsauslastung in der Wirtschaft niedrig. Deshalb dauert dieser Zyklus länger. Die Dekade der Aktie ist gerade erst angebrochen.

Was kann den Aufstieg auf 20.000 Punkte verhindern?
Ein aggressiver, schlecht kommu­nizierter Ausstieg der Notenbanken aus der lockeren Geldpolitik. Oder geopolitische Krisen. Ja, der Unruhe­herd im Nahen Osten bereitet mir Sorgen. Auch das Wachstum in der Eurozone ist noch fragil. Und die ­Stabilität des Finanzsystems muss gesichert sein. Ich behaupte ja auch nicht, dass wir weiter zweistellige jährliche Renditen erwarten können wie 2013. Aber ich glaube, dass Aktien in den nächsten zehn Jahren unter Schwankungen ordentliche Renditen abwerfen werden. Und keine Angst vor historischen Indexhöchstständen! Solche Hochs sind ziemlich uninteressant, solange die Bewertungen in Ordnung sind und die Unternehmen vernünftig agieren.

Jüngst ließ die EZB verlauten, dass die Leitzinsen bis 2016 auf dem ­Rekordtief bleiben dürften. Wann ist wieder mit Zinsen wie vor der Finanzkrise zu rechnen?
Wahrscheinlich lange nicht mehr. Wir erleben eine Zeitenwende in der Geldanlage. Die Staatsschulden in der westlichen Welt steigen stetig, im Schnitt liegen sie bei fast 110 Prozent der Wirtschaftsleistung. 2007 waren es 75 Prozent. Die Staaten müssen alles dafür tun, um sich weiter günstig zu refinanzieren.

Was können Anleger jetzt machen?
Sie müssen unbedingt ihre Risiko­scheu ablegen und langfristig stärker in Aktien sparen. Wer älter ist, muss natürlich die Aktienquote gegenüber Renten senken - aber doch nicht auf null. Auch Bargeld in Maßen zu halten ist wichtig. Aber nicht die Hälfte des Vermögens! Die Angst vor Aktien ist völlig falsch. Deutschland hat fantastische Unternehmen, die Inflation, Deflation, Weltkriege und Enteignung überlebt haben und global hervorragend aufgestellt sind.

Trotzdem rühren die meisten Deutschen Aktien nicht an.
Ich habe keine Ahnung, warum nicht! Unter allen Industriestaaten ist die Aktionärsquote in Deutschland die niedrigste. Die Deutschen sind so stolz auf ihre Industrie, ihre Wertarbeit, ihre Autobauer. Aber Anteile am Industriekapital wollen sie nicht kaufen. Das verstehe ich nicht. Die Deutschen müssen Aktien als reale Wertanlage begreifen.

Viele Anleger haben bei den letzten Crahs Geld verbrannt. Warum sollten sie das wieder riskieren?
Weil Aktien langfristig beherrschbare Risiken bergen. Wer den DAX ein Jahr hält, läuft rein statistisch das Risiko, in 30 Prozent der Fälle eine negative Wertentwicklung zu erleiden. Auf zehn Jahre sind es nur mehr fünf Prozent. Und auf 20 Jahre sind es in der Rückschau null Prozent. Deshalb würde ich selbst ­einer 60-jährigen Anlegerin Aktien empfehlen. Wer in Aktien investiert, muss langfristig denken und darf nicht schnelle Gewinne suchen. Das ist zu gefährlich bei diesen hohen Kursen. Aber seit es den DAX gibt, hat er im Schnitt jährlich um rund sieben Prozent zugelegt - trotz aller Krisen.