Deshalb habe ich dem Staat mein Geld geschenkt
Der renommierte Literaturprofessor Jochen Hörisch will Staatsschulden mit privatem Geld tilgen. Ein Gespräch über Verwunderung, Verantwortung, Ideologien und Irrtümer.
Das Interview führte €uro-Redakteur Mario Müller-Dofel
€uro: Herr Hörisch, Deutschland hat zwei Billionen Euro Staatsschulden ¬– und Sie plädieren allen Ernstes dafür, dass wir Bürger diese gigantische Summe mit privaten Mitteln tilgen. Wie kommen Sie auf so etwas?
Jochen Hörisch: Ich befasse mich seit 30 Jahren mit der Rolle des Geldes in der Literatur und habe dadurch einiges über Ökonomie lernen dürfen. Die auslösende Lektüre war für mich jedoch der Roman „Königliche Hoheit“ von Thomas Mann. Der ist zwar schon 1909 erschienen, aber wegen der Schuldenkrise in den Industrieländern hochaktuell.
Und welchen Gegenwartsbezug hat dieser über 100 Jahre alte Roman?
In dem Roman geht ein deutscher Kleinstaat pleite. Doch dann kommt ein Retter in Gestalt des reichen Geschäftsmanns Samuel Spoelmann, der privates Vermögen in diesen Staat investiert. Letztlich verdienen alle – und eben auch Spoelmann selbst – prächtig daran, weil die Wirtschaft wieder prosperiert.
Aber das Buch ist Fiktion – und Ihr Plädoyer realitätsfern.
Wenn Sie meinen, dass eine Staatschuldentilgung durch die Bürger nur eine spinnerte Idee eines Literaturwissenschaftlers ist, sage ich: Das ist die beste Idee zur friedlichen Lösung der Schuldenkrise, zumal sie schmerzarm ist im Vergleich zu den Alternativen.
Die da wären?
Hohe Inflationsraten zum Beispiel, um die Schulden zu entwerten. Dabei würde allerdings viel Vermögen vernichtet. Oder der Staat senkt seine Ausgaben radikal. Dadurch würde die Wirtschaft geschwächt und viele Menschen verarmen. Dem wiederum würden soziale Verwerfungen folgen. Die Warnungen weitsichtiger Soziologen, die auch die deutsche Demokratie in Gefahr sehen, werden zu recht lauter. Oder es gibt einen radikalen Schuldenschnitt mit einem Kollaps des Finanzsektors.
Können Sie uns Ihr Tilgungsmodell einmal vorrechnen?
Ganz grob: Hierzulande gibt es an die zehn Billionen Euro liquides Vermögen. Da sind Immobilien, Kunstsammlungen oder Autos nicht einbezogen, sondern nur Kontoguthaben, Sichteinlagen, Bundesschatzbriefe und Aktien. Unsere zwei Billionen Euro Staatsschulden entsprechen also rund 20 Prozent des liquiden Privatvermögens. Überwiesen die Bürger zur Tilgung 20 Prozent ihres liquiden Vermögens, wäre der Staat entschuldet. Allein der Bund könnte dann 50 Milliarden Euro an jährlichen Zinszahlungen sparen, dieses Geld in Wirtschaft und Soziales investieren sowie die Steuern senken. Das wäre ein gutes Geschäft für alle.
Einfach 20 Prozent des privaten Vermögens abgeben? Das kann auch wehtun.
Leider wird gemeinhin ignoriert, dass Schulden der öffentlichen Hand immer auch Guthaben in privater Hand sind. Aber um Ihnen die Überwindung zu erleichtern: Man könnte die Staatsschuldentilgung beispielsweise auch über zehn Jahre strecken. Das hieße, wer ein 100.000-Euro-Depot hat, würde monatlich 166 Euro abzahlen. Das wäre für die meisten Menschen hier und in anderen Wohlstandsländern finanziell überhaupt kein Problem.
Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie viel Geld Jochen Hörisch an das Finanzministerium zur Staatsschuldentilgung überwiesen hat und wie die Tilgung funktioniert, falls Sie es ihm nachtun wollen.
Und wie sieht es aus, wenn es um Ihren privaten Geldsäckel geht?
Ich bin stolzer Eigentümer einer bezahlten Doppelhaushälfte in einem netten Städtchen bei Heidelberg, habe aber 200.000 Euro Schulden wegen des Kaufs einer kleinen vermieteten Wohnung. Raus aus der Papiergeld-, rein in die Realwertökonomie, Sie verstehen schon. Allerdings hatte ich Ende 2010 auch ein Depot im Wert von 50.000 Euro. Mit der Initiative „Hurra, wir tilgen“ des Soziologen Alexander Dill habe ich dem Finanzministerium 10.000 Euro davon zur Staatsschuldentilgung geschenkt. Und ich versichere Ihnen: Ich lebe nun kein bisschen schlechter.
Was verdienen Sie als Professor einer öffentlichen Universität?
7000 Euro brutto pro Monat. Damit kann ich mir ein besseres Leben leisten als viele andere Deutsche und kann mir die 10.000-Euro-Tilgung locker leisten.
Sie appellieren vor allem an Gutverdiener?
Nein, ich appelliere an alle Bürger in Deutschland und Europa. Wenn nur die Deutschen diesen Weg gingen, wäre das zu wenig. Aber einer muss vorangehen. Wir haben in den vergangenen 60 Jahren in Frieden und Wohlstand gelebt. Und wer das auch seinen Kindern und Enkeln vergönnt, muss mehr tun als über den Staat zu schimpfen. Übrigens hing die starke Wirtschaftsentwicklung in den 50-er und 60-er Jahren in Deutschland auch sehr mit dem von Konrad Adenauer initiierten Lastenausgleich zusammen. Da haben viele Wohlhabende, die ihr Vermögen halbwegs über den Krieg gerettet haben, erst etwas davon abgegeben, um es dann durch die gute Konjunktur doppelt und dreifach zurück zu bekommen.
Die Bürger haben den Eindruck, dass der Staat schlecht wirtschaftet. Warum ihm freiwillig noch mehr Geld in den Rachen werfen? Wir zahlen doch schon Steuern.
Diese Denkweise finde ich immer wieder verblüffend. Wer ist denn der Staat in einer Demokratie? Letztlich wir, ob es uns passt oder nicht. Trotzdem nehmen viele Menschen den demokratischen Staat geradezu als Feind wahr. „Der greift mir in die Tasche“, „Der will mein Geld, aber dem gebe ich nichts“ oder „Politiker sind Pappnasen“, heißt es oft. Diese Meinung hat sich in den vergangenen 20 Jahren leider stark ausgebreitet.
Welche Sicht halten Sie für richtig?
Wo landet das Geld von Bürgern, die Ihnen folgen und Staatsschulden tilgen?
Der „Hurra, wir tilgen“ - Initiator Alexander Dill hatte große Schwierigkeiten, ein Konto zu bekommen, das streng an eine Staatsschuldentilgung gebunden ist. Als er 2010 bei der Bundesbank anfragte, antworte sie, dass das nicht ginge. Die Leute dort dachten wohl, eine Satirezeitung wollte sie vorführen. Aber nach vielem Hin und Her konnte er ein Konto bei der Bundeskasse in Halle eröffnen. Wie das Geld da hinkommt, steht auf der Website der Initiative unter www.hurrawirtilgen.de.
Dort steht auch, dass zu Ihren 10.000 Euro Tilgungsbeitrag erst rund 8.000 Euro hinzugekommen sind. Warum wird Ihre Idee nur derart marginal unterstützt?
Da spielen spieltheoretische Überlegungen die wichtigste Rolle. Man glaubt nicht an Kooperation. Keiner will sich als einziger Dummkopf fühlen, der etwas tilgt. Wir leben in Zeiten, die von starkem Misstrauen und Egoismus geprägt sind. Dabei ist Vertrauen ein sehr wichtiges symbolisches Kapital, aus dem reales Geld werden kann.
Ärgert Sie die schwache Tilgungsbereitschaft?
Hörisch: Natürlich, auch wenn wir uns nie der Illusion hingegeben haben, zwei Billionen Euro zusammen zu bekommen. Aber ich bleibe optimistisch. Denn wir regen mit der Initiative zum Nachdenken an. Und die Finanz- und Schuldenkrise hat sich inzwischen so weit zugespitzt, dass die Frage nun lautet: Wer rettet den Retter?
Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie die Reaktion der Politik auf die Tilgungsinitiative war und was Literaturprofessor Hörisch von seinen Kollegen aus den Wirtschaftswissenschaften hält.
Gab es Resonanzen aus den Parteien?
Alle Parteien haben sich in bürokratischer Freundlichkeit gemeldet, um mitzuteilen, dass unser Ansatz nicht kompatibel sei mit ihrer Politik. Die SPD könne die eigenen Wähler nicht zur Staatsschuldentilgung auffordern, die seien doch eh schon arm. Die linke Sahra Wagenknecht meinte, man solle das Geld doch von den Reichen nehmen. CDU-Finanzminister Schäuble ließ witzigerweise ausrichten, dass „die Bundesregierung bereits in der Vergangenheit verschiedene Maßnahmen ergriffen hat, um die Staatsverschuldung zu reduzieren“. Und die FDP will lieber Spenden von Hotelbesitzern und anderen.
An Ihrer Universität in Mannheim gibt es renommierte Ökonomen, darunter den Chef der Wirtschaftsweisen, Professor Wolfgang Franz. Wie finden die Ökonomen Ihre Tilgungsinitiative?
Meine persönlichen Beziehungen zu den Kollegen aus den Wirtschaftswissenschaften sind bestens. Aber natürlich schütteln die den Kopf, wohl weil sie glauben, dass da ein Geisteswissenschaftler wieder mal durchgeknallt ist.
Ist das ein Grund für Ärger mit diesen Kollegen?
Nein, das ist ja nicht unbedingt böse gemeint. Gereizt wird die Atmosphäre aber, wenn ich darauf aufmerksam mache, dass den Volkswirten kaum etwas Gescheites einfällt, um die Schuldenkrise zu lösen. Sie haben sich in den vergangenen Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Die Finanzkrise haben fast nur Außenseiter vorhergesehen.
Sehen die Ökonomen das ein?
Der Unibetrieb mag es gar nicht, wenn Außenseiter diagnostisch besser liegen als die Profis.
Woran liegt es Ihrer Ansicht nach, dass Volkswirte oft falsch liegen.
Die meisten vertreten eine Ideologie, auch wenn sie immer behaupten, objektiv und mit Zahlen zu arbeiten. Das Ideologische zeigt sich auch an den geradezu konfessionellen Streitigkeiten innerhalb dieser Wissenschaft.
Bemerken das die Streitenden auch?
Hans Christoph Binswanger, der Doktorvater von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, hat 1998 einen wunderbaren Essay mit dem Titel „Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen“ verfasst. Es gibt gegen unser Modell der privaten Staatsschuldentilgung fast einen kleinen Aufstand von Ökonomen, die behaupten, so dürfe man nicht argumentieren.
Was ist Ihrer Ansicht nach das größte Manko der Ökonomen?
Dass ihre Grundmodelle vom Homo Oeconomicus und von Rational Choice falsch sind, weil sie die Irrationalität des Menschen ignorieren. Und dass sie an die unsichtbare Hand des Marktes glauben wie Fromme an die Hand Gottes, die alles so herrlich regieret. Aber auch das hören sie nicht gern.
Wie kommt ein Literaturwissenschaftler zur Volkswirtschaftslehre?
Das ging schon früh bei mir los. Meine 1983 erschienene Habilitationsarbeit heißt „Gott, Geld, Glück“ – schon damals ein ungewöhnliches Thema. Ich habe mir auch angeschaut, warum in der Literatur Geld- und Wirtschaftsprobleme so eine wichtige Rolle spielen. Das beginnt schon in der Antike, etwa bei Sophokles in der Antigone, später bei Shakespeare, Goethe, Lessing, Zola, Balsac, Dickens, Dostojewski, Mann, Brecht und, und, und. Die Dichter denken nur an das Eine: Ans Geld.
Geben Sie uns ein Beispiel?
Auch Goethe befasste sich mit einer Schuldenkrise: In Faust II geht ein Kaiserreich pleite, Faust und Mephisto werden Finanzminister und lösen die Probleme. Goethe übrigens, unser großer deutscher Poet mit ökonomischem Sachverstand, war in den 1780er Jahren Finanzminister am Weimarer Hof. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Abschaffung der Steuerprivilegien des Adels. Er hat den Reichen tatsächlich begreiflich gemacht, dass höhere Steuern für sie ein gutes Geschäft sind, wenn dadurch letztlich die Wirtschaft prosperiert.
In den vergangenen Wochen haben einige sehr reiche Leute gefordert, dass sie vom Staat höher besteuert werden.
Na da tut sich doch etwas. Goethe würde sich freuen!
Sind Geisteswissenschaftler also die besseren Volkswirte?
So weit würde ich nicht gehen, zumal es erstaunlich ist, wie ökonomieblind die Geistes-, und vor allem die Literaturwissenschaften auch heute noch sind. Ich habe bei meinen Arbeiten trotzdem immer gedacht: Lass Dich nicht einschüchtern, man kann sich einarbeiten in die Volkswirtschaftslehre. Interessant ist, dass der informierte Laie die Figur ist, die Ökonomen am meisten irritiert, weil er die ungewohnten Fragen stellt. Das gilt übrigens auch für Literaturwissenschaftler. Aber ich würde niemals behaupten, dass Leute, die nicht in Literatur promoviert haben, keine Texte interpretieren dürfen. Manchmal sehen die Laien das, was die Experten übersehen.
Haben Sie Respekt vor Wirtschaftsnobelpreisträgern?
Es kommt darauf an. Es gab ja Leute, die haben über die besondere Effizienz und Transparenz der Finanzmärkte geschrieben und dann kam die Finanzkrise – scheinbar aus dem Nichts. Und obwohl diese Leute nachweislich falsch gelegen haben, kriegen sie den Nobelpreis nicht abgenommen.
Sie haben drei erwachsene Kinder, die allesamt Volkswirte sind. Vertragen Sie sich noch mit ihnen?
Bestens. Wir diskutieren aber auch, dadurch bilde ich mich weiter. Die drei hätten übrigens auch sagen können: „Papa, gib uns lieber die 10000 Euro, statt sie an den Schäuble zu überweisen. Dann tust Du mehr für die Wirtschaft.“ Aber nein, sie haben ihrem alten Vater selten so viel Respekt gezollt wie für die Tilgungsinitiative.
Wie wird die Schuldenkrise in der westlichen Welt ausgehen?
Bei allem mir angeborenen Optimismus fürchte ich doch, dass die große Krise erst noch kommt – mit einem Inflationskollaps, einem Bankenkollaps oder Staatsinsolvenzen. Das könnte in diesem Jahrzehnt sogar zu weltpolitischen Verwerfungen führen. Das Eigenartige wäre, dass nach einem solchen Finanzkollaps ja realökonomisch noch alle Ressourcen – Gebäude, Maschinen, Infrastruktur, Arbeitskräfte und so weiter – vorhanden wären. Dann würden die Bürger bereuen, dass sie nicht 20 Prozent ihres Geldes in eine bessere Zukunft investiert haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Vita
Jochen Hörisch wurde am 3. August 1951 in Bad Oldesloe (Schleswig-Holstein) geboren. Von 1970 bis 1976 studierte er Germanistik, Philosophie und Geschichte in Düsseldorf, Paris und Heidelberg. 1982 wurde er Professor an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Seit 1988 ist er Ordinarius für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Uni Mannheim und hat immer wieder Gastprofessuren im Ausland inne, etwa in Frankreich und den USA. Dort dozierte er auch an der Eliteuni-versität Princeton. Zudem ist Hörisch Mitglied der Freien Akademien in Salzburg, Mannheim und Hamburg. Und er engagiert sich für die Initiative „Hurra, wir tilgen“, deren erster Staatsschuldentilger er war.
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Bildquellen: Axel Griesch