Arbeitskräftepool leer: Amazon könnten in zwei Jahren die Arbeiter ausgehen
In den Logistikzentren von Amazon in den USA herrscht eine außergewöhnlich hohe Fluktuation. Ein internes Memo stellt in den Raum, dass bis in zwei Jahren das Arbeitskräfteangebot erschöpft sein könnte.
Werte in diesem Artikel
• Hohe Mitarbeiter-Fluktuation an zentralen Standorten
• Berichte über die Arbeitsbedingungen beim Online-Versandhändler
• Höhere Einstiegslöhne und effizientere Einstellungspraxis könnten Arbeitnehmer-Pool erweitern
Recode, ein US-amerikanischer Technikblog und Tochterunternehmen von Vox, veröffentlichte einen Bericht über ein internes Amazon-Memo, in dem die Rede davon ist, dass Amazon in den USA in zwei Jahren nicht mehr genügend Arbeitskräfte rekrutieren könne.
In der Studie von Mitte 2021 heißt es, dass das verfügbare Arbeitskräfteangebot für einige Logistikzentren erschöpft sein werde, "wenn wir so weitermachen wie bisher". Gemeint ist die außergewöhnliche Personal-Fluktuation, denn 2019 lag die Fluktuationsrate laut dem internen Bericht bei 123 Prozent, und im Jahr darauf stieg sie sogar auf 159 Prozent an. Im Vergleich dazu sind die Fluktuationsraten in der US-Transport und Lagerbranche nach Zahlen des U.S. Bureau of Labor Statistics insgesamt deutlich niedriger, etwa bei 46 resp. 59 Prozent für die Jahre 2019 und 2020.
Fluktuation austauschbarer Mitarbeiter vs. "Bester Arbeitgeber der Welt"
Die Studie zeigt, wie fragil der Erfolg des Online-Giganten ist und wie groß die Herausforderungen sind, die beworbenen Serviceleistungen, wie Prime-Lieferungen, aufrecht zu erhalten. Durch die Omikron-Welle in den USA ist Amazon an manchen Standorten tatsächlich überbesetzt: Aufgrund hoher Krankenstände wurden vermehrt Mitarbeiter eingestellt, um die Logistikketten aufrechtzuerhalten. Mit der Rückkehr der Mitarbeiter seien einige Stellen nun doppelt besetzt. Dies solle aber durch die hohe Fluktuation wieder ausgeglichen werden.
Bislang schien es eher so zu sein, als sei die Fluktuation von höchster Stelle gewünscht, da man befürchtete, Mitarbeiter, die zu lange im Unternehmen verblieben, seien weniger motiviert. Vor allem der Amazon-Gründer und ehemalige CEO Jeff Bezos betrachtete Lagerarbeiter als notwendig, aber austauschbar, wie die New York Times berichtete.
In seinem Brief an die Aktionäre kündigte Bezos nun an, Amazon zum "besten Arbeitgeber der Welt" und zum "sichersten Ort zum Arbeiten" machen zu wollen. Ihm sei klar, dass Amazon eine bessere Vision für den Erfolg seiner Mitarbeiter brauche. Er könne nun, da er nicht mehr CEO sei, das tun, was er als Erfinder am besten könne, neue Ideen und Projekte verwirklichen. Und dazu gehöre auch Amazon als Arbeitgeber. Er betonte aber gleichzeitig an mehr als einer Stelle, dass der Fokus auf die Kunden dadurch nicht verwässert werde.
Im krassen Gegensatz dazu stehen Berichte über die Arbeitsbedingungen beim Online-Versandhändler, in denen es unter anderem um eine totale computergesteuerte Überwachung und hohe Verletzungsraten geht. In einem Artikel der Seattle Times wird etwa über die um 20 Prozent gestiegene Verletzungsrate bei Amazon für das Jahr 2021 berichtet. Als problematisch wird auch der sogenannte "time off task"-Maßstab bewertet, bei dem unproduktive Zeiten eines Mitarbeiters addiert werden und zu kündigungsrelevanten Minusstunden führen können.
31.000 ehemalige Amazon-Mitarbeiter wurden für die interne Studie befragt, von denen ein Großteil die Arbeitsbedingungen als signifikant schlechter als bei der Konkurrenz beurteilt. Es sei auch nicht außergewöhnlich, dass Mitarbeiter wegen einer Anzahl kleinerer Verstöße automatisch durch Computersysteme und ohne Ausnahme gekündigt würden, trotz etwaigem positiven Feedback durch Vorgesetzte. Recode schreibt im Artikel etwa von der "automatischen Axt", die einen Mitarbeiter trifft, wenn er zur Schicht erscheint und die Schlüsselkarte nicht mehr funktioniert, und benennt den Fall eines Lagerarbeiters aus der Bronx, New York. Gemäß Amazon-Richtlinien kann sich ein auf diese Weise gekündigter Mitarbeiter 90 Tage später auf die Stelle bewerben.
Mögliche Stellschrauben zur Lösung des Arbeitskräftemangels
Besonders in den Regionen Phoenix und Inland Emire in Kalifornien könnte das Personal knapp werden. Gerade an für die Logistik zentralen Standorten in den USA ist der Personal-Druck durch die Nähe zu Logistikzentren der Konkurrenten wie FedEx besonders hoch. Hier gibt es wenig Spielraum für die HR-Abteilung die Neueinstellungen betreffend. Bei der Auswahl neuer Standorte könnte das Arbeitskräfte-Potenzial in Standortnähe künftig aber mehr Berücksichtigung finden.
Zur Berechnung des Arbeitskräftepotenzials wurden unter anderem das Einkommensniveau und die Nähe des Wohnorts zu aktuellen oder geplanten Standorten des Versandhändlers herangezogen. Dieser so berechnete Pool reiche aber nicht aus, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Die niedrige Arbeitslosenquote an einigen Standorten in den USA verkleinert den Pool ebenfalls. Interne Faktoren wie die Einstellungspraxis und das verglichen mit den Konkurrenten niedrigere Lohnniveau spielen zudem eine Rolle. Um eine Lagerstelle zu besetzen, benötige Amazon laut Bericht durchschnittlich 6-7 Bewerber. Die Einstellungspraxis sei durch umfangreiche Hintergrundchecks und zeitweise auch Drogentests nicht effizient, heißt es im Amazon-Bericht.
Eine Erhöhung der Einstiegslöhne ist eine weitere Stellschraube, an der Amazon drehen könnte: Dem internen Memo zufolge könnte der Pool an potenziellen Arbeitskräften um 7 Prozent erweitert werden, wenn der Lohn um einen Dollar erhöht würde, bei 1,50 Dollar pro Stunde mehr, könnte der Pool an potenziellen Arbeitnehmern sogar so erweitert werden, dass die Einstellungsmöglichkeiten um drei Jahre verlängert würden.
Redaktion finanzen.net
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