Analyst sieht weiteres Abwärtspotenzial für US-Börsen: "Rezession noch längst nicht eingepreist"
An den Börsen ging es in den vergangenen Wochen rapide bergab. Neben galoppierender Inflation, weltweiten Lieferengpässen und No-COVID-Lockdowns in China gesellen sich zunehmend globale Rezessionsängste zu den mannigfaltigen Belastungsfaktoren. Die Möglichkeit eines Konjunkturrückgangs spiegele sich aber noch lange nicht in den Kursen wider, warnt DataTrek-Analyst Nicholas Colas.
• S&P 500 könnte weitere 26 Prozent fallen
• Colas: Derzeitige Kursstände bilden noch nicht die Rezessionsgefahr ab
• Rezessionen sorgten im Durschnitt für 26 Prozent geringere Unternehmensgewinne
Der S&P 500, der die Wertentwicklung der 500 größten US-Unternehmen nachzeichnet, fiel am vergangenen Donnerstag auf bis zu 3.858,87 Punkte herab. Dies entspricht einem Verlust von 19,91 Prozent im Vergleich zum Rekordhoch vom 4. Januar 2022 bei 4.818,62 Zählern. Meist werden die jüngsten Kursverluste mit der Furcht der Anleger vor einer globalen Rezession begründet, die durch den toxischen Cocktail von Inflation, Leitzinsanhebung und Lieferkettenproblemen verursacht werden könnte. Doch Nicholas Colas, Analyst von "DataTrek", warnt, dass eine potenzielle Rezession in den Aktienkursen noch nicht eingepreist sei. Wie weit sieht er den S&P 500 noch fallen?
Colas: So tief könnte der S&P 500 fallen
Colas sieht noch einen erheblichen Spielraum nach unten für die US-Börsen, wie er gegenüber "MarketWatch" betont. Bei einer korrekten Einpreisung der derzeitigen Rezessionswahrscheinlichkeit, die er auf 50:50 schätzt, werde der S&P 500 auf 3.525 Einheiten sinken - also vom derzeitigen Kursniveau bei 3.923,68 Punkten noch weitere 10,2 Prozent (Stand: Schlusskurs vom 18. Mai 2022).
Es könnte aber noch deutlich schlimmer kommen. Colas führt aus: Sollte es tatsächlich zu einem typischen Konjunkturabschwung kommen, dürfte der S&P bei etwa 3.000 Punkten notieren. Das wäre gleichbedeutend mit einem Crash von 37,4 Prozent gegenüber dem Rekordniveau des breiten US-Index. Vom Zeitpunkt der Studie aus betrachtet, als der S&P 500 bei ungefähr 4.100 Punkten notierte, würden die Einbußen 26 Prozent betragen.
Derzeitige Kurse berücksichtigen noch nicht die Möglichkeit einer Rezession
Bei dem Indexstand um die 4.000 Zähler sei folglich noch keine Rezession eingepreist: "Die jüngste Volatilität zeigt einfach, dass die Anleger glauben, dass sich das Zeitfenster für eine Rückkehr auf den richtigen Weg schließt", sagte er. Aber das Fenster "ist noch nicht geschlossen", hebt Colas hervor, "sonst wäre der S&P bei 3.500 Punkten (50:50 Rezessionswahrscheinlichkeit) oder sogar noch niedriger." Auch wenn der Börsenabschwung für die Anleger also sehr schmerzhaft sei, würde dieser dennoch noch längst nicht die pessimistischeren Zukunftsszenarien widerspiegeln, mahnt der Marktexperte.
Die mathematische Rechnung hinter Colas Kurszielen
Hinter den S&P 500-Kurszielen von 3.525 respektive 3.000 Punkten stecken komplexe mathematische Rechnungen. "DataTrek" legte mithilfe der jüngsten Quartalsberichten den Gewinn je Aktie von Unternehmen, die dem S&P 500 angehören, auf 218 US-Dollar fest. Falls die US-Wirtschaft in die Rezession abgleiten sollte, würde dieser Wert den vorläufigen Rekordwert der Unternehmensgewinne darstellen.
Im Durchschnitt brachen die Unternehmensgewinne in den historischen Rezessionen um 26 Prozent ein, im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 sogar um satte 57 Prozent, fand "DataTrek" heraus. Eine "gewöhnliche" Konjunkturflaute werde infolgedessen die Gewinne je Aktie im S&P 500 auf 161 US-Dollar reduzieren - und somit den Punktestand des Index auf besagte 3.000 Stellen abstürzen lassen.
Eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit eines solchen Gewinnrückgangs um 26 Prozent werde somit bei einem Rücksetzer von 13 Prozent erreicht. So kommt "DataTrek" auf den exakten Wert von 3.525 Punkten, also 13 Prozent tiefer als am Erscheinungstag der Analyse.
Ein Blick in die Börsenhistorie
Colas stützt seine Argumentation mit einem Blick auf die jüngere Börsengeschichte. In den vergangenen drei US-Rezessionen 2002, 2009 und 2020 habe das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) während des Börsentiefpunkts circa 18,5 betragen. Das derzeitige Kursniveau des S&P 500 von etwa 4.000 Punkten wiese bei dem tatsächlichen Eintreffen einer Rezession ein KGV von 24,8 auf. Ein Fall auf 3.000 Zähler würde dagegen ziemlich genau dem historischen Durchschnittswert von 18,5 entsprechen.
Übrigens: Das derzeitige KGV des S&P 500 liegt bei knapp über 18. Dies sei eine angemessene Bewertung - aber eben nur gesetzt den Fall, es kommt zu keiner Rezession. Aktuell könne man eine solche aber eben nicht mehr ausschließen, wie Colas unterstreicht.
Redaktion finanzen.net
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