Trotz allem: Den Falken bei Fed und EZB fallen immer mehr die Federn aus
Auf den hartnäckigen Preisdruck reagiert die EZB wie geplant mit einer weiteren Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte und sendet Erhöhungssignale. Reden ist aber nicht handeln. Im Gegensatz dazu hat es die Fed nicht eilig mit weiteren Zinserhöhungen.
Mit Blick auf allmählich nachgebende Inflationsraten und dunkle Konjunkturwolken werden sich die Finanzmärkte ab Herbst sogar immer mehr auf Zinssenkungsphantasie in den USA einstellen. Ab 2024 folgt die Eurozone.
US-Geldpolitik: Wie viel Beißen folgt noch nach dem Bellen?
Die US-Notenbank betreibt einen schwierigen Balanceakt zwischen konsequenter Inflationsbekämpfung und dem Erreichen einer sanften Konjunkturlandung. Erstmal seit März 2022 lässt die Fed ihren Leitzins unverändert bei aktuell 5,25 Prozent. Weitere Zinserhöhungen schließt sie jedoch nicht kategorisch aus. Angesichts einer immer noch hohen Kerninflation - 5,3 nach 5,5 Prozent - kann die Fed aus Glaubwürdigkeitsgründen nicht plötzlich ihre harte Rhetorik ablegen. Daher handelt es sich laut Fed-Chef Powell nicht um eine Pause oder das Ende der Zinserhöhungen, sondern um eine Tempoverzögerung. So plant die Fed laut ihren Leitzinsprojektionen ("Dot Plot") nun noch zwei weitere Zinserhöhungen für dieses Jahr ein. Hintergrund sind die kurzfristig angehobenen Wachstumsprojektionen (2023: 1,0 statt 0,4 Prozent; 2024: 1,1 statt 1,2 Prozent; 2025: 1,8 statt 1,9 Prozent). Allerdings fallen die anschließenden Zinssenkungsplanungen ebenfalls üppiger aus: Vier nach zuvor drei (2024) bzw. fünf (2025) Senkungen um jeweils 25 Basispunkte.
Insgesamt geht es der Fed um Zeitgewinn. Denn wenn die Fed mit zwei weiteren Anhebungen in diesem Jahr rechnet, wieso zieht sie dann das "Unvermeidliche" nicht einfach zügig durch? Die Antwort: Die Fed weiß, dass die Zeit für eine laxere Zinspolitik spielt. Die Aussage, geldpolitische Entscheidungen jeweils von Sitzung zu Sitzung auf Grundlage vorliegender Daten zu treffen, gibt ihr Beinfreiheit.
Denn die Preissteigerungsraten werden weiter nachgeben. So lässt der Kostendruck bei Dienstleistern gemäß dem vom Institute of Supply Management (ISM) ermittelten Subindex für Beschaffungspreise rapide nach. Die Inflationsprojektionen der Fed (2023: 3,2 statt 3,3 Prozent; 2024: 2,5 Prozent; 2025: 2,1 Prozent) bestätigen den intakten Desinflationstrend, auch wenn sie ihr Inflationsziel erst 2025 knapp erreicht.
Überhaupt, bei aller konjunkturellen Zuversicht der Fed darf sie die Rezessionsrisiken nicht außer Acht lassen. Eine inverse Zinsstrukturkurve signalisiert Wirtschaftsabschwung, da sich Banken aufgrund schwacher Zinsmargen bei gleichzeitigem Finanz-Stress bei Regionalbanken mit der Kreditvergabe zurückhalten. Ein stark rückläufiger Index der US-Frühindikatoren untermauert das schwache Konjunkturbild.
Die Fed wird die Zinsschraube nicht überdrehen, zumal der reale Leitzins bereits positiv ist.
Im Gegensatz zur US-Notenbank erwarten die Finanzmärkte daher nur noch eine weitere Zinsanhebung im Juli. Schließlich kann die Fed kein Interesse an einer "Weder Fisch noch Fleisch"-Zinspolitik haben, die zu weiterer Verunsicherung im ohnehin unter Stress stehenden Finanzsystem führt. Wie auch immer, historisch folgte auf die letzte Zinserhöhung mit einem Abstand von maximal sechs Monaten die erste -senkung, die an den Terminmärkten für Januar 2024 eingepreist wird.
Die EZB ist im Sommer mit Zinserhöhungen durch
Die EZB hebt ihre Leitzinsen erwartungsgemäß um 0,25 Prozentpunkte auf nun 4 Prozent an. Und da sie vorgibt, dass die Inflation "zu lange zu hoch" bleiben wird, behält sie ihre aggressive Zinsrhetorik bei. Ihre verbale Falkenhaftigkeit untermauert die EZB mit einer leichten Anhebung der Inflationsprognosen (2023: 5,4 statt 5,3 Prozent; 2024: 3,0 statt 2,9 Prozent; 2025 2,2 statt 2,1 Prozent). Immerhin nehmen diese im Zeitablauf ab. Ohnehin konstatiert Christine Lagarde, dass die für EZB-Verhältnisse rasante Zinswende ihre Wirkung auf die Inflation weiter entfalten wird.
Auch wenn laut EZB eine weitere Zinserhöhung im Juli "sehr wahrscheinlich" ist, will sie ähnlich wie die Fed zukünftig von Sitzung zu Sitzung über die weitere Zinspolitik entscheiden. Dabei geht es ihr um die "Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Entwicklung der zugrundeliegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission". Wenn das mal keine wohlfeilen Worte sind, sich Hintertürchen für weniger falkenhafte Geldpolitik offenzuhalten.
In der Tat stellt sich bei der Inflationsdynamik allmählich Besserung ein. So ist der aktuelle Rückgang der Produzentenpreise rasant. Ermutigend ist auch der fortgesetzte Abwärtstrend der Verbraucherpreise, der nun selbst bei der Kerninflation anläuft. Warum also bei Zinserhöhungen übertreiben, wenn es doch auch so in die gewünschte Richtung läuft.
Bei Betrachtung der leicht gesenkten Wachstumsprojektionen der EZB verlieren die Argumente für falkenhafte Zinsaktionen weiter an Kraft (2023: 0,9 statt 1,0 Prozent; 2024: 1,5 statt 1,6 Prozent; 2025: 1,6 Prozent). Die EZB ist sich bewusst, dass die Zinserhöhungen über stark gestiegene Finanzierungsbedingungen Konjunktur bremsend durchschlagen. Diese Dämpfung sorgt für weitere Inflationseinbremsungen.
Bereits jetzt hat sich ein industrieller Schrumpfungskurs eingestellt. Der Einbruch der Auftragseingänge in der deutschen Industrie im April - mit minus 9,9 Prozent zum Vorjahr nach zuvor -11,2 Prozent im März - ist ein deutliches Alarmsignal. Der Moll-Stimmung kann sich auch der Dienstleistungssektor nicht mehr entziehen. De facto befindet sich die Eurozone in einer technischen Rezession.
All das spricht für ein Zinserhöhungsende der EZB im Sommer. Allenfalls ist zu erwarten, dass sie den Leitzins im Juli final um 0,25 Prozentpunkte anhebt. Er wird dann bei maximal 4,25 Prozent liegen.
Doch selbst dann wird die EZB den Vorsprung der Inflation immer noch nicht einholen. Im Vergleich zur früheren Bundesbank-Politik hat bei der EZB die wirtschaftliche Stabilität der Eurozone und damit die Verhinderung einer Eurosklerose Vorrang vor Preisstabilität.
Marktlage - Den Bären fehlt es an Kraft
Die nachlassende Zinsangst schlägt sich in einer geringeren Schwankungsbreite an den US-Zinsmärkten nieder und mindert so auch das Ansteckungspotenzial für Aktien.
Trotz aller Unkenrufe ist der S&P 500 Index in den Bullenmarkt eingetreten. Bislang fungierten Tech-Werte auch aufgrund ihrer hohen Indexgewichtung als Alleinunterhalter. Doch allmählich stimmen auch Titel aus den Sektoren zyklischer Konsum, Industrie und Grundstoffe in den Positivismus mit ein. Die gute Aktienstimmung wird breiter.
Fundamentaler Rückenwind kommt dabei von den Gewinnerwartungen, die weltweit ihre Talsohle durchschritten haben und für die nächsten 12 Monate in den USA, der Eurozone und Deutschland wieder aufwärtsgerichtet sind.
Das liegt auch an der erwarteten weltkonjunkturellen Erholung 2024. Denn die vom Finanzdatenanbieter Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate senden vor allem für die USA und Japan Stabilisierungszeichen. In China ist die Erholung nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Die gezielten fiskal- sowie geldpolitischen Impulse werden ihre Wirkung nach Abebben der aktuellen Corona-Welle voll entfalten.
Vor diesem Hintergrund sollten Anleger Konjunkturzykliker im Auge behalten, die bei sich abzeichnenden Aufschwüngen immer gut abschneiden. Auch Konjunkturtitel aus der zweiten Reihe sollten dabei nicht zu kurz kommen, die über größere Wachstumshebel verfügen und in puncto Bewertung noch günstig zu haben sind. In den USA bieten sie eine Alternative, sollte sich die Begeisterung um das Thema Künstliche Intelligenz zwischenzeitlich beruhigen.
Sentiment und Charttechnik DAX - Konsolidierungen sind kein Beinbruch, sondern gesund
Aus Sentimentsicht signalisiert der Fear & Greed Index von CNN Business extreme Gier. Immer mehr Anleger leiden unter FOMO ("fear of missing out") und geben aus Angst, die Rallye zu verpassen, ihre defensive Haltung auf. Dadurch steigt der Überdruck im Aktien-Kessel.
Das bestätigt in den USA der höchste Anteil an Optimisten gegenüber Pessimisten seit Ende 2021. Als Kontraindikator mahnt er zur Vorsicht vor Gegenbewegungen, die dann auch deutschen Aktien zusetzen. Mangels markanter Risiken werden diese aber nicht übertrieben ausfallen. Konsolidierungen sollten zu Nachkäufen genutzt werden.
Charttechnisch liegen im DAX Unterstützungen bei 16.282, 16.280 und 16.261 Punkten. Darunter liegen weitere Haltelinien bei 16.245, 16.225, 16.200 und 16.160. Um die Aufwärtsbewegung fortzusetzen, müssen zunächst die Widerstände bei 16.332 und 16.450 überschritten werden. Darüber liegen weitere Barrieren bei 16.534 und 16.782 Punkten.
Der Autor dieses Artikels ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG.
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Nach Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums begann Robert Halver seinen beruflichen Werdegang zunächst als Wertpapieranalyst bei der Sparkasse Essen. Anschließend arbeitete er als Analyst und Aktienstratege bei der Privatbank Delbrück & Co in Frankfurt.
2001 wechselte Robert Halver zur Schweizer Privatbank Vontobel. Sein Aufgabenschwerpunkt war die Formulierung der Anlagestrategie der Vontobel Gruppe in Deutschland.
Seit 2008 leitet Herr Halver die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG in Frankfurt. In dieser Funktion ist er auch für die Außendarstellung der Baader Bank tätig.
Robert Halver ist durch regelmäßige Medienauftritte, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen und als Kolumnist präsent.