Sommerflaute statt Sommermärchen?
Gegenwärtig sieht es nicht nach einem Sommermärchen an den europäischen Aktienmärkten aus. Immerhin, eine sich noch nur durchwurschtelnde Weltkonjunktur beruhigt zumindest die Inflation. Und obwohl die Fed noch rechts blinkt, macht sie sich bereit, zinspolitisch bald links abzubiegen. Der Herbst hat auch noch schöne Tage.
Nach jahresanfänglich negativen Inflations-Überraschungen zeigen sich mittlerweile gemäß Citigroup Inflation Surprise Index - er misst die Abweichung der tatsächlichen Inflation von den Prognosen der Analysten - positive "Unterraschungen", weltweit stärkere Preisnachlässe.
Die Fed hat immer weniger Lust auf Inflationsbekämpfung
In Amerika ist die offizielle Inflation trotz jüngstem Rückgang auf 3,0 nach zuvor 3,3 Prozent zwar noch immer hoch. Dennoch fällt sie zum dritten Mal in Folge und ist damit auf dem richtigen Weg.
In der "Inflations-Nahrungskette" setzt sich die Deflation bei Waren fort. Die schwankungsanfälligen Preiszuwächse bei Energie fallen zuletzt auch sehr moderat aus. Nahrungsmittel haben sich bei ihrem unverdächtigen Preistrend vor Corona eingependelt. "Enfant terrible" sind die Preissteigerungen bei Dienstleistungen, die einen insgesamt stärkeren Inflationsrückgang verhindern.
Hilfreich beim zukünftigen Inflations-Dumping ist die Normalisierung auf dem US-Arbeitsmarkt. Tatsächlich signalisiert der dritte Anstieg der US-Arbeitslosenquote in Folge auf aktuell 4,1 nach zuvor 4,0 Prozent, dass sich der Jobmarkt allmählich abkühlt. Amerikanische Haushalte schätzen laut Umfrage von Conference Board die Verfügbarkeit von Jobs so knapp ein wie zuletzt 2018, Tendenz weiter abnehmend.
Die Kündigungsquote als Indikator, wie oft Beschäftigte ihren Job auf der Jagd nach besseren Vergütungen wechseln, hat sich auf das Niveau vor Corona zurückgebildet. Die Happy Hour auf dem Jobmarkt ist vorbei und bremst ebenso das Lohnwachstum.
Nachgebende Lohnsteigerungen wiederum dämpfen die Zweitrundeneffekte über eine Lohn-Preis-Spirale. Übrigens sind Löhne Hauptbestandteil der Inflation im Dienstleistungssektor, die sich damit perspektivisch abschwächt und zur Verringerung der Kerninflation beiträgt.
Keine US-Zinssenkung im Juli, aber "Nachtigall, ick hör dir trapsen"
Auf der Fed-Sitzung am 31. Juli ist zwar nicht mit einer Zinssenkung zu rechnen. Da die Äußerungen der Direktoren hierzu eindeutig waren, könnte eine unerwartete Zinsentspannung als Eingeständnis gewertet werden, dass die US-Notenbank die Konjunktur fälschlicherweise als zu robust eingeschätzt hat.
Doch hat Fed-Chef Powell im Rahmen seiner halbjährlichen Anhörungen vor dem amerikanischen Kongress die Finanzmärkte bereits behutsam auf eine erste Senkung im Herbst vorbereitet. Konkret weicht die Fed ihre bis zuletzt deutlich falkenhafte Rhetorik der Inflationsbekämpfung auf, während sie der abschwächenden Konjunktur mehr Bedeutung beimisst. Bemerkenswert für den Notenbanker Powell, der jedes Wort auf die Goldwaage legt, ist seine Betonung des dualen Mandats der US-Notenbank, die nicht nur der Preisstabilität, sondern auch der Vollbeschäftigung verpflichtet ist. So könne eine zu späte oder zu geringe Zinsentspannung die Wirtschaftstätigkeit und die Beschäftigung übermäßig schwächen.
Und so nimmt eine erste Senkung des US-Leitzinses um 0,25 Prozentpunkte im September immer mehr Gestalt an.
Von dieser Zinsentspannung profitieren dann auch (konjunkturabhängige) US-Aktien aus der zweiten und dritten Reihe. Sie sind finanzierungsabhängiger und reagieren daher deutlich positiver auf Zinssenkungen als die großkapitalisierten Blue Chips aus der ersten Reihe.
Marktlage - Market's out for summer?
In Frankreich ist nach einer vermutlich langen Zeit der Regierungsbildung kein radikaler politischer Kurswechsel mit großem Niederschlag auf die europäischen Finanzmärkte zu erwarten. Allerdings wird der Preis für Ruhe im EU-Karton mehr Staatsverschuldung sein. Da Frankreich systemrelevant für die Handlungsfähigkeit von Eurozone und EU ist, hat Paris nur müde Ermahnungen seitens der EU-Kommission zu erwarten. Ohnehin wird die EZB im Ernstfall deutliche Risikoaufschläge von französischen zu deutschen Staatsanleihen verhindern. Die Zinsmärkte wissen: Don't fight the Fed, but don't fight the ECB either.
Die vom Analyse-Institut Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate trüben sich über alle Weltregionen hinweg ein und verpassen derzeit konjunkturlastigen Aktien einen Dämpfer. Hiervon ist vor allem Deutschland als industrielles Herz Europas betroffen.
Auch der globale Economic Surprise Index der Citigroup, der die Abweichung tatsächlicher Wirtschaftsdaten von den zuvor getroffenen Analystenschätzungen misst, "unterrascht" zurzeit und verzögert die fundamentale Dynamik an den Aktienmärkten. Damit hält die Durststrecke von konjunktursensitiven deutschen Aktien aus der zweiten Reihe vorerst noch an.
Weiter ernüchternd kommt jetzt die Saure Gurken-Zeit bis etwa August/ September hinzu. Sie könnte nicht nur die Kaufbegeisterung der Anleger bremsen, sondern auch zu Gewinnmitnahmen einladen, um die bislang erzielte Performance zu sichern. Ohnehin wird von Anlegern kritisch beäugt, dass die diesjährige Aktienhausse einseitig nur auf die bekannten dicken Fische vor allem im High-Tech-Sektor zurückgeht, die mittlerweile aber so teuer bewertet sind wie zuletzt 2002.
Für massive Rückschläge spricht aber wenig. Denn eine zunächst noch wenig rund laufende Weltkonjunktur bremst auch den Inflationsdruck. Entsprechend werden die Notenbanken zum Jahresende auf Zinssenkungen setzen, die dann mit Verzögerung positiv auf die Konjunktur 2025 wirken und von den Aktienmärkten wiederum frühzeitig bezahlt werden. Weltweit imposante staatliche Investitionen sorgen ohnehin für wirtschaftliche Grundstabilität.
Anleger sollten sich also im Sommer nicht von Aktien per se verabschieden, sondern allmählich groß in klein umtauschen. Tatsächlich schneiden Aktien aus der zweiten Reihe in den frühen Phasen eines Aufschwungs besser ab. Denn die Kleinen verfügen über höhere Wachstumshebel, was sie ebenso aufgrund ihrer günstigen Bewertung attraktiv macht. Dagegen werden in konjunkturunsicheren Zeiten die diversifiziert aufgestellten großen Titel favorisiert.
Die seit 2014 insolvente Skandal-Börse für Kryptoanlagen Mt. Gox hat nach 10 Jahren Wartezeit gemäß Sanierungsplan mit der schrittweisen Rückzahlung von Teilen ihrer Bitcoin-Schulden an ehemalige Kunden begonnen. Einigen Anlegern erleben das Happy End, dass sich ihr Krypto-Vermögen seit der Mt. Gox-Insolvenz - damals stand der Bitcoin bei 550 US-Dollar - bis heute um mehr als 10.000 Prozent vermehrt hat. Es kommen nur rund 140.000 Bitcoins und damit lediglich 0,7 Prozent der insgesamt 19,7 Mio. im Umlauf befindlichen Bitcoins auf den Markt. Diesbezüglich droht dem Bitcoin kein nachhaltiger Schaden. Allerdings zeigt sich einmal mehr, dass Krypto-Investments spekulativ und schwankungsintensiv sind.
Sentiment und Charttechnik DAX - Volatil seitwärts
Aus Sentimentsicht kann sich die gegenwärtige Verschnaufpause noch hinziehen. Dass das Verhältnis von Put- zu Call-Optionen am Aktienmarkt der Eurozone zuletzt abgenommen hat, signalisiert eine gewisse Sorglosigkeit. Kurze ruckartige Kursrücksetzer sind nicht auszuschließen, bieten aber, da sie nicht von längerfristiger Natur sind, günstige Einstiegsgelegenheiten.
Setzt der DAX seine Aufwärtsbewegung fort, trifft er bei 18.567, 18.650, 18.870 sowie 18.893 Punkten auf Widerstände. Bei einer Korrektur liegen erste Unterstützungen bei 18.350 und 18.214. Darunter befinden sich weitere Haltelinien bei 18.030 und 17.950 Punkten.
Der Autor dieses Artikels ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG.
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Nach Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums begann Robert Halver seinen beruflichen Werdegang zunächst als Wertpapieranalyst bei der Sparkasse Essen. Anschließend arbeitete er als Analyst und Aktienstratege bei der Privatbank Delbrück & Co in Frankfurt.
2001 wechselte Robert Halver zur Schweizer Privatbank Vontobel. Sein Aufgabenschwerpunkt war die Formulierung der Anlagestrategie der Vontobel Gruppe in Deutschland.
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