Lichtblicke am dunklen Himmel von Inflationsdruck, Zinsangst und Konjunkturdelle
Auf die Risikofaktoren Preise, Zinswende und Wirtschaftseintrübung haben die Aktienbörsen mit deutlichen Korrekturen reagiert.
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Aber welche Gefahren gehen von ihnen tatsächlich aus? Und kommt das Stagflationsgespenst, das zurzeit für Dramatik an den Finanzmärkten sorgt, wirklich wieder wie in den 1970er Jahren zum Vorschein?
Inflationsdruck ohne Ende
Angesichts steigender Inflationsraten - zuletzt 5,4 Prozent in den USA und 4,3 in Deutschland - hinterfragen immer mehr Anleger das Narrativ einer nur vorübergehenden Preisbeschleunigung.
Zunächst halten sich die Lieferengpässe hartnäckig wie Frachtratenindices anzeigen.
Vor allem sorgen aber die Energierohstoffe für Preisexplosionen. Am Ölmarkt zeigt sich Double Trouble: Eine starke Nachfrage bei gleichzeitig konsequenter Angebotsverknappung der Opec+ (Opec und z.B. Russland). Dreistellige Öl-Prognosen machen bereits die Runde. Das treibt auch die Preise von Kohle und Erdgas, die Alternativen bei der Energieversorgung sind, insbesondere im Hinblick auf den nahenden Winter.
Wiederholt sich Geschichte: Ölpreisschock und Stagflation wie in den 70ern?
Vor diesem Hintergrund mehren sich Bedenken, dass Energieverknappung und galoppierende Inflation die Erholung der Weltkonjunktur beenden könnten. Von Stagflation ist die Rede. Als damals die Opec den Ölhahn zudrehte, ließen explodierende Energiepreise - erster und zweiter Ölpreisschock - die Weltwirtschaft kollabieren.
Doch wie wahrscheinlich ist dieses Teufelsszenario? Tatsächlich präsentieren sich die weltkonjunkturellen Perspektiven - siehe u.a. US-Infrastrukturprogramme - trotz allem weiterhin freundlich. Und so rechnet der Internationale Währungsfonds für dieses und nächstes Jahr trotzt steigender Inflationserwartungen nahezu unverändert mit Wachstumsraten von 5,9 bzw. 4,9 Prozent. Zwar haben die Wirtschaftsforscher die Prognosen für das deutsche Wirtschaftswachstum 2021 von 3,7 auf 2,4 Prozent gestutzt. Doch wird ausgleichend das Jahr 2022 besser eingeschätzt. Stagflation kann man das nicht nennen.
Da die augenblickliche Konjunkturdelle technisch bedingt ist, auf Knappheit von Vorprodukten und weltweit angeschlagenen Lieferketten beruht, stellt sich die Frage der zukünftigen Versorgungssicherheit. Bis Jahresende bleiben die Ölpreise wegen Förderkürzungen der Opec+ und Produktionsausfällen u.a. in den USA sowie des bevorstehenden Winters zwar gut unterfüttert. Doch wird die von der Opec+ ab 2022 geplante schrittweise Anhebung der Fördermengen schließlich zu einer Preisstabilisierung führen. Die Opec+ hat kein Interesse daran, den Ast abzusägen auf dem sie sitzt, indem sie den globalen Konjunkturaufschwung und damit die Ölnachfrage abwürgt. Auch fürchtet man aufgrund der Margenverbesserung die Wiedergeburt der Fracking-Alternative in Amerika. Sicher, die Fracking-Industrie ist während Corona reihenweise in die Insolvenz gegangen und wegen des Klimaschutzgedankens ist diese Fördermethode nicht unbedingt opportun. Doch zeigen sich die USA in Krisenzeiten immer sehr pragmatisch. Unabhängig davon dürften die Produktionsausfälle in den USA nach Hurrikan Ida in absehbarer Zeit aufgeholt werden und zu einer weiteren Beruhigung des Ölpreises beitragen.
Zwischenzeitlich profitieren Energiekonzerne von erholten Preisen, zumal sie mittlerweile deutlich kosteneffizienter aufgestellt sind. Das spricht auch für erhöhte Dividendenzahlungen. Zwar werden sich aus heutiger Sicht die Ölpreise wieder beruhigen. Doch sind die Öl-Riesen bestrebt, ihre befleckte Umwelt-Weste mit Investitionen in erneuerbare Energien weiß zu waschen. Rund 20 Prozent der Investitionsbudgets verwenden europäische Ölunternehmen für die Reduktion ihres CO2-Abdrucks. Nicht zuletzt wollen sie nicht auf die Renditen des Megathemas Klimaschutz verzichten. Darüber hinaus kommt den nach wie vor günstig bewerteten Energiekonzerne in einem Umfeld vermeintlicher Zinsangst ihr klassisches Value-Kriterium zugute.
Geldpolitische Überreaktionen bleiben aus
Je höher die Inflation aktuell ausfällt, desto geringer ist sie im nächsten Jahr, wenn sich Liefer- und Rohstoffengpässe wie prognostiziert, entspannen. Von diesem vorübergehenden Inflationsdruck geht auch die US-Notenbank aus, selbst wenn sich der Inflationsdruck wie Kaugummi bis in das Frühjahr 2022 hinzieht. Bei ihrem Inflations-Szenario der Marke "Ende gut, alles gut" sieht sie offensichtlich die Gefahr einer nachhaltigen und umfassenden Preisbeschleunigung durch Weitergabe der höheren Produktionskosten an die Verbraucher als weniger gefährlich an.
Zwar will die Fed über die Drosselung ihrer Anleihenkäufe ("Tapering") stabilitätsmoralische Handlungsfähigkeit demonstrieren. Zur Begegnung aufkommender Zinsängste will sie ihre Liquiditätszufuhr aber nur in Trippelschritten drosseln. Konkret plant sie laut Protokoll der vergangenen Sitzung (sog. Fed Minutes) spätestens ab Mitte Dezember eine monatliche Verringerung ihrer Anleihenkäufe um 15 Mrd., verteilt auf 10 Mrd. US-Staats- und 5 Mrd. Immobilienanleihen.
Damit würde die Liquiditätsausstattung der Fed bis Sommer 2022 neue Höhepunkte erreichen. Von einem Netto-Abzug ist ohnehin keine Rede. Mit dieser Vorgehensweise ist nicht zu erwarten, dass die Renditen die Inflation jemals einholen werden. Auch zukünftige Leitzinserhöhungen werden kein positives Realzinsniveau herbeiführen. Überhaupt, bei zukünftigen Krisen wird die Fed nicht zögern, ihre Üppigkeit wieder aufleben zu lassen. All das widerspricht einer wirklich restriktiven Geldpolitik.
Und die EZB? Im Gegenzug für die planmäßige Beendigung ihres Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) im März 2022 gibt es bereits Planungen, ihre konventionellen Anleihenkäufe (PSPP) zu erhöhen.
Insgesamt bleibt die globale Liquiditätshausse als Brot-und-Butter-Geschäft für die Aktienmärkte trotz Tapering intakt.
Marktlage - Wieviel goldener Herbst ist noch möglich?
Nach dem reinigenden Gewitter der letzten Korrektur scheinen die Aktienmärkte allmählich wieder ein neues Gleichgewicht zu finden.
Zunächst signalisieren die Ruhe an den Staatsanleihemärkten, stabile High-Tech-Werte und ein wieder an Kraft gewinnender Goldpreis eine merkliche Entspannung der Zinsängste. Der Anlagenotstand bleibt ein Megathema für Aktien.
In der Causa Evergrande drohen keine bedeutenden Kollateralschäden. Die People’s Bank of China befindet sich längst im Rettungsmodus westlicher Notenbanken. Peking kann kein Interesse an einer schweren Finanzkrise haben, die wirtschaftliche Schäden und soziale Schieflagen erzeugt sowie das Land der Mitte im geostrategischen Wettstreit mit Amerika zurückwirft.
Die zum fünften Mal in Folge heruntergeschraubten ZEW Konjunkturerwartungen irritieren nicht. Aktuell stehen sie stark unter dem Eindruck bestehender Lieferengpässe. Diese Einschätzung bestätigen auch die ifo Geschäftserwartungen. Doch ist ab Frühjahr, wenn nach heutiger Einschätzung die "technischen" Reibungsverluste nachlassen, mit einer wirtschaftlichen Beschleunigung zu rechnen, was auch die Frühindikatoren aufhellen lässt. Immerhin sind die Auftragsbücher der deutschen Industrie gut gefüllt.
Optimistisch stimmt auch, dass sich der amerikanische Economic Surprise Index schrittweise in das Überraschungsterrain zurückarbeitet. Die fundamental bislang enttäuschten US-Aktienmärkte erhalten wieder mehr Rückenwind. Da sich gleichzeitig China zumindest stabilisiert, dürfte im Zeitablauf auch Europa Boden finden.
In dieses Bild passen ebenso die Quartalsberichte der US-Banken für das III. Quartal. Angesichts sinkender Rückstellungen für notleidende Kredite gehen sie von einem aufgehellten Wirtschaftsbild aus.
Die kurzfristige Erhöhung des US-Schuldenlimits bis Dezember ist zwar nicht die klare Lösung, die sich die Finanzmärkte gewünscht haben. Allerdings unterstreichen Demokraten und Republikaner damit deutlich ihre Bereitschaft, das Land nicht an eine Fiskalklippe mit all ihren Risiken für Konjunktur und Aktienmärkte zu führen.
Sentiment und Charttechnik DAX - Keine Herbstdepression
Stimmungsseitig haben sich die Börsen stabilisiert. Der Fear & Greed Index von CNN Money hat sich im Bereich "Angst" festgesetzt und signalisiert damit als Kontraindikator Beruhigungspotenzial.
Zwar dürften anhaltende Negativschlagzeilen und damit erhöhte Kursschwankungen die Nerven der Aktienanleger zunächst weiter strapazieren. Verstärkt wird die aktuelle Unsicherheit auch durch Hedgefonds, die Auszahlungsforderungen ihrer Investoren - die teilweise nur einmal jährlich und zwar bis Ende Oktober möglich sind - durch Aktienverkäufe bis Jahresende nachkommen müssen.
Größere Rücksetzer sollten Anleger für eine selektive Aufstockung ihrer Aktienpositionen bei High-Tech, Klimaschutz, aber auch mit Blick auf die Konjunkturbelebung 2022 bei zyklischen Titeln nutzen. Ihre Geschäftsmodelle sind intakt.
Aus charttechnischer Sicht verläuft im DAX auf dem Weg nach oben der erste Widerstand bei aktuell 15.527 Punkten. Wird dieser überschritten, treten die Marke bei 15.704, 15.792 und schließlich 15.827 in den Vordergrund. Tritt der DAX allerdings wieder den Weg nach unten an, verlaufen erste wichtige Unterstützungen bei 15.303 und 15.233. Werden diese unterschritten, verläuft die nächste Haltelinie bei 14.980 Punkten.
Der Autor dieses Artikels ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG.
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Nach Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums begann Robert Halver seinen beruflichen Werdegang zunächst als Wertpapieranalyst bei der Sparkasse Essen. Anschließend arbeitete er als Analyst und Aktienstratege bei der Privatbank Delbrück & Co in Frankfurt.
2001 wechselte Robert Halver zur Schweizer Privatbank Vontobel. Sein Aufgabenschwerpunkt war die Formulierung der Anlagestrategie der Vontobel Gruppe in Deutschland.
Seit 2008 leitet Herr Halver die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG in Frankfurt. In dieser Funktion ist er auch für die Außendarstellung der Baader Bank tätig.
Robert Halver ist durch regelmäßige Medienauftritte, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen und als Kolumnist präsent.