Commerzbank: EZB erfüllt Forderungen des BVerfG nicht
Die Commerzbank erwartet nicht, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im Streit um die Verhältnismäßigkeit des Staatsanleihekaufprogramms PSPP auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zugehen wird.
"Das wäre eine grundlegende Wende in ihrer Geldpolitik. Verhältnismäßigkeit im Sinne des BVerfG ist das Gegenteil von Draghis 'Whatever it takes'", schreibt Chefvolkswirt Jörg Krämer in einem Kommentar.
Bezogen auf die Anleihekäufe bedeutete Verhältnismäßigkeit nämlich, dass das Anstreben des Inflationsziels von knapp 2 Prozent alleine die EZB-Anleihenkäufe nicht rechtfertigen könne. "Vielmehr müssen darüber hinaus die Nebenwirkungen der Käufe betrachtet werden, also etwa die Belastung der Sparer, das Subventionieren eigentlich nicht-überlebensfähiger Unternehmen, das Risiko von Immobilienblasen und so weiter", argumentiert Krämer. Nur wenn sowohl die Wirkungen auf die Inflation als auch die Nebenwirkungen jeweils benannt, gewichtet und gegeneinander abgewogen würden, gelte die Verhältnismäßigkeit als geprüft.
Tatsächlich wären die Entscheidungen der EZB nach Ansicht von Krämer wohl anders ausgefallen, wenn sie die Verhältnismäßigkeit auf diese Weise geprüft hätte. "So war es nicht verhältnismäßig, dass Mario Draghi im September 2019 ohne wirtschaftliche Not und trotz sichtbarer Nebenwirkungen die Wiederaufnahme der Anleihenkäufe gegen massiven Widerstand durchboxte", urteilt Krämer.
Ein weiteres Argument gegen ein Einlenken der EZB sei, dass Agenturberichten zufolge eine Mehrheit der EZB-Ratsmitglieder die Unabhängigkeit ihrer Institution gefährdet sehe, wenn sie der Aufforderung des BVerfG nachkäme. "Tatsächlich könnte das von den Verfassungsgerichten anderer Länder als Einladung missverstanden werden, sich ebenfalls mit Forderungen an die EZB zu wenden", gibt Krämer zu bedenken.
Gegen ein Eingehen auf die BVerfG-Forderung spricht aus seiner Sicht auch, dass die EZB als europäische Institution nicht der Rechtssprechung des BVerfG, sondern der des EuGH unterliegt. Die EZB hatte am Dienstagabend in einer Erklärung darauf hingewiesen, dass ihre Anleihenkäufe durch ein EuGH-Urteil von Dezember 2018 gedeckt seien. "Alles in allem glauben wir nicht, dass die EZB die Forderungen des BVerfG erfüllen wird", fasst der Commerzbank-Chefvolkswirt zusammen.
Gleichwohl hält Krämer es für denkbar, dass sich die Bundesbank letzten Endes weiter an den Staatsanleihekäufen beteiligen wird. So könnte die EZB unter dem Zureden Jens Weidmanns in einen geldpolitischen Beschluss eine Passage integrieren, in der die Verhältnismäßigkeit des PSPP festgestellt und auf eine unterdessen fertiggestellte Studie verwiesen wird.
Damit würde die EZB indirekt die Forderung der Karlsruher Verfassungsrichter erfüllen, ohne das in der Substanz tatsächlich zu tun. Krämer nimmt an, dass auch das Bundesverfassungsgericht nicht will, dass die Bundesbank aus dem PSPP aussteigt und damit Zweifel am Bestand der Währungsunion auslöst.
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)
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