Ukraine-Krieg

Russlands Krieg erreicht mit Raketen neue Eskalationsstufe

21.11.24 22:00 Uhr

Neue Eskalationsstufe erreicht: Russland nutzt weitreichende Raketen | finanzen.net

Russland und die Ukraine haben sich in ihrem Krieg gegenseitig den Einsatz weitreichender Raketen vorgeworfen. Das gilt als neue, gefährliche Eskalation.

Einer Mitteilung der ukrainischen Luftwaffe nach hat Russland bei seinem Angriff auf die Ukraine am Donnerstagmorgen das Land unter anderem erstmals mutmaßlich mit einer Interkontinentalrakete beschossen. Eine Bestätigung dafür gab es weder im Westen noch in Russland. Ziel sei die Industriestadt Dnipro im Osten der Ukraine gewesen, heißt es. Verletzte soll es offiziellen Angaben nach aber nicht gegeben haben. Der Kreml warf hingegen der Ukraine vor, aus Großbritannien gelieferte Marschflugkörper des Typs Storm Shadow eingesetzt zu haben.

Selenskyj: Putin nutzt Ukraine als Waffentestgelände

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach vom Einsatz einer neuen russischen Rakete. "Alle Charaktereigenschaften - Geschwindigkeit, Höhe - sind die einer Interkontinentalrakete", sagte der Staatschef. Die Untersuchungen würden laufen. "Offensichtlich ist, dass Putin die Ukraine als Versuchsgelände nutzt", unterstrich Selenskyj. Ein Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin wollte das nicht kommentieren.

Nicht authentifizierte, in sozialen Netzwerken kursierende Videos zeigten unterdessen über einer nächtlichen Stadt herabfallende helle Teile ohne Folgeexplosionen. Vermutet wurde, dass dies sechs leeren Sprengköpfe der eingesetzten Interkontinentalrakete zeigen könnten.

Abgefeuert worden sein soll die prinzipiell auch mit Atomsprengköpfen bestückbare Rakete aus dem russischen Gebiet Astrachan am Kaspischen Meer - etwa 800 Kilometer vom Einschlagsort Dnipro entfernt. Einige Militärbeobachter sprachen in dem Zusammenhang von einem Warnschuss, aber auch einer möglichen Generalprobe für einen echten Atomschlag.

Zweifel an der Version Interkontinentalrakete

Die BBC berichtete später unter Verweis auf anonyme Quellen, dass es im Weißen Haus allerdings Zweifel an der Version einer Interkontinentalrakete gebe. Es handle sich zwar um eine ballistische Rakete, aber wohl um eine mit kürzerer Reichweite als die 6.000 Kilometer, die eine Interkontinentalrakete fliegen könne.

Auffällig ist auch, dass es von der Nato keine Reaktion gab. Der Start einer Interkontinentalrakete hätte dabei überall roten Alarm auslösen müssen, meinte der unabhängige Militäranalyst Jan Matwejew.

Großbritannien spricht von Eskalation und ballistischer Rakete

Großbritanniens Verteidigungsminister John Healey äußerte sich zwar nicht zum genauen Typ der Rakete, übte aber trotzdem scharfe Kritik an Russlands Präsident Putin, dem er Eskalation vorwarf. Er habe die Angriffe aus der Luft auf die Ukraine in den vergangenen Wochen massiv verschärft und tausende nordkoreanische Soldaten an die Front geschickt. "Und es gibt heute unbestätigte Medienberichte, dass Russland eine neue ballistische Rakete auf die Ukraine gefeuert hat, was sie unseres Wissens nach seit Monaten vorbereitet haben", sagte Healey im Verteidigungsausschuss.

Russland kommentiert Raketeneinsatz nicht und erhebt seinerseits Vorwürfe

Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte den von der Ukraine behaupteten Einsatz der Interkontinentalrakete nicht kommentieren. Russland tue alles, um einen Atomkrieg zu vermeiden, sagte er. Zugleich warf Peskow dem Westen seinerseits eine Eskalation vor. Die scheidende US-Administration unter Präsident Joe Biden sei verantwortungslos und tue alles, um Öl ins Feuer zu gießen und den Konflikt weiter anzuheizen, sagte er.

Damit reagierte er auf neue Informationen, wonach Russland mit Marschflugkörpern britischer Bauart vom Typ Storm Shadow beschossen wurde. Das Verteidigungsministerium in Moskau hatte nämlich zuvor mitgeteilt, zwei von der Ukraine abgefeuerte Storm Shadow abgefangen zu haben. Es wäre das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass die weitreichenden Marschflugkörper gegen Ziele in Russland eingesetzt werden.

"Von der Flugabwehr wurden 2 Marschflugkörper Storm Shadow aus britischer Produktion, 6 reaktive Geschosse des Typs Himars aus US-Produktion und 67 Drohnen abgeschossen", heißt es in der Mitteilung des russischen Militärs. Zu Einschlägen und Schäden machte das Verteidigungsministerium keine Angaben.

Angriff mit Storm Shadow angeblich auf einen Kommandopunkt

Britische Medien hatten bereits am Vortag unter Berufung auf nicht genannte Insider-Quellen über den Angriff berichtet. Demnach sind Trümmerteile der Marschflugkörper in dem Ort Marjino im russischen Gebiet Kursk, knapp 45 Kilometer entfernt von der Grenze gefunden worden. Parallel dazu schrieb der Kursker Gouverneur Alexej Smirnow auf Telegram, dass zwei Raketen abgeschossen worden seien - er machte aber keine Angaben zu deren Typ.

Das in Washington ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW) berichtete, dass ein gemeinsamer russisch-nordkoreanischer Kommandopunkt angegriffen und zerstört worden sei. Der ukrainische Generalstab hat diese Angaben allerdings nicht bestätigt. Aus Moskau ist das Eingeständnis eines kritischen Treffers ohnehin nicht zu erwarten. London äußerte sich nicht zu den Vorwürfen eines Storm-Shadow-Einsatzes.

Bereits Anfang der Woche sollen erstmals ATACMS-Raketen aus US-Produktion gegen ein Munitionslager in der westrussischen Region Brjansk eingesetzt worden sein. Dem Vernehmen nach hat Biden dem Einsatz weitreichender Waffen gegen Russland zugestimmt, um ein Zeichen an Nordkorea zu senden, das an der Seite Russlands mutmaßlich Soldaten in den Konflikt entsendet hat.

Moskau sieht durch Einsatz der Waffen Beteiligung der Lieferländer

ATACMS und Storm Shadow sind weitreichende Waffen. Vor deren Einsatz über russischem Gebiet hat der Kreml gewarnt. Diese Raketen könnten nur von westlichen Militärs bedient werden, hatte Putin im Oktober behauptet. Dementsprechend würde ein Einsatz dieser Waffen von Moskau als direkte Beteiligung der entsprechenden Staaten an dem Krieg gewertet werden.

Zuletzt hatte Russland in dem Zusammenhang seine Atomdoktrin aufgeweicht. So könne Russland Kernwaffen auch einsetzen, wenn das Land von einem Staat ohne Atomwaffen angegriffen werde, der seinerseits von einer Nuklearmacht unterstützt wird.

Die Ukraine verteidigt sich im dritten Jahr gegen den Angriffskrieg Russlands. Präsident Selenskyj bat seit längerem darum, weitreichende Waffen von westlichen Partnern auf russischem Territorium einsetzen zu können. Als Begründung wurde angeführt, dass dies für den Kriegsverlauf entscheidend sei. Experten bezweifeln aber, dass die weitreichenden Raketen der Ukraine zum Sieg verhelfen können.

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MOSKAU/KIEW (dpa-AFX)

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