Geldmarktsätze im Blick

Commerzbank: EZB sollte Liquidität schrittweise verknappen

16.05.23 10:17 Uhr

Commerzbank: EZB sollte Liquidität schrittweise verknappen | finanzen.net

Die Europäische Zentralbank (EZB) will bis Jahresende darüber entscheiden, mit welchem geldpolitischen Regime sie die Geldmarktsätze künftig steuern will.

Derzeit arbeitet sie mit einem "Floor"-System, in dem wegen der hohen Überliquidität der kurzfristige Marktzins in der Nähe des untersten Leitzinses, des Einlagensatzes, liegt. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer ist der Ansicht, dass die EZB schrittweise zu einem Regime zurückkehren sollte, in dem Zentralbankgeld wieder ein knappes Gut ist.

"Das gegenwärtige Regelwerk der EZB mag während der Finanz- und Staatsschuldenkrise angemessen gewesen sein, um die Währungsunion zusammenzuhalten. Aber elf Jahre nach dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise ist es an der Zeit, bei der Versorgung mit Zentralbankgeld mehr Normalität zu wagen", schreibt Krämer in einer Analyse. Bei der anstehenden Überarbeitung des geldpolitischen Handlungsrahmens sollte die EZB seiner Meinung nach schrittweise zum marktorientierten System zurückzukehren, das bis zum Ausbruch der Finanzkrise gut funktioniert habe.

Der Commerzbank-Chefvolkswirt erkennt an, dass Banken heutzutage aus verschiedenen Gründe mehr Liquidität halten als vor der Großen Finanzkrise und dass es für die EZB schwer ist, den Liquiditätsbedarf der Institute richtig einzuschätzen. Deshalb sollte sie - nachdem sie ihre Anleihebestände abgebaut hat und der Marktzins vom Einlagenzins zum darüber liegenden Hauptrefinanzierungssatz gewandert ist - zunächst weiterhin Liquidität nach Wunsch zuteilen, aber zum Hauptrefinanzierungssatz. Damit dabei der Tagesgeldsatz nicht immer wieder unter den Hauptrefinanzierungssatz fällt und die Geldmarktzinsen nicht zu stark schwanken, sollte der Einlagensatz dem Hauptrefinanzierungssatz entsprechen - so macht es die Bank of England.

Krämer zufolge könnte die EZB aber weitere Maßnahmen zur Verknappung der Liquidität ergreifen:

1. Könnte die EZB den Mindestreservesatz erhöhen. Dann wäre die darüber hinaus gehende Liquiditätsnachfrage kleiner; es wäre für die EZB einfacher, den Liquiditätsbedarf der Banken abzuschätzen, was wichtig ist, um gerade so viel Zentralbankgeld bereitzustellen, dass der Geldmarktsatz möglichst nahe beim Hauptrefinanzierungssatz liegt und nicht zu stark schwankt.

2. Könnte die EZB darauf verzichten, alle Zentralbankguthaben, die die Mindestreserve überschreiten, weiter mit dem Einlagensatz zu verzinsen. "Ein Teil der Überschussreserven sollte nicht verzinst werden", schlägt Krämer vor. Die Banken hätten dann einen Anreiz, dieses Geld zu verleihen. Das könnte den Geldhandel zwischen den Banken wieder beleben, was in einem Bietungssystem mit fehlender Vollzuteilung zum Liquiditätsausgleich zwischen den Banken notwendig wäre.

3. Sollte die EZB für ihre Kredite an die Banken wieder ausnahmslos erstklassige Sicherheiten fordern oder ausreichende Abschläge auf den Wert dieser Sicherheiten vornehmen. "Banken mit schlechten Sicherheiten würden dann nicht mehr subventioniert und müssten an ihrem Geschäftsmodell arbeiten", meint Krämer.

4. Sollte die EZB die Laufzeit von Krediten an die Banken auf drei Monate beschränken. Dann würden sich Banken nicht mehr auf Vorrat so viel Liquidität sichern, was zu einer Verknappung von Zentralbankgeld beitrüge.

5. Wenn sich die Banken an knappere Liquidität gewöhnt haben, könnte die EZB in einem letzten Schritt zur marktorientierten Liquiditätspolitik von vor der Finanzkrise zurückkehren. Dann hätten die Banken mehr Anreize für konservative Geschäftsmodelle, wodurch das gesamte Finanzsystem stabiler würde.

FRANKFURT (Dow Jones)

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