FTSE 100 im Test

Großbritannien: Welche Aktien vom Boom profitieren

24.01.14 03:00 Uhr

Die Wirtschaft auf der Insel soll 2014 stärker wachsen als die aller Euroländer. Die Aktienkurse konnten davon bisher nicht partizipieren - das dürfte sich bald ändern.

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von K. Nürnberger, Euro am Sonntag

Was für einen Unterschied ein Jahr doch machen kann. Vor zwölf Monaten wartete Großbritannien mit gesenktem Kopf auf den gefürchteten Triple-Dip, das Abtauchen in die dritte Rezession seit 2008. Der Wachstumsschub durch die Olympischen Spiele war verpufft, die britische Industrie befand sich im Sinkflug, der Immobilienmarkt schien dem Untergang geweiht, die Wirtschaft drohte erneut in die Rezession abzurutschen. Jetzt aber scheinen sich die düsteren Wolken verzogen zu haben.

Die britische Wirtschaft ist wieder im Aufschwung - Balsam fürs an­geknackste nationale Selbstbewusstsein. 2013 ist das Wachstum deutlich stärker ausgefallen als erwartet, für 2014 rechnet die Bank of England mit einem Plus von 2,8 Prozent. Europas drittgrößte Volkswirtschaft würde damit stärker zulegen als alle Länder der Eurozone; für Deutschland beispielsweise prognostiziert die Bundesbank 1,7 Prozent.

Dabei war das Vereinigte Königreich bis vor Kurzem noch ein Schatten seiner selbst. Nach einem Jahrzehnt mit dynamischem Wachstum und steigenden Gehältern hatte die Finanzkrise das Land 2008 in eine tiefe Rezession gestürzt. Der Wohlstandsverlust war stärker und die ­Erholung schwerfälliger als in fast ­allen anderen Industrieländern. Um das Staatsdefizit einzudämmen, verordnete Finanzminister George Osborne das härteste staatliche Sparprogramm seit Generationen, das die Wirtschaft umso stärker ausbremste. Die Notenbank flutet die Nation seitdem mit Geld. Dieser Mix schien lange nicht zu wirken - doch nun ist eine Welle des Optimismus über das Land geschwappt.

Die Zuversicht sollte sich auch am britischen Aktienmarkt auswirken. Profi-Investoren wie die Fondsgesellschaft Threadneedle zählen britische Aktien darum zu ihren Favoriten für 2014. Voriges Jahr hinkte London den Börsen in New York, Frankfurt oder Tokio noch weit hinterher.

Das hing auch mit dem neuen Notenbankchef zusammen: Mark Carney war im Juli 2013 angetreten mit dem Versprechen, erst über eine ­Erhöhung des Leitzinses nachzudenken, wenn die Arbeitslosigkeit auf sieben Prozent fällt. Diese Marke rückte jedoch schneller als erwartet in greifbare Nähe, zuletzt lag die Arbeitslosenrate bei 7,4 Prozent.

Die Kapitalmärkte fürchteten deshalb, dass der Leitzins, der seit rund fünf Jahren auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent steht, schon 2014 steigen könnte. Das war zwar positiv fürs Britische Pfund, das gegenüber Dollar und Euro zugelegt hat. Die Furcht vor einem Ende der Geldflut war aber negativ für den Aktienmarkt. Carney indes wird nicht müde zu betonen, dass die Konjunkturerholung lange noch nicht robust genug sei. Zuletzt votierten die Notenbanker deshalb einstimmig für eine Fortsetzung der lockeren Geldpolitik.

Steigende Immobilienpreise
Prächtig läuft es bereits am Im­mobilienmarkt: 2013 stiegen die Preise um durchschnittlich 4,4 Prozent, London verzeichnete mit 9,1 Prozent den höchsten Zuwachs. 2014 sollen die Preise um weitere vier bis acht Prozent steigen. Neben den günstigen Krediten und dem wiedererlangten Risikoappetit der Investoren spielt hier auch eine Rolle, dass die Nachfrage 2013 um 25  Prozent stieg, das Immobilienangebot aber nur um sechs Prozent. "Eigentlich müssten jährlich 250.000 neue Wohnungen entstehen", sagt Danny Gabay vom Beratungsunternehmen Fathom Consulting, "gebaut werden gerade mal 145.000."

Eine neue Stütze ist das Help-to-Buy-Programm der Regierung, das im Herbst ins Leben gerufen wurde: Wer eine Immobilie für weniger als 600.000 Pfund (umgerechnet rund 720 000 Euro) kaufen will, muss nur fünf Prozent des Kaufpreises selbst aufbringen. Für die restliche Finanzierung bürgt der Staat mit 20 Prozent. Auf diese Weise kommen Käufer zum eigenen Heim, die sich das allein eigentlich nicht leisten können. Die Banken werden dazu veranlasst, mehr Hypotheken zu vergeben, als sie es sonst tun würden.

Ganz so, als hätte es die Katastrophe mit den Subprime-Krediten in den USA nie gegeben, meinen Kritiker. Während einige Ökonomen den Stopp des Programms fordern, um eine neue, gefährliche Immobilienblase zu verhindern, sehen es andere positiv. "Das Bankensystem taut endlich auf, der Kreditkreislauf kommt wieder in Gang", sagt Michael Saunders, Volkswirt bei der Citigroup: "Wir bewegen uns in Richtung Normalität - von Waghalsigkeit ist hier keine Spur." Außerdem hat die Zentralbank versprochen, bei einer Überhitzung des Marktes sofort einzugreifen. Dieser habe eine "Mikrowellenmentalität, mit einer Tendenz, in wenigen Wirtschaftssekunden von lauwarm auf kochend heiß zu wechseln", sagt der Chefökonom der Bank of England, Spencer Dale.

Zuversichtliche Industrie
Andere Branchen machen lang­samere Fortschritte. Die Industrie etwa, von der Krise doppelt so stark getroffen wie die Gesamtwirtschaft, kommt bisher nur mühsam wieder auf die Beine. Immerhin: Für 2014 wird ein Wachstum von 2,7 Prozent erwartet. Und die Stimmung in den Unternehmen ist gut. "Viele Firmen sind sicher, dass sie dieses Jahr Jobs schaffen, investieren und exportieren können", sagt John Longworth, Direktor der britischen Handelskammer. Drei Fünftel von ihnen versprachen bei einer Umfrage unter mehr als 8.000 Firmen "mäßige bis erhebliche Investitionen".

Vorzeigekind des Sektors ist die Automobilindustrie. 2013 wurden Schätzungen zufolge über 1,5 Millionen Wagen produziert, Luxusmarken wie Bentley und Rolls-Royce ­sowie das Kultauto Mini meldeten ­Verkaufsrekorde. "2013 ist das vierte Jahr in Folge, in dem der Absatz zweistellig steigt", sagt Bentley-Vorstand Wolfgang Schreiber. Bis 2018 will er 800 Millionen Pfund inves­tieren und ein neues Modell entwickeln. Premier David Cameron jubelt: "1.000 neue Jobs für unser Land und ein weiterer Erfolg für unsere Autoindustrie." Allerdings mit Unterstützung aus Wolfsburg: Bentley gehört zu Volkswagen.

Kauf auf Pump
Angetrieben wurde die Autoindus­trie von einer starken Binnennachfrage: Der britische Markt ist 2013 um 10,5 Prozent gewachsen. Seit 2007 wurden nicht mehr so viele ­Autos an den Mann gebracht wie im vorigen Jahr: Mit 2,26 Millionen verkauften Fahrzeugen rangierte Großbritannien europaweit auf Platz 2, nur in Deutschland wurden noch mehr Autos verkauft. Die große Nachfrage werten die Briten als positives Zeichen für eine wiedererstarkte Wirtschaft. Allerdings wird auch hier das Dilemma Großbritanniens deutlich: Die Briten leben auf Pump - drei von vier haben ihr Auto auf Kredit gekauft.

Der wirtschaftliche Umschwung in Großbritannien wird aber nicht nur von der Wiederbelebung des Kreditkreislaufs begünstigt. Die Stabilisierung des krisengeschüttelten Euroraums, dem bedeutendsten Handelspartner der Briten, war wichtig für Londons Banken und den Export. Und nicht zuletzt sind die Staatsausgaben, trotz der Sparmaßnahmen von Schatzkanzler Osborne, in den letzten vier Quartalen wieder stetig gestiegen und haben für zusätzliche Nachfrage gesorgt.

Kritiker bemängeln allerdings, dass dem Aufschwung noch eine solide Grundlage fehle. Dieser beruhe vielmehr exakt auf jenen Faktoren, die den letzten Crash verursacht haben, warnt das Forschungsinstitut IPPR - steigende Immobilienpreise und wachsende Konsumausgaben von Privathaushalten. Für eine dauerhafte Erholung müssten Exporte und Investitionen der Unternehmen weiter zulegen. Und das Forschungsinstitut Resolution Foundation fürchtet, selbst eine minimale Erhöhung des Leitzinssatzes könnte "Millionen in die Schuldenfalle" stürzen.

Keine Zinserhöhung in Sicht
Mit einer solchen Leitzinserhöhung ist aber eben in absehbarer Zeit kaum zu rechnen. Denn trotz der lockeren Geldpolitik ist die Inflation niedrig: Im Dezember stiegen die Verbraucherpreise nur um zwei Prozent, so wenig wie seit gut vier Jahren nicht mehr. Und andere Zahlen der britischen Statistiker verdeutlichten diese Woche zudem, wie groß das Risiko ist, den Aufschwung durch überhastete geldpolitische Schritte abzuwürgen.

Die Industrieproduktion stagnierte im November, die Bauwirtschaft schrumpfte mit vier Prozent gegenüber dem Vormonat so stark wie in anderthalb Jahren nicht, der Einzelhandel steigerte den Umsatz im ­Dezember trotz des Weihnachts­geschäfts nur um 1,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, nachdem es im November noch zu einem Plus von 2,3 Prozent gereicht hatte.

Interessant ist auch, welche Sparten des Einzelhandels boomen: Discounter wie Aldi und Lidl jagen Platzhirschen wie der Supermarktkette Tesco die Kunden ab. "Sowohl Aldi als auch Lidl verzeichnen weiterhin zweistelliges Wachstum", sagt Marktforscher Edward Garner. Tesco hingegen enttäuscht die Analysten schon seit mehreren Quartalen.

Wahlen im kommenden Jahr
Für Premier Cameron und Finanz­minister Osborne besteht die große Herausforderung nun darin, alle Bürger etwas vom Aufschwung spüren zu lassen. Sie wollen schließlich in anderthalb Jahren wiedergewählt werden. Lediglich sieben Prozent der Briten sehen sich aktuell jedoch als Nutznießer des wirtschaftlichen Wachstumsschubs - während 48  Prozent meinen, bisher nicht davon profitiert zu haben. Die Kreditkartenwirtschaft der Insel, die in den vergangenen Jahrzehnten zum Teil der nationalen DNA geworden ist, kommt nämlich nicht von ungefähr: Das durchschnittliche Einkommen eines britischen Arbeitnehmers nach Abzug der Inflationsrate liegt heute um 14 Prozent niedriger als 2008. Osborne, der gerade von der Tageszeitung "Times" zum "Briten des Jahres" gewählt wurde, versagt sich denn auch jede triumphierende Geste und betont: "Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber unsere Arbeit ist noch längst nicht getan." 

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Dem Leitindex folgen

Beim britischen Aktienindex FTSE 100 ist die positive Wirtschaftsentwicklung des Landes bisher noch nicht ganz angekommen. 2013 legte das Barometer, das die hundert Top-Firmen der Insel abbildet, nur um zwölf Prozent zu. Das britische Wachstum dürfte nun einen Schub geben. Zudem sind im Index viele exportorientierte Firmen, die von der anziehenden Weltwirtschaft profitieren können. 

Fonds I
Cazenove UK Equity Fund

Der Cazenove UK Equity Fund gehört mit einem Plus von fast 30 Prozent zu den erfolgreichsten Großbritannien-Fonds 2013. Auch langfristig erzielte der Aktienfonds stets sehr gute Ergebnisse. Investiert wird vor allem in große und mittlere britische Unternehmen. Derzeit setzt Fondsmanagerin Julie Dean insbesondere auf Finanzwerte, Dienstleistungen sowie Industrietitel.

Fonds II
Aberdeen Gl. Europ. Equity

Für Anleger, die nicht ausschließlich auf Großbritannien setzen wollen, bietet sich der Aberdeen Global European Equity Fund als Alternative an. Der Ak­tienfonds setzt auf Firmen, die einen hohen Anteil ihrer Einkünfte und Profite in Europa generieren. Rund die Hälfte des Fondsvermögens ist in britischen Aktien investiert, darunter Rolls-Royce sowie die ­Finanzwerte Prudential und Standard Chartered.

ETF
iShares UK Dividend ETF

Der iShares UK Dividend ETF bildet 50 britische Firmen ab, die sich in der Vergangenheit durch hohe Dividendenausschüttungen ausgezeichnet haben. Anleger können vor allem vom guten Kreditgeschäft der Banken profitieren, da Finanzwerte über 40 Prozent des Portfolios ausmachen. Wegen des Klumpenrisikos nur für Risikofreudige zu empfehlen. 

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