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Natixis Economics: "Italien: Die populistische Herausforderung im Wirklichkeitstest"

19.09.18 15:25 Uhr

Natixis Economics: "Italien: Die populistische Herausforderung im Wirklichkeitstest" | finanzen.net

Dirk Schuhmacher diskutiert den italienischen Haushaltsplan für 2019, die Aussetzung der europäischen Fiskal-Regeln und welche Auswirkung dies auf die Finanzmärkte haben könnte.

18. September 2018. FRANKFURT (Natixis). Die italienische Haushaltsdebatte befindet sich nun auf der Zielgerade. Bis Ende September muss die Regierung ihren Entwurf für den Haushalt 2019 präsentieren und dann Mitte Oktober der Europäischen Kommission eine offizielle Prognose für das Defizit mitteilen. Während Haushaltsdebatten normalerweise eine eher dröge Angelegenheit sind, steht die momentane Diskussion um den italienischen Haushalt für das nächste Jahr im Fokus der Finanzmärkte.

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Dies ist vor allem eine Folge der Ankündigung der italienischen Regierung, die europäischen fiskalischen Regeln, zumindest vorübergehend, zu ignorieren. Nun ist es keineswegs so, dass diese Regeln, so wie sie im Stabilitätspakt zusammengefasst sind, von der EU Kommission in der Vergangenheit besonders streng ausgelegt worden seien. Aber die ursprünglichen fiskalischen Ankündigungen hätten das Defizit um mehrere Prozentpunkte nach oben gedrückt und auch bei einer sehr wohlwollenden Interpretation der Regeln einen Verstoß bedeutet.

Mittlerweile scheint die Regierung etwas konzilianter geworden zu sein, und Wortmeldungen führender Mitglieder der Regierung deuten keinen allzu offensichtlichen Bruch der fiskalischen Regeln an.

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Was zur Entspannung der Tonlage geführt hat, war nicht etwa die Sorge vor der Reaktion der Europäischen Kommission, sondern der starke Anstieg der Zinsen seit Mai um mehr als 100 Basispunkte. Wie sich die italienischen Zinsen weiter entwickeln werden, hängt entscheidend vom Staatsdefizit ab. So haben etwa die Rating Agenturen Moody’s und S&P angekündigt, nach Veröffentlichung der Defizitzahlen das Rating des italienischen Staates zu adjustieren.

Eine Herabstufung scheint zwar wahrscheinlich, aber der weitere Ausblick, der mit dem Rating einhergeht, wird ein wichtiges Signal für die Marktteilnehmer werden. Wie wichtig diese Ratings sind, wird auch klar, wenn man bedenkt, dass eine Verschlechterung um 2 Stufen dazu führen würde, dass italienische Staatsanleihen nicht mehr zur Refinanzierung bei der EZB zugelassen würden. Darüber hinaus dürfte die EZB - zumindest unter den momentan gültigen Regeln - ihren Bestand an italienischen Staatsanleihen nicht reinvestieren. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen was dies für die italienischen Zinsen bedeuten würde. Schließlich muss man noch die Refinanzierungskosten der italienischen Banken erwähnen, die auch durch die Zinsen auf Staatsanleihen beeinflusst werden. Damit ergibt sich eine direkte Transmission auf die Kreditvergabe und das Wachstum.

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Ein Defizit von unter 2,5 Prozent für 2019 scheint deshalb wahrscheinlich. Dies würde zwar gegenüber dem ursprünglichen Defizitziel von 0,9 Prozent eine deutliche Verfehlung bedeuten, aber letztlich ein weitgehend unverändertes Defizit gegenüber diesem Jahr. Ein Defizit in dieser Höhe würde vermutlich nicht zu einer großen Marktbewegung führen, aber auch bedeuten, dass die Regierung nur einen sehr geringen Teil ihrer Wahlversprechen umsetzen könnte.

Auch wenn der fiskalische Kurs der neuen Regierung am Ende weniger radikal ausfällt, gibt es vermutlich wenig Anstrengungen, den unter Renzi begonnen Reformkurs fortzusetzen. Anderseits gibt es einen entscheidenden Unterschied zu vielen Emerging Markets, die sich momentan in Turbulenzen befinden: Italien hat sich in den vergangenen fünf Jahren ein Leistungsbilanzüberschuss erwirtschaftet und ist damit, im Aggregat, nicht auf ausländisches Kapital angewiesen. Aber auch solch ein Überschuss schützt nicht notwendigerweise vor Kapitalflucht. Schließlich müssen auch die italienischen Sparer überzeugt werden, ihr Geld im Land zu lassen. Anders formuliert, es ist leicht mit Populismus an die Macht zu kommen, sich dort mit Populismus zu halten, ist ungleich schwieriger.

von Dirk Schumacher 18. September 2018 © Natixis

Über den Autor Dirk Schumacher ist Managing Director und Senior Economist bei Natixis, einer international tätigen Investmentbank, die zu Groupe BPCE gehört, Frankreichs zweitgrößter Bank.

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