Volkswirte: 'Konjunkturdelle' in Deutschland inzwischen 'anhaltende Schwächephase'
Die zunehmende Exportschwäche vieler deutscher Unternehmen wächst sich nach Einschätzung von Konjunkturexperten immer mehr zu einer länger andauernden Wirtschaftsflaute aus.
Inzwischen könne man nicht mehr nur von einer "Konjunkturdelle" reden. Die deutsche Wirtschaft durchlebe derzeit eine "anhaltende Schwächephase", betonten Volkswirte deutscher Großbanken in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Es sei inzwischen zweifelhaft, ob die Wirtschaft bis zum Jahresende wieder an Fahrt gewinne.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) geht davon aus, dass die erwartete Konjunktureintrübung für den deutschen Arbeitsmarkt weitgehend folgenlos bleiben werde. Die Erwerbslosigkeit könnte saisonbereinigt in den kommenden Monaten zwar leicht steigen. Parallel dazu werde aber vor allem in konjunkturunabhängigen Dienstleistungsberufen die Zahl der Arbeitsplätze weiter wachsen, sagte BA-Vorstandschef Detlef Scheele der Deutschen Presse-Agentur.
Die Arbeitsmarktforscher der BA prognostizierten für dieses Jahr im
Vergleich zu 2018 rund 680 000 mehr sozialversicherungspflichtige
Beschäftigte, sagte Scheele. Vor allem in Erziehungs- und Pflegeberufen, aber auch in der Logistik oder in Metallberufen sei der Bedarf weiterhin sehr hoch. Die schwache Konjunktur könnte nach seiner Ansicht drei bis vier Quartale anhalten, "vielleicht aber auch im vierten Quartal dieses Jahres schon wieder vorbei sein".
Der Commerzbank-Volkswirt Eckart Tuchtfeld ist skeptisch: "Konjunkturdelle - das hört sich für mich ein bisschen zu optimistisch an. Ich würde eher von einer markanten Abwärtsbewegung sprechen." Ähnlich sieht das Allianz-Ökonomin Katharina Utermöhl: "Eine Wachstumsdelle ist das nicht mehr, eher eine anhaltende Schwächephase", sagte sie. "Angesichts des verhaltenen Ausblicks für Welthandel und Automobilbranche sowie der anhaltenden erhöhten politischen Unsicherheit rund um Handel, Italien und Brexit ist in der zweiten Jahreshälfte 2019 bestenfalls mit einem Mini-Wachstum zu rechnen. Das Risiko einer Rezession ist mittlerweile recht hoch."
Wie verunsichert inzwischen viele Unternehmenschefs seien, zeige der sich eintrübende Ifo-Geschäftsklimaindex. Selbst kleinere Konflikte wie jüngst das Aufbringen britischer Tankschiffe an der Straße von Hormus schlagen nach Beobachtungen von Deutsche-Bank-Volkswirt Marc Schattenberg negativ auf die Unternehmensstimmung durch: "Sowas hat zwar keine direkte ökonomische Wirkung, trägt aber zusätzlich zur Eintrübung und Verunsicherung (in den Chefetagen) bei."
Dass sich der Pessimismus zunehmend auch in harten Fakten niederschlage, offenbarten die geschrumpften Auftragseingänge vor allem in der Industrie. Diese Entwicklung bekomme, wenn auch mit gewisser zeitlicher Verzögerung, der Arbeitsmarkt zu spüren, betonen die Ökonomen nahezu einmütig. "Wenn die Rezession in der Industrie sich verstärkt und auf die unternehmensnahen Dienstleistungen übergreift, wird dies zu steigenden Entlassungen führen", erwartet KfW-Ökonom Martin Müller. Trotzdem rechnet er wie die meisten seiner Kollegen nicht mit einem gravierenden Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Auftragsflauten würden häufig mit Kurzarbeit abgepuffert.
BA-Chef Scheele rechnet mit einem konjunkturell bedingten leichten Jobabbau bei un- und angelernten Beschäftigten. "Es werden mehr Menschen aus Helfertätigkeiten arbeitslos. Das betrifft vor allem die Zeitarbeit. Aber es wächst weiterhin das Beschäftigungsvolumen für qualifizierte Mitarbeiter", machte er deutlich. Er sieht daher keinen Anlass, sich Sorgen um die Finanzen der Bundesagentur zu machen. Anders als etwa zum Höhepunkt der Finanzkrise im Jahre 2009 sei die Kurzarbeit mit zuletzt 44 000 Kurzarbeitern nach wie vor auf "sehr niedrigem Niveau".
Sollte kurzfristig die Zahl der Kurzarbeiter etwa wegen Auftragsflauten in der Autoindustrie in die Höhe schnellen, womit er aktuell nicht rechne, sei die Bundesagentur mit einer Rücklage von derzeit 23,5 Milliarden Euro gut vorbereitet. "Im schlechtesten Fall müssen wir einen Teil der Rücklagen auflösen", sagte Scheele. "Denn Kurzarbeitergeld, mit dem ansonsten drohende Entlassungen verhindert werden, ist langfristig gesehen preiswerter und für Arbeitnehmer wie Unternehmen sinnvoller als die Zahlung von Arbeitslosengeld."
Von einem Jobboom wie die Jahre zuvor ist aus Ökonomen-Sicht keine Rede mehr sein. Das zeige bereits der Blick auf die aktuellen Juli-Arbeitslosenzahlen. Für den Ferienmonat haben sie einen Anstieg um rund 60 000 auf 2,276 Millionen Erwerbslose errechnet. Der Juli-Anstieg würde damit deutlich stärker ausfallen als im Schnitt der vergangenen drei Jahre.
Vor einem Jahr hatten die Arbeitslosenzahlen allerdings noch um knapp 50 000 höher gelegen. Dennoch "mehren sich die Anzeichen, dass es am Arbeitsmarkt nicht mehr so abwärts gehen kann wie bisher", kommentiert Stefan Kipar von der BayernLB die Entwicklung.
Die offiziellen Zahlen will die Bundesagentur für Arbeit (BA) an diesem Mittwoch (31. Juli) veröffentlichen.
NÜRNBERG (dpa-AFX)
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