Experte: Energiewende braucht mehr soziale Gerechtigkeit
PAU (dpa-AFX) - Bei der Energiewende drohen einem Experten zufolge soziale Ungerechtigkeiten, die die Kluft zwischen Arm und Reich in der EU weiter vergrößern könnten. Für mehr Energiegerechtigkeit sollten künftige Steuersätze sich am jeweiligen Zweck der Energie orientieren, rät Jean-Baptiste Jarin von der Universite de Pau et des Pays de l'Adour. Eine Beibehaltung der derzeitigen Politik werde zu großen Ungerechtigkeiten führen.
Es gebe beim Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien eine Fehlentwicklung der Steuerpolitik, erklärt Jarin im Fachjournal "Climate Policy" am Beispiel des Flugverkehrs. Das wohlhabendste Prozent der EU-Bürger sei für zwei Drittel der Flugkilometer verantwortlich. Die Hälfte der Menschen in der Europäischen Union reise hingegen nicht oder fast gar nicht per Flugzeug.
Strom für Haushalte dreimal so teuer wie für die Flugreisen Reicher
Strom für primäre Bedürfnisse wie Heizung oder Beleuchtung könnte aber dreimal so viel kosten wie Strom zur Produktion von E-Kraftstoffen (E-Fuels) für drittrangige Bedürfnisse wie die Langstreckenmobilität, kritisiert der französische Forscher. "Während die gesamte Bevölkerung auf Strom angewiesen ist, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, kommt die Nutzung der Flugmobilität vor allem den Wohlhabendsten zugute." Hauptursache sei die Steuerpolitik.
Strom für den Bedarf der Haushalte und der lokalen Mobilität kostet demnach 194 Euro pro Megawattstunde, heißt es in der Studie, die auf französischen Daten basiert. Der Strom für synthetische nachhaltigere Flugkraftstoffe für die Luftfahrt könnte der Analyse zufolge nur 65,5 Euro pro Megawattstunde kosten.
E-Kraftstoffe für Flugreisen weitgehend steuerfrei
Elektrointensive Anlagen, die E-Kraftstoff für den Flugverkehr herstellen, könnten - wenn sich die Politik dies nicht ändert - kaum oder gar nicht besteuert werden. Dabei ist der Energiebedarf im Flugverkehr gewaltig, wie Jarin erläutert: Allein der Hin- und Rückflug einer Person zwischen Paris und New York schlage rein rechnerisch bei Verwendung des E-Kraftstoffs mit 7.300 Kilowattstunden zu Buche - was den gesamten jährlichen Primär- und Sekundärbedarf einer Einzelperson übersteige. Dieser liege bei etwa 5.000 Kilowattstunden.
Es sei es an der Zeit, dass sich die politischen Entscheidungsträger mit den potenziellen sozialen Ungerechtigkeiten befassen, die bei der Formulierung einer E-Fuel-Politik entstehen könnten, so Jarin. Steuersätze sollten proportional zum Endzweck der Energie sein.
Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich weiter
Jarin erklärte, er halte es für besorgniserregend, dass eine kohlenstoffarme Politik die Energieungerechtigkeit zu fördern droht. Die Produktion von E-Kraftstoff vor allem für die Luftfahrt könnte über die steuerlichen Ungleichheiten die Kluft zwischen den Reichsten und dem Rest weiter vergrößern, befürchtet er. "Große Mengen von E-Fuels könnten sich erheblich auf die Stromnachfrage auswirken, da für ihre Herstellung eine beträchtliche Menge Strom benötigt wird." Folgen wie höhere Energiepreise, geringere Wirtschaftswachstumsraten und höhere Inflation könnten vor allem die untersten Einkommensschichten hart treffen.
Französische Daten auf andere EU-Länder übertragbar
Einschränkend gibt Jarin in "Climate Policy" zu bedenken, dass seine Analyse auf französischen Daten basiert. Zwar befolgten alle EU-Länder dieselbe Energiesteuerrichtlinie, die Ergebnisse könnten aber von Land zu Land wegen unterschiedlicher Strompreise leicht unterschiedlich ausfallen.
Jarin hatte unter anderem Daten über den Stromverbrauch für den primären (Haushalte), sekundären (Elektrofahrzeuge für die lokale Mobilität) und tertiären (E-Kraftstoff für die Langstreckenmobilität) Bedarf gesammelt und dann die Strompreise vor und nach der Besteuerung verglichen.
Die Energiewende in der EU zielt darauf ab, die Staatengemeinschaft bis 2050 klimaneutral zu machen. Im Jahr 2024 stammten etwa 48 Prozent des Stroms in der EU aus erneuerbaren Quellen wie Wind-, Solar- und Wasserkraft. Flugzeuge sollen zukünftig verstärkt mit klimafreundlichen Treibstoffen betrieben werden. Ab 2025 sollen mindestens 2 Prozent der Flugkraftstoffe nachhaltig sein. Darunter fallen etwa Kraftstoffe aus Bioabfällen, Altspeiseöl, aber auch synthetisch hergestellte Kraftstoffe. Dieser Anteil soll bis 2050 auf 70 Prozent erhöht werden./kll/DP/stk