Christian Lindner: Warum TTIP eine Chance ist und eine umfangreiche Steuersenkung kommen muss
Die nächste TTIP-Verhandlungsrunde läuft und traditionell vor der Bundestagswahl 2017 sprechen wir über Steuern. FDP-Chef Christian Lindner im Exklusiv-Interview mit finanzen.net über Chancen und Schwächen von TTIP und warum eine umfangreiche Steuersenkung realistisch wäre.
finanzen.net: Die nächste TTIP-Verhandlungsrunde läuft. Sigmar Gabriel hat die TTIP-Verhandlungen vor kurzem jedoch bereits als zum Scheitern verurteilt erklärt. Ist TTIP tatsächlich tot?
Christian Lindner: TTIP könnte scheitern. Die nächste US-Präsidentschaftswahl steht an, auch die nächste Bundestagswahl in Deutschland. Dass nun gesagt wird, TTIP stehe vor dem Aus, geschieht aus parteipolitischen Gründen. In den USA fürchtet man sich vor deutscher Wettbewerbsfähigkeit und setzt stärker auf Abschottung der Märkte. Und hierzulande wird ein plumper Antiamerikanismus und Antikapitalismus gepflegt. Ich halte beides für verantwortungslos.
finanzen.net: Dies führt uns direkt zu der Frage: Was passiert, wenn TTIP tatsächlich scheitert?
Christian Lindner: Erstens verlieren wir eine Chance, der Globalisierung Regeln zu geben. Würden die großen Demokratien diesseits und jenseits des Atlantiks gemeinsame Standards definieren, könnten diese den Welthandel prägen. Wenn wir das nicht tun, übernehmen das die Chinesen. Zweitens darf die Distanz zwischen Europa und den USA nicht größer werden. Sonst wird die Musik in der Wirtschaft in der Zukunft vielleicht im pazifischen Raum spielen statt in Europa.
finanzen.net: Viele TTIP-Gegner befürchten, dass Unternehmen in Europa, vor allem kleinere Betriebe, dem großen Wettbewerb mit den USA nicht gewachsen wären. Das könnte auch Jobs hierzulande kosten. Ist diese Befürchtung Ihrer Meinung nach berechtigt?
Christian Lindner: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Die Konzerne überwinden spielend die Distanz mit Kapital und Management-Power. Für den Mittelstand sind Hürden höher. Doppelte Zulassungskosten und das bisweilen unberechenbare amerikanische Rechtssystem bremsen kleine und mittlere Unternehmen. Das ist auch der Grund, warum Schiedsgerichtsbarkeit oder besser ein öffentlicher Handelsgerichtshof gerade im deutschen Interesse wäre. Linke Propaganda hat die Argumente umgedreht, obwohl eine Einflussnahme auf unsere Gesetzgebung völlig abwegig ist.
finanzen.net: Wenn es denn einen gibt: Was wäre denn aus Ihrer Sicht der größte Makel an TTIP?
Christian Lindner: Das kann ich sagen, wenn der fertige Vertrag vorliegt. Erst dann kann ich beantworten, ob ich nicht nur die abstrakten Ziele unterstütze, sondern auch das konkrete Verhandlungsergebnis. Es wundert mich, dass andere schon ohne die endgültigen Details dagegen sein können.
finanzen.net: Gerhard Schröder äußerte sich vor Kurzem sehr kritisch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Man könne schon den Eindruck haben, dass Strafzahlungen für Fehlverhalten, z.B. aktuell gerade bei VW, eher das Ziel hätten, die deutsche Industrie in einem internationalen Konkurrenzkampf zu schädigen, wird Schröder zitiert. Er erhebt also den Vorwurf, dass die USA mit Europa nicht auf Augenhöhe verhandeln - ein Eindruck, den auch viele Bürger in Deutschland laut Umfragen mit dem Altkanzler teilen. Wie stehen Sie diesem Vorwurf gegenüber?
Christian Lindner: Gerade der Fall VW zeigt etwas völlig anderes. Nicht das Bundesumweltamt, sondern US-Behörden haben die Manipulation aufgedeckt. Wer hat höhere Umweltstandards? In den USA gibt es Entschädigungen für die VW-Kunden, hier nicht. Wer hat höheren Verbraucherschutz? Viele Befürchtungen bei uns basieren auf mangelhafter Information oder bewusster Verzerrung der Situation in den USA.
finanzen.net: Es bleibt also weiter spannend. Ein weiteres - gerade im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017 - brandheißes Thema ist das Thema Steuern bzw. Steuersenkungen. Bundesfinanzminister Schäuble hat bereits eine leichte Steuersenkung nach der Wahl in Aussicht gestellt - wird dafür aber heftig kritisiert. Beispielsweise von Wirtschaftsminister Gabriel, der sagt, dies sei "eine Erzählung, die lebensgefährlich" sei, "wenigstens für eine lebendige Demokratie." Steuersenkungen gingen zu Lasten der öffentlichen Investitionen des Staates, beispielsweise in Rente, Schule oder in die Gesundheitsversorgung. Sie hingegen haben noch deutlich höhere Steuersenkungen gefordert, als Herr Schäuble. Ist das überhaupt realistisch?
Christian Lindner: Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird der Staat rund 100 Milliarden Euro mehr einnehmen als jetzt. Natürlich wäre deshalb eine Entlastung von mindestens 30 Milliarden Euro möglich und nötig. Der Staat sollte von den Einnahmen, die ihm nur aufgrund unterlassener Steuerreformen und niedrigem Zins zufließen, etwas zurückgeben. Das Geld steht dem Staat eigentlich nicht zu. Das ist eine Frage der ökonomischen Vernunft, weil auch private Haushalte investieren und vorsorgen müssen. Und es ist eine Frage der Fairness.
finanzen.net: Öffentliche Investitionen seitens des Staates und trotzdem deutliche Steuersenkungen wären also machbar?
Christian Lindner: Ja, eindeutig. Wenn man auf teuren Prestigeprojekte wie beispielsweise die Subventionierung von Elektroautos verzichtet, dann gelingt das. Ich würde übrigens auch einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer einführen, damit die Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen wieder in der Lage sind, ein Eigenheim zu erwerben. Eigentum ist zu einem Luxusgut geworden, das sollte es nicht sein. Denn das mietfreie Wohnen im Alter ist die beste Vorsorge.
finanzen.net: Wenn die Leute mehr Kapital zur Verfügung hätten, das sie investieren könnten, würde das doch auch die Wirtschaft ankurbeln - ein Ziel, dass die EZB beispielsweise mit ihrer Niedrigzinspolitik erreichen möchte. Warum also senkt man die Steuern nicht, um den die Kaufkraft der Bürger zu stärken - gerade wenn dies aktuell so gut machbar wäre angesichts der hohen Einnahmen des Staates?
Christian Lindner: Korrekt. Das passiert nicht, weil Union und SPD den Bürgern offenbar nicht zutrauen, verantwortungsbewusst mit ihrem Geld umzugehen. Das ist ein Trugschluss, leider. Hätten die Bürger mehr Geld zur Verfügung, wären sie freier, vernünftige Investitionen zu tätigen und sich etwas aufzubauen.
finanzen.net: Angesichts der aktuellen Lage - eingedenk der niedrigen Zinsen und mit der Aussicht, dass diese - womöglich in absehbarer Zeit - wieder steigen werden: Was würden Sie Anlegern raten?
Christian Lindner: Ich bin kein Anlageberater - und ich spreche jetzt nicht als Politiker. Ich würde auf jeden Fall dazu raten, viele Eier in einen Korb zu legen. Man sollte sich nicht auf eine Sache verlassen. Nicht alleine auf die staatliche Rentenversicherung, auf die Riester-Rente, auch nicht nur auf Staatsanleihen. Sich breit aufzustellen ist wichtig. Dazu gehören auch Investitionen in Aktien oder in Immobilien. Deswegen wäre ich dafür, die Spekulationsfrist bei Wertpapieren wiedereinzuführen, wenn aktuell von anderen die Abgeltungssteuer infrage gestellt wird. Ich bin ein Anhänger der Abgeltungssteuer, aber wenn sie fällt, dann bitte mit vollständiger Rückkehr zum alten System inklusive Spekulationsfrist. Wer langfristig investiert, sollte das in diesem Fall ohne steuerliche Last tun.
finanzen.net: Herr Lindner, bald geht Ihre Experten-Kolumne bei finanzen.net an den Start. Was erwartet die Leser in Ihrer Kolumne?
Christian Lindner: Ein Plädoyer für Freiheit, Technologiefreundlichkeit und Weltoffenheit. Drei Werte, die im Deutschen Bundestag gegenwärtig nicht so vehement vertreten werden, wie ich es mir wünsche.
Christina Fischer, Redaktion finanzen.net
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Bildquellen: Werner Schuering/FDP